Montag, 8. Oktober 2012

Berliner Salon, die Zwote

Hallo auf den Seiten eines Logbuchs aus der Dolmetscherkabine. Regelmäßig texte ich die Blogeinträge aber auch am Schreibtisch — nach getaner Arbeit. Meinen letzten Dolmetscheinsatz hatte ich Ende letzter Woche, hier ein kurzer Rückblick.

Rote bequeme Sitzgelegenheiten, dunkelbraune Stühle und Tische, viele Gäste am Molkenmarkt ...
Rechts: Wilfried N’Sondé und Christina Gumz (las auf Deutsch)
Heute abend habe man sich von den alten Berliner Salons inspirieren lassen, sagte Dorothée vom Infocafé Berlin-Paris des deutsch-französischen Jugendwerks letzten Donnerstag. Der Raum war mit Sitzgruppen locker möbliert, auf das rote Sofa nebst Sessel an der Stirnwand waren Strahler gerichtet, "oder eben so wie bei einer TV-Literatursendung ...".

Dorothee machte eine kurze Pause und ergänzte dann: "... chez Michel Drucker avec son cultissime canapé rouge ..." was Ihre Kollegin Claire konsekutiv verdolmetschte ... nur beim Namen des französischen Starmoderators zögerte sie. Hm, gab es einst bei Marcel Reich Ranicki auch ein rotes Sofa? Mir fiel auf die Schnelle nur das "blaue Sofa" der aspekte-Redaktion auf den Buchmessen in Leipzig und Berlin ein. Sie blieb dann bei Drucker und ergänzte das Gesagte um einen Nebensatz.

Vorab hatte ich mir einen Stuhl leicht außerhalb der Gesprächs"runde" hingestellt. Im literarischen Salon am Molkenmarkt wurde das Buch Fleur de béton vorgestellt ("Betonblume" von Wilfried N'Sondé, bislang nur auf Französisch bei Actes Sud). Erst wurde auf Französisch und Deutsch im Wechsel gelesen, anschließend folgte eine Diskussion mit den Veranstaltern, daraus ergab sich ein sehr munteres Gespräch mit dem Publikum, das, untypisch fürs Jugendwerk, eine sehr altersgemischte Gästeschar war, Menschen von zehn bis 80 Jahren hatten sich eingefunden, der Raum war voll. Vorne saßen auch Christina Gumz mit dabei, sie las die von ihr selbst übertragenen deutschen Ausschnitte, und Borris Diederichs, der sich beim dfjw um Integration und Chancengleichheit kümmert.

Die simultane Verdolmetschung in beide Sprachen für insgesamt vier Hörer war ein Vergnügen! Aber typisch, ohne die Notizen, die ich sonst mir beim konsekutiven Dolmetschen mache, kann ich anschließend nicht mehr viel über die Diskussion berichten. Zusammengefasst geht es im letztes Frühjahr erschienenen Buch um ein junges Mädchen, das mit seinen Schwestern in einer Trabantensiedlung im Vorort von Paris lebt. Ihr Bruder kam unter ungeklärten Umständen ums Leben, der Vater ist ein arbeitsloser, verstummter Patriarch, die Mutter arbeitet als Putzfrau und entwickelt damit erstmals ein Leben außerhalb des Familienkreises. Dann werden noch die anderen Gleichaltrigen mit ihren Hoffnungen und Taten beschrieben. Eine ursprünglich harmlose Konfrontation mit der Polizei spitzt die Handlung zu, durch die sich das Leben nicht nur des Mädchens grundlegend verändert.

Der Autor N'Sondé lebt seit Jahrzehnten in Berlin und ist in Charlottenburg als Sozialarbeiter tätig. Seine Beschreibung der trostlosen, engen Verhältnisse der französischen Banlieue folgt jedoch einem positiven Impuls: Der Mensch braucht Hoffnungen und Ziele, dann kann er auch die Kraft entwickeln, etwas zu verändern. Auf den Einsatz habe ich mich unter anderem durch das Hören eines Hörfunkinterviews vorbereitet, das noch online ist. (Link zum Interview auf RFI.)

Nach Lesung und Gespräch gab's für alle die anderen Canapés, diverse Häppchen, sowie ein Glas Wein. Merci beaucoup, Claire et Dorothée !

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Foto: C.E.

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