Mittwoch, 16. November 2011

Untertitler

Willkommen beim Dolmetscherweblog aus Berlin! Hier dürfen Sie heute einer Sprachmittlerin auf den Schreibtisch sehen. Wenn ich nicht in der Kabine sitze, auf einem Festival, für VIPs oder Privatpersonen dolmetsche, pauke ich Vokabeln, übersetze Drehbücher oder andere Textformen. Oder aber ich korrespondiere ...

Sehr geehrte Frau Elias,
mein Name ist T., ich studiere italienische und deutsche Sprachwissenschaft an der Humboldt-Uni zu Berlin. Bald werde ich mein Studium abschließen, ich mache mir deshalb viele Gedanken über den Verlauf meiner beruflichen Zukunft.

Auf der Suche nach einer Übersetzungstätigkeit beim Film in Berlin bin ich auf Ihren Namen gestoßen. Ich würde gerne von Ihnen erfahren, wie und wo ich die Möglichkeit habe, Untertitel zu übersetzen? Könnten Sie mir einen Rat oder einen Kontakt geben? Es muss nicht gleich eine Festanstellung und soll auch keine Vollzeitbeschäftigung sein.

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir diesbezüglich weiterhelfen würden!
Liebe Grüße,
T.S.
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Liebe Frau T.S., 
Danke für Ihre Mail, aber ich kann Ihnen leider keine Kontakte vermitteln. Leider erhalte ich selbst derzeit zehnmal mehr Anfragen nach unbezahlter Mitarbeit als Bitten um Kostenvoranschläge für neue Aufträge. Ich fürchte, dass es daran liegt, dass der Berufsnachwuchs am Anfang zu Mondpreisen arbeitet. Nach ein, zwei Jahren gibt es dann immer jemanden, der ähnlich billig oder noch billiger ist, so dass von der zuvor fest versprochene Anpassung des Hungerlohns an ein normales Niveau keine Rede mehr ist. Von Vollbeschäftigung oder Festanstellung wagt derzeit wohl niemand mehr zu träumen.

Vor 15 Jahren war Untertitler noch ein ehrenwerter Beruf und ist es vielleicht auch heute noch für die 'happy few', die als Korrektor oder für Eilaufträge von den Firmen fest gebucht sind,  für alle anderen ist es aber inzwischen nur noch ein Sprungbrett (... aber ich weiß nicht, wohin). 

Sorry für die Drastik, aber das ist derzeit so. Solange Nachwuchs bereit ist, sich ausbeuten zu lassen, und auch niemand auf die Idee kommt, sich zu organisieren, wird sich das nicht ändern. 
Haben Sie eine Idee? 
Viele Grüße, 
C.E.
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Liebe C.E.,
ohje, das klingt wirklich dramatisch. Beim heutigen Arbeitsmarkt und der ver­lang­ten Leistung ist ein Uniabsolvent glücklich, überhaupt erst mal was gefunden zu haben, das zumindest einigermaßen Spaß macht und Freude bringt. Bei uns Geisteswissenschaftlern ist der Lohn zunächst zweitrangig. Das weiß ich von mir und Freunden und Bekannten. Die Ansprüche werden zwar steigen, aber ich denke nicht, dass sie erfüllt werden. Mehr Druck, mehr Leistung, mehr Kranke.

Ich blicke leider auch nicht sehr rosig in die Zukunft und weiß auch nicht, wie man dieses riesengroße Problem lösen könnte. Ich hoffe, Sie erhalten bald wieder mehr Aufträge zu gerechten Löhnen.
Alles Gute und vielen Dank für Ihre schnelle Antwort,
T.

Untertitelung mit Subs Factory

P.S. von C.E.: Es gibt heute sicher noch irgendwo Unternehmen, die sich moralisch einwandfrei verhalten. Aber insgesamt sind die Honorare derart gedrückt worden, dass es sich Leute mit Erfahrung und finanzieller Verantwortung (z.B. für ein Kind) einfach nicht mehr leisten können, Untertitel anzubieten, es sei denn, sie "arbeiten" nur "mit", d.h., es gibt einen Hauptverdiener. Ich bin damals aus­ge­stie­gen, als sich die Honorare in etwa halbiert hatten (vor ca. zehn Jahren), und biete UTs meinen Kunden nur noch ergänzend an. 

Ich finde die Situation dramatisch, denn sie hat direkten Einfluss auf Qualität und Rénommée der Untertitel. Ich sehe die Preisentwicklung auch in Zusammenhang mit mancher großen Firma, die ihre Fixkosten absichern muss, und das hat aus meiner bescheidenen Perspektive mit der Umstellung vom Preis "je Untertitel" auf einen Preis "je Minute" angefangen.

Wie sind die Preise heute? Über Rückmeldungen aus der Szene würde ich mich freuen.

3 Kommentare:

caro_berlin hat gesagt…

Glückwunsch et toutes mes félicitations, Robert Guédiguian ! Der Regisseur hat soeben für "Schnee auf dem Kilimandscharo" (« Les Neiges du Kilimandjaro ») den Lux-Filmpreis des EU-Parlaments erhalten. EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek überreichte ihm heute in Straßburg die symbolische Auszeichnung in Form einer Filmrolle. Hier die ganze Meldung: Lux-Filmpreis an Guédiguian.

Weiter steht dort: "Das Parlament finanziert die Untertitelung des Film in die 23 Amtssprachen der EU."

Liebe Parlamentarier, beobachtet bitte, wer die Untertitelung des von Euch prämierten Films macht und zu welchen Bedingungen!
Merci d'avance,
C.E.

Anonym hat gesagt…

Mittlerweile sollte ja die berufliche Zukunft für Geisteswissenschaftler WÄHREND des Studiums anfangen! Leider ist es, gerade mit der BA / MA-Umstellung nicht ganz einfach, Studium mit guten Noten und Berufserfahrung unter einen Hut zu bekommen, aber da müssen wir nun mal alle durch :)

Nehme mir bei Zweifeln immer Sie, liebe Bloggerin als Beispiel dafür, dass man ans Dolmetschen auch über Umwege bzw. andere Berufszweige kommen kann!

Und bis dahin heißt es: Lerntechniken und Arbeitssprachen perfektionieren, Allgemeinwissen aneigenen,etc. - macht ja auch Spaß :)

Zu Kontakten: diese werden ja aufgebaut. Die persönliche Ebene schwingt mit, da geht das glaube ich nicht so einfach à la "vermitteln Sie mir bitte schnell Kontakte für dies oder jenes".

Herzliche Grüße,
A.

Vega (Bine) hat gesagt…

Korrigierte Antwort vom 16.11.2011
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Hallo,

der Gedanke, BA-Studenten würden während des Studiums schon die nötigen Kontakte knüpfen, ist ja wohl ziemlich illusorisch. Ich unterrichte an einem solchen Studiengang und für Kontakte bleibt den Studierenden über ein Pflichtpraktikum hinaus keine Zeit. Die Praktikumsgeber verstehen den Nachwuchs als kostengünstige Arbeitskräfte ... und entsprechend desillusioniert kehren viele Studierende in den Unialltag zurück. Sie sehen selbst, dass die Ausbeutung Methode hat.

Aber es gibt in unserer Uni auch (technische) Fächer, in denen das nicht so ist. Hier sind in der Regel die fertig Ausgebildeten besser organisiert, das strukturiert die ganze Branche. Ich kann nur sagen: Nehmt's selbst in die Hand, organisiert und informiert Euch beizeiten gegenseitig, liebe Studierende. Nur so könnt ihr dafür sorgen, am Ende des Studiums Berufsperspektiven vorzufinden.

Nichts für ungut,
B.