Kinder lernen nebenbei. Sie toben währenddessen rum oder spielen, ihre Aufmerksamkeit ist nicht vordergründig aufs Lernen fixiert. Das gilt für das Lernen im Alltag. Später kommen Schule und andere Bildungseinrichtungen hinzu. Das Lernen ändert sich, es wird bewusster.
le lutrin — das Lesepult |
Diese Trennung finde ich künstlich, denn es kann ja niemand evaluieren, was für eine Lernleistung hinter dem Erwerb der zivilisatorischen Grundtechniken steht. Auf jeden Fall ist bei den meisten von uns das Lernergebnis überzeugend, auch wenn wir uns als Babies nicht selbst gesagt haben: "So, Laufenlernen ist das Programm des Tages!" Und sicher, die kleinen Wesen üben auch hoch absichtsvoll, bis sie mit dem Löffel den Mund treffen und nicht mehr regelmäßig von der Schwerkraft in den Vierfüßlergang genötigt werden.
Die akademische Definition absichtsvollen Lernens ist mir jedenfalls zu begrenzt, was sich auch in der Art und Weise ablesen lässt, wie Kinder und Erwachsene in der Regel lernen (müssen): Die lernfördernden, für "gute Gedächtnisleistung geeignet(en)" Aktivitäten werden meistens sitzend und stumm ausgeführt. Es ist Zeit, andere Lernformen in Schulen, Horten, Universitäten und Bibliotheken ganz selbstverständlich einzubauen — und ja, da ergibt sich oft ein Raumproblem, das leuchtet ein.
Mit meinen Beobachtungen bin ich nicht allein. Erste Änderungen lassen sich schon beobachten. Denn anstatt Schülern nicht nur aufzuerlegen, irgendwelche Frühlingsblumenformen aus bunten, geknüllten Krepppapierkügelchen auf bunten Karton zu kleben, und diese auch noch dicht auf dicht im Schulflur aufzuhängen, so dass am Ende alle gleich aussehen, ist es doch viel besser, dort die eingängigsten Plakate auzustellen, die die Kids als Illustration ihrer Referate angefertigt haben.
Das habe ich schon in der Schule des weltbesten Patensohns vereinzelt beobachtet. Den Stolz über das eigene Werk haben die Kids da genauso, und "im Vorbeigehen" findet auch noch Wissenszuwachs statt. (Und für alle Kinder ist es ein Ansporn und ein Mittel, sie dazu anzuregen, im Schulhort oder der Nachbarschaft aktiv Hilfe nachzufragen.)
Oder aber der Zeitstrahl für geschichtliche Ereignisse, so einen sah ich neulich im Klassenzimmer einer anderen Schule wieder. Anders als in meiner Schulzeit in Süddeutschland sind die Berliner Lernorte heute individuell gestaltet, was mich an die Schulen in Frankreich erinnert, wo auch Fachlehrer nicht-naturwissenschaftlicher Fächer ihre eigenen Räume hatten, die die Klassen dann aufsuchten: Das Dekor wechselte mit dem Fach.
Inzidentelles Lernen, wird diese beiläufige Lernart genannt. Wie beschrieben, lässt sich derlei provozieren. Der Weltkarte auf dem Klo seiner ersten Studenten-WG, die alle Staaten dieser Erde mitsamt den Hauptstädten darstellte, verdankt einer meiner Brüder die Erweitung seiner geopolitischen Kenntnisse.
Lerntipp: Ein Stehpult fürs Lesen einführen. Wem der Platz dafür fehlt, der schaue mal in seinen alten Schulsachen nach, oft gibt es noch irgendwo einen faltbaren Buchständer, der auf einer Kommode, einem halbhohen Regal (oder auf dem Brett eines hohen Möbels) oder einem ähnlichen Ort Platz finden kann. Eine Kollegin nutzt den Notenständer, wenn sie nicht gerade spielt, bei mir ist es der Rand des Kachelofens. Und beim Daranvorbeilaufen einen kurzen Blick darauf werfen, bei Interesse wird er von selbst länger. So verschwimmen die Grenzen zwischen (geplant) zufälligem und absichtsvollem Lesen.
P.S. zu den Blumenbildern, die mich irritiert haben: In meiner Schulzeit wurden Thema oder Technik vorgegeben, es sei denn, es handelte sich um das Abzeichnen ein- und desselben Gegenstands (selbst da gab es noch Variationen, bei der Wiedergabe eines Asts mit Blättern beispielsweise.) Warum diese Einfalt? Bei dieser Knülltechnik wäre es doch spannender, neben Blumen noch Wiesen mit Schmetterlingen, Schafen, Häusern, Bäumen, Bergen und ganz oben im ewigen Eis noch einen Schneemann entdecken zu dürfen. Die Antwort hat mich überrascht: Kein Kind solle benachteiligt werden, weil es vielleicht weniger Phantasie oder Geschick als die anderen hat. Die Absicht ist ehrvoll, das Ergebnis niederschmetternd: Es sieht so aus, als hätte sich kaum ein Kind angestrengt, und lieblos ist es obendrein geworden. Denn dahinter steht mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten der Kleinen und die Verachtung von Wettbewerb und Ansporn.
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Foto: C.E.
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