Donnerstag, 6. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Adieu deutsche Sprache

Will­kom­men auf den Sei­ten ei­nes Blogs aus der Festi­val­ku­lis­se. Heute Abend wird in Berlin die Ber­linale er­öff­net. Die nächsten Tage berichte ich hier wie seit Jah­ren üblich aus den Kulissen. Es ist mein 14. Berlinale-Jahr als Sprachmittlerin.

In diesen 14 Jahren, also seit die Berlinale am Potsdamer Platz stattfindet, hat sich viel geändert. 2000 war das letzte Jahr von Moritz De Hadeln, dann hat Die­ter Kosslick als Leiter der Berlinale angefangen. Die Berlinale hat ihren Schwer­punkt Kinder- und Ju­gend­film verstärkt, die Reihe "Kulinarisches Kino" begründet und gefühlt jedes Jahr ei­nen neuen Spielort hinzubekommen. Dieses Jahr kehrt der Zoo Palast als Spiel­stät­te zurück. Das Studio Babelsberg hat noch nie so viele Filme im Wett­be­werb ge­habt wie 2014.

Außen an der Dolmetscherkabine steht (1) Deutsch, (2) Englisch
2011 war Deutsch noch die erste Sprache
Das sind schöne Erfolge für die Berlin-Brandenburger Film­­kul­­tur! Die Region liegt be­kannt­lich in Deutschland. Leider hat sich am Potsdamer Platz ein Trend entwickelt, der dazu führte, dass ich be­reits 2013 als eines der Ge­sich­ter der Ber­li­na­le Ab­schied nehmen musste: Pu­bli­kums­gespräche werden nicht mehr ins Deutsche ver­dol­metscht, sondern meistens direkt auf Englisch geführt.

(Das mit dem Gesicht ist kein Kokettieren, sondern wörtlich zu nehmen. Oft kam ich mit völlig unbekannten Berlinern bis in den Sommer über Filmthemen ins Gespräch. Oder es gibt so kuriose Momente wie den da: Ich helfe außerhalb des Festivals beim Kinoeinlass im Arsenal aus, denn einer der Mitarbeiterinnen war plötz­lich schlecht geworden, da schaut ein Gast irritiert aufs Ticket, als er mich sieht: "Wie, das ist doch jetzt aber kein französischer Film?")

Andere Sprachen sind ebenso von der Ausweitung des Englischen betroffen. Dieses Jahr fällt die Verdolmetschung von Wettbewerbsfilmen weg, hier wurde u.a. ins Französische und Spanische gearbeitet. Diese simultane Über­tra­gung der im Film gesprochenen Sprache war ein besonderes Angebot für Gäste, die mit den eng­li­schen (oder, im Wettbewerb, deutschen) Untertiteln nicht zurande kamen. "Filme einsprechen" bedeutet einen hohen Aufwand, es ist teuer. Im Rahmen von Ein­spa­rungen lässt sich das verstehen. Auf die Reaktion des Publikums bin ich ge­spannt. (Oder, um mit Lorenz Meyer zu fragen: Ob die Audience das supportet?)
Im Ernst, ich kenne Mitarbeiter internationaler Filmvertriebe aus Paris, die nur Urlaubs- und Filmverkaufsenglisch sprechen.


Einschub: In der Mathematik bedeutet die "Probe" auf Richtigkeit, Teile einer Rech­­nung kurz um­zudrehen. Ich drehe also um und überlege, wie es sich an­füh­len wür­de, wenn in Cannes plötzlich alle Filmgespräche ausschließlich auf Englisch geführt werden würden. Die Sache ist schlicht unvorstellbar. Einschubende.

Dass die deutsche Sprache auf der Berlinale auf dem Rückzug ist, war schon lange zu beobachten. Mir tut es leid um einige altgediente Filmkritiker aus Ost­deutsch­land oder Osteuropa. Mit ihnen verschwindet Filmgedächtnis. Ich denke stell­ver­tre­tend auch für andere an einen Polen, der in Leipzig studiert hat und dessen Englisch, naja. Her mit dem gnädigen Mantel des Schweigens! Der Gute musste jetzt mit Mitte 50 aufs Altenteil.

Leid tut es mir auch für die Redakteure von Katalogen kleinerer Festivals, sie ha­ben oft viel von den detaillierten Fachgesprächen, die wir einst führten, über­nom­men. Filmgespräche, die im Extrem­fall von al­len Be­tei­lig­ten in einer Fremdsprache geführt werden, drohen eher oberflächlich zu bleiben, sind weniger spon­tan, klin­gen oft zu bemüht und geübt. Ergebnis: Nach dem Film bleiben weniger Men­schen zum Ge­spräch im Saal, worauf das "Q&A" kürzer ge­tak­tet wird und weiter an Tiefe ver­liert. Ein we­sent­li­cher Bestandteil von Festivals ist Chance zur Begegnung. Das gilt gerade für die Berlinale, das einzige Publikumsfestival unter den A-Festivals. Schade.

Was noch ins Deutsche verdolmetscht wird, sind manche (nicht alle) Interviews mit Stars. Normalerweise gibt es bei den Interviews "Zeitfenster" für die deutsch­spra­chige und "Slots" für die englischsprachige Presse. Auch hier: Schrumpfung.

Verstärkt wird das Phänomen durch die abschreckende Wirkung unprofessioneller Arbeit. Im Sparwahn haben manche Institutionen in den letzten Jahren auch schon mal Nichtprofis dolmetschen lassen. Einer meiner langjährigen Dolmetschkunden aus dem Filmbereich war vor einigen Monaten in Berlin, als "Dolmetscher" wurde ihm von Leuten aus der Verwaltung ein solcher zugeschanzt. Das Desaster hörte ich dann, als ich später für eine Redaktion etliche nicht übersetzte Passagen aus dem "verdolmetschten" Interview rausschreiben und übertragen durfte. Da musste ich dann |miterleben| mit­er­lei­den, wie sich der Nichtprofi abmühte, nämlichen Star ins Deutsche zu übertragen, wie er sogar mal je ne peux pas traduire ça sagte, das kann ich nicht übersetzen, worauf sich der Star entschied, mit der Presse doch lieber in der Sprache Shakes­peares zu kommunizieren.

Ergebnis: Dieser Tage wird für Interviews dieses Promis gar kein Dol­met­scher für die deutsche Sprache mehr einbestellt. Ist das die Entscheidung des Stars, weil er Angst hat, eine Wiederholung zu erleben? Oder drängte etwa die PR-Agen­tur mit Blick aufs Budget? Ich werde es wohl nie erfahren. So hoffe ich mit dem mir an­ge­bo­ren­en Optimismus, dass der Star schlicht und ergreifend in letzter Zeit viel Englischunterricht genommen hat.

Außerdem werde ich weiter fürs Radio arbeiten. Hier als Nachtrag ein von mir verdolmetschtes Interview, das etwas mehr als ein Jahr alt ist. In den ersten zwei Minuten moderiert Knut Elstermann den Film an und stellt auch die Fragen. Danke, Knut! [Sound nur auf Nachfrage zugänglich.]

Wichtig hier: durch lebendiges Sprechen die Hörer vom Umschalten abzuhalten

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Illustrationen: C.E. und soundcloud

3 Kommentare:

AL hat gesagt…

Huch? Zensur? Musste nu die Rechte erst wieder zurückkaufen?

Lass' mich raten ... so ein Dolmetscheinsatz wird mit 500 Euro vergütet, die Sendeminute kostet Dich aber 1000 Euro?

Gruß, AL

Anonym hat gesagt…

Deutsch ist leider total out. Und Englisch kann doch jeeeeeeder.
:-(
Gruß
Birgit

caro_berlin hat gesagt…

Gerne - für den Einblick.

Aber Du machst mir Spaß, Francisco! Ich witzele dauernd rum mit einer Schauspielerfreundin, dass sie immer auf Rollen warten muss, während ich viel öfter Einsätze habe.

Aber das Radiomikro, das könnt' ich mir vorstellen.

Dieses Jahr intensiviere ich erstmal EN, schreibe ein Buch und frische die Sprecherziehung auf. Dann schaumerma.

Auch lG,
Caro