Freitag, 27. September 2013

Ein Meter pro Minute

Was Dol­­­met­­­scher und Über­­­setzer ma­­­chen, ist der brei­­­ten Öf­­­fent­­­lich­­­keit oft nicht ge­­nau be­­kannt. Hier schrei­­be ich da­­rü­­ber. Heute: Von der Schwie­rig­keit, den Ar­beits­ort recht­zei­tig zu er­rei­chen.

Zu Einsätzen an unbekannten Orten brechen wir Dolmetscher früher auf als wenn wir das Ziel genau kennen, denn es gilt ja jeden unnötigen Stress ver­mei­den. Der Beruf bringt genug Adrenalinausschüttung mit sich.

Blick auf Rock, Knie, Teppich, Tisch, Rechner. Die Dolmetscher sitzen an der Wand mit Blick auf den Tagungsraum.
POV der Dolmetscherin: Arbeiten ohne Kabine
Als schwer trügerisch können sich Einsätze in Kon­gress­zen­tren erweisen, die von außen überschaubar groß wirken, wenn unsereiner im an­gren­zen­den Kongresshotel un­ter­ge­bracht ist, das ein Hoch­haus ist, will sagen: das sieht nach kurzen Wegen aus. So wie gestern.
Halb neun, eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn verließ ich das Ho­tel­zim­mer. 
Bei den Fahrstühlen standen schon einige Leute. Leider konnten wir uns die War­te­zeit nicht mit einem Blick aus dem Fenster verkürzen, denn die drei Fahr­stüh­le lagen im Kern des Gebäudes, das wohl aus den 1970-er Jahren stammt. Der Blick wäre sicher schön gewesen: Wir befanden uns im 13. Stock (von insgesamt 18 Etagen).

Den Fahrstuhl hatte ich bis dahin schon ca. sieben Mal seit meiner Ankunft am Vor­abend genutzt. Nie war mir an ihm etwas aufgefallen, naja, vielleicht hatte es am frühen Morgen etwas länger gedauert mit der Fahrt zum Frühstücksraum. Kein Wun­­der, war das Hotel doch gut belegt. Und jetzt? Immer wieder sahen wir ei­nen Lichtkegel durch einen der Schlitze zwischen den Türen aufblitzen. Jetzt war schlicht und ergreifend Check-out-time — und eine Reisegruppe schien das Hotel zu verlassen.

Kurz: Die Wartezeit auf den Fahrstuhl war mit elf Minuten ungewöhnlich lang.

Unten schnell die Chipkarte abgegeben, war ja alles bezahlt und keine Mi­ni­bar­nutzung, dann 20 Sekunden Fußweg zum Kongresszentrum, der direkte, groß aus­ge­schil­derte Zugang war der Seiteneingang. Am Vorabend hatte ich mich schon nach dem Weg er­kun­digt gehabt, dort sei ein Empfang, der werde sich kümmern, war die Aus­kunft ge­wesen. Aber ach, keine Menschenseele zu sehen, dafür ein Monitor wie auf dem Flug­ha­fen. Ein ge­fühl­tes Dutzend Veranstaltungen liefen hier parallel, auf der 2. Seite wurde auch "mein" Raum angezeigt: Nummer 25. Hin­weis­schil­der indes Fehlanzeige, ich bog auf gut Glück nach links ab (rechts war nur ein dunkler Gang) und suchte.

Plötzlich stand ein junger Mann neben mir, ein bübischer Blondschopf, er trug die Fantasieuniform des Kongresszentrums. Kurzer Informationsaustausch, dann sein: "Ich bring' Sie kurz hin!" Wie freundlich. Die nächsten gefühlten sieben Mi­nu­ten navigierte er mich zielstrebig durchs Labyrinth: Wir gingen an einem Restau­rant­be­reich vorbei, dann kam ein Gang, dann eine Halle, Treppe, Foyer, Gang, hier sind wir: "Blauer Saal" stand an der Tür.

Ich bedankte mich. Aber keine Spur von den Dolmetschkollegen und die Besucher trugen die falschen Namensschilder! "Vielleicht im 'roten Saal'?" meinte ein Ver­an­stal­tungs­gast. Der lag direkt daneben.

Das Sich-Umsehen hatte zwei Minuten, der erneute Ortswechsel 30 Sekunden ge­kostet. Es war inzwischen sechs vor neun. Der Empfang am 'Roten Saal' konnte mir selbst auch nicht helfen, winkte aber jemanden vom Haus herbei. Der nahm mich wieder in Schlepptau, Foyer, Treppe, erst die kleine Halle, dann eine große, der Haupteingang, hier saßen übrigens die versprochenen Hostessen am Empfang, Fahr­stuhl, dieser kam zum Glück sofort, zwei Stockwerke runter, Gang, Hin­ter­trep­pe wieder hoch, Brandschutztür, Gang, kleines Foyer, Raum 23, Raum 24, endlich Raum 25. (Ich stand unter Schock, es kann also eine Flurwindung mehr oder we­ni­ger gewesen sein.)

Die Kollegin steht hinter den Sprechern, um sie besser zu hören
Es war drei nach neun. Die anderen hatten be­reits an­ge­fangen. (*) Zum Glück sind wir immer zu zweit je Sprach­kombination. In Ber­lin wäre ich in den 30 Mi­nu­ten von mir bis zu Ver­an­stal­tungs­or­ten am Alex ge­langt und hätte noch einen Puffer ge­habt. Hier habe ich diese Zeit für ge­fühl­te 30 Meter ge­braucht. Soll ich den Na­men der Stadt sagen?

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Fotos: C.E. (*) Die anderen hatten sich am Vortag ver-
laufen, nur ich war (als Vertretung) neu am 2. Tag.
(Erbitte Vorwarnung beim nächsten Mal!)

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