Mittwoch, 4. September 2013

Glühendes Grau

Will­kom­men auf den Sei­ten des ersten deut­schen Blogs aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bine. Hier spre­chen wir um die Wet­te. Oft geht es in un­se­rem Berufs­alltag hek­tisch her. Da heißt es kühlen Kopf bewahren.
 
"Liberté als Kaffee" (Otto-Heinrich Elias)
Jeder Marathon hat ein Ende, auch unsere Art der sprachlichen Halb- oder Vier­tel­ma­ra­thons mit gelegentlichen Spurts. Wir Dolmetscher laufen die entsprechende Kilometerzahl immer im Doppel, was für den/die jeweils andere(n) kurze Pausen bedeutet, womit das Bild vom Marathon leider hinkt.
Dolmetschen ist Teamarbeit. Arbeiten wir zu zweit in der Kabine (oder mit Flüs­ter­an­la­ge irgendwo im Raum), darf der/die andere allerdings in den stummen Minuten Eigennamen und Zahlen notieren oder auch mal ein Wort nachschlagen. Oder kennen Sie aus dem Effeff die pas­sen­den Übersetzungen zum Beispiel für "Ehe­gat­ten­split­ting"?

Wenn das Wort in einer Konferenz über die Archivierung von Filmerbe vorkommt, hat den Begriff wirklich keine(r) von uns auf der Vokabelliste. Und wenn auch keine(r) von uns jemals dolmetschend mit deutschen Steuerspezifika zu tun hatte, ist der Begriff nicht "einfach so" bekannt. In anderen Ländern ist Ehe­gat­ten­split­ting unbekannt. Dolmetschen ist kleinteilige Arbeit und setzt intensive Vor­be­rei­tung voraus. Soviel dazu, wie aus Pausen schnell hektische Momente werden können.

Hier bin ich dann doch wieder beim Bild meines Laufs. Ein langer Tag beim Kunden ist ein Marathon, wir müssen den Tag über in Form bleiben. Die aktiven Momente oder Stress bei mit Eigennamen, Zahlen oder Sprichwörtern gespickten Reden sind wie kurze Spurts. Jedes Runterschalten von einer Dynamik in die andere wirkt auf die neuronalen Aktivitäten wie eine Pause.

Unsere Dolmetscherhirne brauchen aber regelmäßig auch echte Pausen. Das Glü­hen der grau­en Zellen bringt Erwärmung unter der Schädeldecke mit sich, das berichten uni­so­no alle Kolleginnen und Kollegen. Damit aus dem Heißlaufen der Hirnmasse aber keine Hirnüberhitzung wird und unsereiner durchgehend und un­an­ge­fochten weiß, wo vorne und wo hinten ist, sind Unterbrechungen nötig. Dann heißt es Kopf auf­machen, Luft rein, verbrauchte Luft raus, Schädelklappen wieder einfahren oder so ähnlich.

Manchmal sind Kunden ungnädig und wollen nicht verstehen, warum wir eine Ab­lö­sung brauchen, denn zwei Dolmetscher sind teurer als einer. "Können Sie nicht eine/zwei Stunden alleine dolmetschen?" Ja, theoretisch können wir das. Im pri­va­ten Kontext, wo wir Zeit haben und es nicht sofort auf jedes Detail ankommt, ist das Alltag. Hier aber herrscht ein anderer Druck, muss der Output anders sein. Und die Themen, die verhandelt werden, sind uns in der Regel nicht seit langem ver­traut. Das Hin- und Herschaufeln fremder Konzepte und Begriffe kostet viel Hirn­schmalz.

Große Hirnüberhitzung soll zu dauerhaften Veränderungen im Ober­stüb­chen füh­ren. Unsere Gesundheit und die künftige volle Arbeitsfähigkeit wird jeder Dol­met­scher schützen. So wie jeder Läufer die seiner Beine. Der Körper darf sich nach dem Ende des Laufs erholen, und bald geht es wieder auf die Piste, damit der Trai­nings­stand erhalten bleibt. Dolmetschen ist Hochleistungssport.

Jedes Tief spüren wir körperlich. So brau­chen wir nach aktiven Tagen Ruhe, um die zwischendurch einsetzenden Wortfindungsstörungen über­win­den zu können. Dann geht schon wieder das Lernen für den nächsten Einsatz los, denn ohne Training kein Rennen. 

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Foto: C.E.

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