Beim gesternmorgendlichen
Farbstörungen wie die hier erinnern mich immer an "Die kahle Sängerin" (Moi aussi j'ai une petite fille, elle a deux ans, un oeil blanc et un oeil rouge, elle est très jolie et s'appelle aussi Alice, cher Monsieur!, La Cantatrice Chauve, Eugène Ionesco, deutsch hier).
Vermutlich handelt es sich bei diesen Vorlieben um die Überkompensierung eines zwanghaften Verhaltens. Am Rande des BDÜ-Kongresses traf ich mich mit Kollegen, und Franziska aus Leibzsch meinte prompt beim Abendessen ganz nonchalant: "Ich glaube, die meisten von uns sind zwanghafte Narzisten. Was mir machen, ist doch nicht normal, da muss was sein."
Hm, darauf gehe ich vielleicht ein andermal ausführlicher ein, aber Zwängen unterliegen wir allemal. Natürlich kommt bei der Schildersammelei mein Lesezwang zum Tragen: Seit ich lesen kann, komme ich an keinem Schild mehr vorbei, ohne es möglicherweise auch nur in Teilen und unbewusst wahrzunehen. Der Kopf macht das völlig selbsttätig.
Weil ich meine
In der 13. Klasse, die es damals gab (wunderbar!, wir hatten Zeit, wir spielten Theater, wir belegten Psychologie als Schulfach), hatte ich auch einen Literaturkurs, dort schrieben wir. Einmal sollten wir einen Text über erlernte Fähigkeiten verfassen, ich schrieb über das Lesen und über den Versuch, sich dem Lesezwang zu entziehen, am Beispiel meines in der DDR aufwachsenden Cousins (die politischen Parolen) und meiner Wenigkeit (die überall präsente, oft Intellekt und Realitätsbewusstsein ebenso beleidigende Produktwerbung). Diesen Text, es setzte hier und nur hier in meinem Schülerleben regelmäßig die maximale Punktzahl, würde ich gerne mal wiederlesen.
Und noch einem Zwang entkomme ich kaum: dem Dolmetschzwang. Eigentlich ist das, was in meinem Kopf passiert, ganz einfach. Seit ich Sprachen lerne, fragt der Kopf immer nach den anderen Vokabeln. Irgendwann fiel mir auf, dass in mir wie bei einer analogen Filmcassette immer die "zweite Tonspur" mit dem Sound der anderen Sprache mitläuft. Durch meine Erwerbsarbeit bin ich mir dieser zweiten Tonspur bewusst. Dolmetschen besteht im Wesentlichen dadurch, diesen Sprachstrom bewusst rauszupicken, die Hemmschwelle für öffentliches Reinquatschen runterzudrücken und Maulfaulheit zu überwinden, die selbst so gesprächige Menschen wie ich erleben und auch genießen können. (Ach, an Tagen nach Einsätzen, ist das schön! Kriegt nur keiner mit, wenn ich allein arbeite oder mich allein erhole.)
Wie also den inneren Sprachstrom wieder unhörbar machen und nicht immer aufmerken, wenn ich mal einen Begriff auf Französisch nicht sofort weiß? Seit ich intensiv Englisch lerne, feuert es auch aus dieser Richtung. Ja, ich liebe meinen Beruf, aber ich will auch nicht die Karikatur einer Sprachmittlerin sein, deren Finger gewissermaßen mit dem Stift verwachsen sind fürs sofortige Notieren.
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Fotos: C.E. (Archiv)
2 Kommentare:
Hallo Caroline,
schön, dass du unser philologisches Quartett auch so inspirierend fandest.
Ich möchte nur ergänzen, dass kaum ein Leipziger tatsächlich "Leibzsch" sagt, und ich doch gerne zwischen "zwanghaft oder narzisstisch" unterscheiden würde ;-)
Den Dolmetsch- bzw. Übersetzungszwang werden die meisten von uns verspüren, aber das ist wohl nur ein Zeichen, dass wir unsere(n) Beruf(ung) mit Leidenschaft leben.
Ich freue mich auf mehr Flohmarktfotos (Kisses 1 €!) und ein hoffentlich baldiges Wiedersehen!
Bisous from Leipzig
Franziska
Ja, da hat mich die Literatur also aufs falsche Pferd gesetzt ... also Leipzig. Und so sehr narzisstisch können wir Andere-Leute-Vertoner ja nicht sein, sonst wären wir selbst Herr und Frau Wichtig und würden "selbst sprechen" ;-)
Dir alles Gute und viel Spaß beim geliebten Berufe! Ich muss nach den frühen Herbstferientagen jetzt sehr technisches Architektenfranzösisch lernen und meine große Freude am Beruf wieder herstellen. Noch schwimme ich ... leidenschaftlich ...
Re-bises nach "Leipzig ist ein klein Paris", pour citer l'autre,
Caroline
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