Montag, 22. Oktober 2012

Dolmetschkater

Haben Sie sich schon mal einen Arbeitstag lang in einer zwei Quadratmeter kleinen Box (mit Lüftung) aufgehalten? Wenn nicht, dann haben Sie vermutlich im Beruf nicht intensiv mit Sprachen zu tun ... Wir Dolmetscher arbeiten in solchen Kabinen und ich schreibe dort oft Texte für dieses Blog — oder am (großen) Übersetzerschreibtisch. Hier können Sie Einblick nehmen in unseren wechselvollen, spannenden und anstrengenden Alltag. Viel Spaß beim Lesen! 

Anfang August war der Tag der Katze. Ich wusste gar nicht, dass es so einen Tag gibt, aber mein Bruderherz wies mich darauf hin.

Ich habe etwa einmal in der Woche meinen "Katzentag". Als jemand, die nie einen echten "Kater" hatte, ich war vier Mal in meinem Leben mittelprächtig angetrunken, das hat mich jeweils so aus den Latschen gehauen, dass ich alles Weitere, zum Beispiel den letzten Abend des Jahres 2010, verschlafen habe, wusste ich lange nicht, was ein Kater ist.

Bis der andere Bruder für anderthalb Jahre bei mir einzog. Nicht, dass der jetzt regelmäßig dem Besäufnisse frönen würde, aber es kam mindestens einmal vor, dass er mit einem echten, von übermäßigem Genusse alkoholischer Getränke ausgelösten "dicken Kopf" plus Unwohlsein einen Tag in recht mauem Zustand auf dem Sofa verbrachte.

Graue Katze im Beinahe-Gegenlicht vor herbstlicher Blattkulisse
Schreitende Nachbarskatze (bei Freunden)
Jetzt weiß ich, dass ich das auch kenne, nur eben durch geistige Überanstrengung ausgelöst. Was wir in der Kabine machen, ist nicht normal: hören, sprechen und sich selbst zuhören, alles gleichzeitig, zwischendurch analysieren, was da gesagt wird, übertragen und kontrollieren, dass alles, was die Kabine verlässt, sinnvoll und "rund" ist (Stichwort: Punkt mitsprechen). Außerdem atmen, schlucken, ab und zu was trinken, Zahlen aufschreiben, Vokabeln nachschlagen, Dolmetschpult bedienen (lauter/leiser stellen, Ausgangssprache ändern, anderen Ton reinholen, Räuspertaste benutzen (z.B. beim Trinken), richtige Vorlage raussuchen, Namen des Sprechenden aus der Tagesordnung fischen.

Hirnmuskelkater fühlt sich also an wie ein ganz normaler Kater. Unsereiner nennt das Biest einen "Dolmetschkater".

Postdolmetschverkaterte Lebewesen brauchen besonders gute Pflege. Dazu gehört natürlich gesundes Essen, Ruhe, nicht zu viel Aufregung, keine lauten Stimmen, gute Bücher und Filme ... und viel frische Luft.

Ein normaler Dolmetschkater ist mit einem Tag erledigt. Es gibt auch Arbeitstage, nach denen fühle ich mich "beschwerdefrei". Oder aber ich bin nach Einsätzen, die drei höchst anstrengende Tage dauerten, drei Tage lang geschafft.

Deshalb ist alles, was unsere Arbeit erleichtert, gut, von schallisolierten Kabinen angefangen. Ein anderes Beispiel wäre das frühzeitige Zusenden von Arbeitsmaterial. Morgen sitzen wir bei so'nem EU-Dings rum, Fortbildung, und alle, alle, alle, Englisch- und Französischkabine, bekamen die erste Grobinfo darüber, worum es sich denn eigentlich gehen wird, erst gestern Nachmittag zugesandt. Auf das Material selbst, Tagungsvorlagen, über deren Stichworte wir uns reinschrauben in das neue Thema, warten wir zur Stunde noch. Es ist Montag, 10.30 Uhr.

Mittwoch werde ich auf dem Sofa sitzen und den Kater streicheln.

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Foto: C.E.

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