Montag, 24. September 2012

Heiraten gehen

Bonjour beim ersten deutschen Blog, das in einer zwei Quadratmeter kleinen Box entsteht — oder am Übersetzerschreibtisch. Die Welt der französischen und deutschen Sprache bechäftigt mich täglich, auch jenseits der Dolmetscherkabine. Hier notiere ich kleine Episoden aus dem Arbeitsleben. 
Ab und zu, am Wochenende ...

Torten, Baumkuchen, GebäckZu den schöneren Terminen gehört sicher, bei Hochzeiten zu dolmetschen. Das ist nicht sehr vorbereitungsintensiv, denn das Personal ist bekannt, der Text auch.
Mit dem Text stimmt das aber nicht für die immer öfter vorab zu verdolmetschenden Eheverträge. Traduction à vue, "auf Sicht übersetzen", heißt diese Dolmetschart.

Im Vorfeld erhalte ich den Entwurf des Vertrags ... und denke mich in Terminologie und Inhalte ein. Bei binationalen Ehen gibt es ein oder mehrere mehr oder weniger große Vakua (Plural von Vakuum) zwischen den Rechtssituationen beider Länder, die sich die beratenden Notare viel Mühe geben, samt und sonders anzusprechen und den Text auch dahingehend zu formulieren, dass sie selbst im Falle eines daraus herrührenden Streits nicht und in keinster Weise belangt werden können. (Hilfe, der Stil der Vorlage färbt ab!)

So darf ich mich vor solchen Terminen jedes Mal ins Ehe-, Vermögens-, Steuer- und Erbrecht Deutschlands einlesen. Schlagen Sie mal das Wort "Ehewirkungen" nach, das steht für ein ganzes System! Vieles ist dann gar nicht übersetzbar, eben weil es in der anderen Sprache nichts Entsprechendes gibt. Unsereiner behilft sich dann mit Umschreibungen (und lässt im Vorfeld das juristisch gebildete Gegenüber die Sache nochmal erläutern).

Auch schön, wenn so manche(r) sich selbst Kreuzberger Linksanwält_In/Notar_In nennende Profi im einstigen Ladengeschäft eines früher besetzten Hauses, Zöpfchen im Haupthaar und im Muster der Inka-Weste sowie eine Tasse Nicaragua-Café aus den Händen des männlichen Sekretärs inklusive, wenn also dieser (oder diese) von 1968 folgende übriggebliebene Rechtssachverständige dann raumgreifend von verschiedensten Unterhalts- oder Nichtunterhaltspflichten dem anderen gegenüber für den Falle von Trennung mit oder ohne Zerreißen des Ehebandes fabuliert (was verschärft nach 19. Jahrhundert klingt) und Sätze baut, die inklusive meiner Notizen und eingefügter Vokabeln (buchstäblich hervorgehoben)  bis zu zwölf oder mehr Zeilen umfassen, dann gerät unsereiner schon mal ins Schwitzen.

Ringe auf einem HerztellerDer letzte Absatz, der aus einem Satz besteht, hat übrigens nur vier Fünftel der Unübersichtlichtkeitslänge, von der ich hier spreche. Leute verheiraten gehen macht Spaß, ist aber nicht lukrativ. Naja, Kleinvieh macht auch Mist. Und ich freue mich dann, oft auch noch schöne Fotos schießen zu dürfen.
So sind dann alle glücklich.

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Foto: C.E. und Kinowerbung der 1920-er
Jahre, mit www.pixlr.com verfremdet

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