Montag, 17. März 2014

Kabine und Luftfahrt

Bonjour! Sie lesen im digitalen Arbeitstagebuch einer Dolmetscherin und Über­setz­un­gen. Die Einträge erfolgen hier unter Wahrung aller Dienstgeheimnisse. Ich berichte hier meistens nicht an den Terminen der Geschehnisse und nur darüber, was von den Arbeitsabläufen her typisch ist.

Morgens nur kurz in der Kabine gewesen, für die Sitzung hat sich der Aufbau der mobilen Dinger fast nicht gelohnt, dann eilig nach Hause, eine Über­setz­ung steht an. Der Kunde warnte mich gestern um 21.00 Uhr vor, es war eher Zufall, dass ich ans Telefon ging. Für ihn bzw. seinen Vorgänger ha­be ich viele Jahre aus dem Fran­­­sischen übersetzt.

Nun war ein englischer Text für 11.00 Uhr angekündigt. Vom Kunden bzw. seinem Nachfolger, die Firma hat einen neuen stellvertretenden Geschäftsführer, weiß ich nur, dass er ab 12.00 Uhr im Flugzeug nach Deutschland sitzen soll.

Der Text trifft pünktlich ein! Ich sitze, adrenalindurchspült und voller Glücks­hor­mo­ne nach dem Flow der Morgensitzung, im Arbeitszimmer. Beim ersten Lesen will mir der Text grob einleuchten. Dann suche ich zwei, drei Begriffe und verhake mich schnell in Sekundärbedeutungen. Der Text, um den es geht, hat eine ju­ris­ti­sche Kom­po­nente. Kolleginnen übersetzen derlei mit der Diktiersoftware des Na­mens "Dragon", sie rufen "Drachen, zum Diktat!", setzen sich ihm auf die Flügel und schnipp!, Tagewerk erledigt, Text fertig.

Solches Zauberwerk bekomme ich nicht hin. Schon gar nicht mit solchen Schach­tel­ge­bil­den wie denen heute. Thomas Mann ist der reinste Waisenknabe dagegen (en­fant de chœur sa­gen die Franzosen dazu, Chorkind). Nix Zauberdrache, nix Flügel, das hier ist Mo­sa­ik­le­gen und erfordert eine ganz andere Kunstfertigkeit und Bo­den­haf­tung. Ich knie im Text. Und fange an zu hadern, stelle Fragen, die sich auf In­hal­te, aber auch auf den Stil des Texts beziehen, um das mal höflich zu for­mu­lie­ren.

Der Auftraggeber sitzt im Flugzeug, ist nicht erreichbar. Nach der Mittagspause rufe ich seine Sekretärin an mit der Frage, ob es begleitende Dokumente zum Text gibt, denn der Text soll am Abend fertig sein. (Eigentlich war geplant, dass der Au­tor und mein Drache gleichzeitig landen. Über die Textform hatte ich im Vorfeld andere Angaben erhalten.)

Die Sekretärin sucht, während ich an der Strippe bin, und sie findet. Begleittexte, Notizen und — das Textoriginal. Dann entschuldigt sie sich. Denn versehentlich war mir eine (von wem auch immer erstellte) englische Übersetzung zugesandt wor­den.

Ergebnis: Jetzt gehen der Drache und ich doch noch auf die Piste, und die Eng­lisch­kol­le­gin hat auch zu tun. Schön.

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Foto: C.E. (Archiv)

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