Dienstag, 18. März 2014

Mit Stilen jonglieren: Drehbuch

Willkommen beim ersten deut­schen Web­log aus dem In­neren der Dol­met­scher­ka­bine. Wie Dol­met­scher ar­bei­ten, können Sie hier lesen. Ich arbeite mit den Spra­chen Französisch und Englisch. Wenn ich nicht auf Konferenzen zugange bin, laufe ich durch Werkhallen, über Baustellen oder halte mich in den Hin­ter­zim­mern der Politik oder im Kino auf. Vier bis fünf Tage in der Woche liebe ich es, Drehbücher zu übersetzen.

Drehbücher zu übersetzen ist wie Jonglieren mit drei Bällen, eine Grundübung in Flexilibilität. Ich berühre immer gerade einen Ball, habe die anderen beiden in der Luft und im Blick.

Denn ich darf mich wie eine Dichterin fühlen bei den Szenenbeschreibungen, das sind oft poetische Momente, bin ganz die pragmatische Texterin bei Re­gie­an­wei­sun­gen und die toughe Sloganschreiberin oder routinierte Hör­funk­au­to­rin bei den Dialogen. Dann kommt im Flug schon wieder der Wechsel. Die Bälle sind rot, blau und gelb, könnten unterschiedlicher kaum sein, und doch ähneln sie einander in Form und haptischen Eigenschaften.

Drehbücher übersetze ich in den kostbarsten Stunden des Tages: morgens nach dem Aufstehen. Dem Drehbuch gehört mein Vormittag. Ich liebe es, mich nach ei­nem kurzen Check der Mails zurückzuziehen und ins kreative Schreiben zu ver­sin­ken.

Eine Aufgabe, die oft harte Arbeit ist. Denn die drei "Farben" stehen nicht los­ge­löst voneinander im Text, sie fügen sich harmonisch ineinander und erzielen Ef­fek­te, ganz so, wie das Kreisen oder Hüpfen der Bälle des Jongleurs zur jeweils ge­such­ten äs­the­ti­schen Form wird.

Nach vier bis fünf Stunden ist meine Kreativität erschöpft. Nach der Mittagspause lese ich Korrektur, zum Teil auch die Texte von Kolleginnen, mit denen ich Ge­gen­le­se­zeit tausche, dann bereite ich andere Einsätze vor, lese, lerne, höre, schreibe.

Ach, und dann sind da ja auch noch meine Bücher! Je nach Drehbuchstoff bilde ich mich begleitend weiter. Ich studiere kritisch diverse Quellen oder muss mir etwas einfallen lassen: Das geht von Texten über Sprache und Leben in der Frühromantik bis zum Besuch einer illegalen Pokergemeinschaft, um mir den Slang abzuhören.

Die Preise von Drehbuchübersetzungen können stark schwanken, das geht mit 700 Euro los für einen kurzen Kinderfilm, sehr oft liegen wir in den Bereichen 1500 bis 3000 Euro, bei überlangen Werken mit Recherchebedarf und viel Be­gleit­ma­te­ri­al sowie Finanzierungsplänen kamen aber auch schon mal 5000 Euro zusammen, das waren dann auch fast zwei Monate Arbeit.

Die Idee mit dem Jonglieren liegt bei uns Sprachmittlern nahe. Wir "jonglieren" ja sonst in der Kabine mit Worten, während ich beim Drehbuchübersetzen mit Stilen und Sprachniveaus jongliere, meine "Helden" müssen in beiden Sprachen in­di­vi­du­ell klingen, denn noch ohne Bild macht nur die Sprache die Personen für die le­sen­den "Zuschauer" zu Persönlichkeiten.

Dolmetschkollege Max Haverkamp, ein Absolvent des Studiengangs Dolmetschen am Fachbereich angewandte Linguistik der ZHAW in Winterthur, Schweiz, hat die andere Variante der Sprachakrobatik vor einigen Jahren hier veranschaulicht:



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Foto: C.E.

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