Dienstag, 8. November 2011

ganz famos

Willkommen auf den Seiten einer Übersetzerin und Dolmetscherin aus Berlin. Französisch ist meine Zweitsprache — und auch die deutsche Sprache will gepflegt sein. An der Seite eines Kindes bin ich gerne unterwegs, wir gehen oft auf Lese- und Sprachreisen.

Wenn es Abend wird, lesen wir gerne. Wir lesen aber auch morgens, auf Reisen, in Pausen und nach der Schule. Der weltbeste Patensohn und ich sind uns einig: Lesen, Sprachspiele und Wortwitze sind so ziemlich das Größte!

Der jeune homme ist kurz vor acht Lenze jung. Trotzdem genießen wir auch alte Sprechweisen, wie sie zum Beispiel in den wunderbaren Kinderbüchern von Erich Kästner vorkommen. Das ist ja kolossal! und ganz famos sind längst in unseren Sprachschatz eingegangen. Wenn wir die Umgangssprache aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht pflegen, wer soll's denn sonst machen?

Wir wissen zudem: Vorlesen ist auch was für Kinder, die schon seit langem lesen können, ein wunderbares Kulturgut, auch das wiederholte Vorlesen. Und so verbringen wir viele Abende bei gemeinsamer Lektüre, entdecken (wieder) und genießen. Lesen sogar Kästners "Mädchenbuch", denn im "doppelten Lottchen" ist gar viel von Klatschbasen und Zieraffen und Hausmütterchen die Rede. Im "Fliegenden Klassenzimmer" stören die über die lateinischen Klassennamen gelieferten Altersbeschreibungen erst ein wenig den Lesefluss, denn wenn ich mittelalterlicher Mensch erst überlegen muss, wie alt ein Tertianer nochmal ist, woher soll denn der Lütte von heute aus der JÜL-Klasse (1) das bittschön wissen?

Beim ersten Lesedurchgang hatte ich die Altersangaben der Internatszöglinge und manche Vokabel noch beim Vorlesen erklärt, aber als ganz feiner Kerl, der unser Großschatz nun mal ist, hat er mich mit viel Taktgefühl darauf aufmerksam gemacht, dass die vielen Unterbrechungen den Lesegenuss doch ein wenig stören.

"Nicht dauernd erklären, weiterlesen!", höre ich mich selbst noch und etwas ruppiger die Vokabelerklärungen meines Vaters kommentieren, ich war damals so alt wie mein Patensohn heute.
Vergesst nie Eure Kindheit, schreibt Kästner im Vorwort zum "Fliegenden Klassenzimmer", und er hat ja so Recht! Ständige Kommentare unterbrechen das Eintauchen in die Geschichte, stören das Kopfkino. Jetzt begreifen wir im Kontext, blättern regelmäßig zurück und klären anschließend die Fragen.

Am Morgen zelebrieren wir weiter diese alten Worte, die üblich waren, als die heutige Großelterngeneration in den Kinderschuhen steckte. Der weltbeste Patensohn kam vor Jahren übrigens ganz von alleine drauf. Irgendwann fing er an, mich gelegentlich mit junge Dame anzusprechen (was mir ehrlich gesagt lieber war als das Mädel, das er davor oft gesagt hat). Vorhin hörte ich: "Mademoiselle, wollen wir uns nicht langsam auf den Schulweg begeben?" Wundert mich nicht, er ist ja selbst oft der jeune homme, und wenn wir morgens lesen, müssen wir beide gut aufpassen, nicht das Schellen der Schulglocke zu verpassen, sonst schilt uns noch der Pedell (aber das ist wohl eher Goethe als Kästner, oder?) ...


(1) JÜL = Jahrgangsübergreifendes Lernen, drei Altersstufen in einem Klassenzimmer, die wie in der Dorfschule beim Film "Etre et avoir" unterrichtet werden. In der Schulklasse, die ich regelmäßig beobachten kann, klappt das ganz bonfortionös.
______________________________  
Fotos: Logo, das Kind liest auch Kinderschmöker von
heute. Hier was er in den letzten zwölf Monaten nur von
diesen Reihen so angefallen ist. Wir brauchen ein neues
Regal! Und ein Ex Libris für den Jungen, damit er
Geschmack am Bücherverleihen findet.

Keine Kommentare: