Montag, 23. Mai 2011

Produktionskette

Wir leben in einer arbeitsteiligen Welt. Binse. Zugleich erleben wir, wie manche Berufe entwertet werden. Die Entwertung läuft wie so oft übers Geld. Als ich Kind war, galt zum Beispiel Journalist als ernstzunehmender Beruf, mit dem sich durchaus, wie es so schön hieß, eine Familie ernähren konnte.

Journalisten bringen mitunter Licht ins Dunkel
Dieses Vorwort ist mir wichtig. Ich bin froh, von Hause aus zwar Journalistin, aber genug Fähigkeiten und Talente gehabt zu haben, um durch Zweitstudium den Umstieg in die Spracharbeit geschafft zu haben.

Denn inzwischen ist Journalismus zu einem "Job" verkommen. Verglichen mit den Massen freier Journalisten sehen nur noch wenige Festangestellte oder "Feste Freie" zum Beispiel der öffentlich-rechtlichen Hauptsender, wie sich Anerkennung für ihre Arbeit auch einmal monatlich in klingender Münze ausdrückt. Die wirklich "Freien" nennen diese happy few gern "Beamtenjournalisten", rümpfen die Nase — und leiden selbst an sinkenden Honoraren.

Dann gehen sie ins Heimbüro, von wo manche ihren Nebenjob anleiern. Zu meinem letzten Dolmetschjob fuhr mich ein taxifahrender Journalist. Eine Journalistin, im Nebenberuf Versicherungsmaklerin, sandte mir unlängst ein Angebot zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu. Und immer mehr Journalisten machen PR.

Die eine frühere Kollegin ist Musikberichterstatterin, sie jobbt nebenbei für einen namhaften Autohersteller. Sie trennt ihre Arbeitsbereiche sauber.

Ihr Kollege ist Buchkritiker, schreibt selbst Bücher und bespricht vor allem Werke, die im gleichen Verlag bzw. in Töchtern desselben Hauses erscheinen. Sie finden das unangebracht? Ich auch. Wieder ein anderer Journalistenkollege sitzt in einem Filmfördergremium, entscheidet dabei über die Verteilung öffentlicher Mittel an Projekte — und kann dann, wenn der Film fertig ist, seine eigene Einschätzung als Filmkritiker wiederholen.
Zum Glück folgt das Publikum nicht immer den Kritikermeinungen, aber die Gegenmacht, die "Mundpropaganda" des Publikums, ist geschwächt, denn die Filmwirtschaft leidet an einem Überangebot von Filmen, die jede Woche neu starten. Den einzelnen Werken bleibt kaum noch die Zeit die es braucht, bis sich ein guter Film rumspricht und die potentiellen Zuschauer auch Zeit finden, es wirklich ins Kino zu schaffen.

Zitat: Siegfried Geißenhammer, den das Netz nur mit diesem
Satz kennt. Wer versteckt sich hinter dem Pseudonym?
Anderes Beispiel: Der Journalist, der eine Filmreihe kuratiert, ein Buch dazu veröffentlicht und in seiner angestammten Zeitung diese Reihe auch noch kritisch würdigt. Der Kollege argumentiert, er decke damit nur alle Etappen der Kommunikation ab; er hätte eben gelernt, mit den sinkenden Tantiemen auszukommen, die ihm die Zeitung zahlt. Das Problem: Die Vorstellung der Filmreihe geht über die reinen Fakten hinaus, und an keiner Stelle steht in der Zeitung, dass der Autor dieser Zeilen zugleich die künstlerische Leitung der Veranstaltung innehatte. Als Leserin empfinde ich das wie Betrug; die Zeitung, aber auch der vom Bund finanzierte Ort der Veranstaltung sinken in meinem Ansehen.

Immer mehr PR-Texte finden in redaktionelle Teile der Medien Einzug, darüber berichten Aussteiger, die sich von der Berichterstattung ab- und der reinen PR-Arbeit oder einer anderen Aufgabe zuwenden. Und sie berichten von Anrufen der Werbekunden, wenn kritische Texte zu ihren Produkten in Printmedien erscheinen, von "Medienpartnerschaften", die Kritik behindern, von unter dem Kostendruck ächzenden und nachgebenden Chefs, Verlegern oder Herausgebern.

Warum ich das hier schreibe? Als in Berlin lebende Dolmetscherin für die französische Sprache habe ich mich auf Film und Medien spezialisiert. Daher übersetzte ich jahrelang Pressehefte und dolmetschte Stars, Regisseure und andere Künstler bei Interviews, die sie vor Filmstarts gaben. Das scheint jetzt zu Ende zu sein. Eine Journalistin, die gute Kontakte zu diversen Leitmedien hat, brachte ihre Schulzeit in einem französischsprachigen Land ins Feld und deckt jetzt "alle Bereiche der Produktionskette eigenständig ab", wie mir ein Filmverleih mitteilte.

Gérard Jugnot in Berlin, verdolmetscht von der Autorin
Und natürlich stellt sie auch noch nebenbei eigene Fragen für den eigenen Beitrag. Verleiher und PR-Agenten dürfen sich dabei also sicher sein, dass der eigene Film in jenen von ihr bedienten Medien in der pole position startet. Ich spreche hier von ca. 15 Presseheften und 15-20 Tagen Dolmetscheinsätzen für die Presse jährlich; und die Person erarbeitet sich darüberhinaus immer mehr den Ruf, eine "Fachkraft" für frankophones Kino in Berlin zu sein. Andere Journalisten haben da das Nachsehen.

Die kulturelle Anerkennung für das Ergebnis ihrer Mauscheleien folgt also auf dem Fuße. Ich finde das bitter. "Medienmanipulation" wird die einseitige Darstellung von Tatsachen durch Journalisten gemeinhin genannt, wozu auch die Bevorzugung mancher Sujets (oder Filme) in der Konkurrenz des Berichtenswerten zählt. Die fragliche Person äußert sich logischerweise nur noch wohlwollend zu den Filmen, zu denen sie vorab als Honorarkraft tätig wurde.

Pikanterie am Ende: Mich kennen noch viele Journalisten, und oft darf ich mir die digital aufgezeichnete "Arbeit" der unlauteren Wettbewerberin anhören, denn vieles wird von ihr in diesen "Verdolmetschungen" grob vereinfacht, verfälscht oder ganz ausgelassen. Die anderen Berichterstatter wünschen natürlich zu erfahren, was ihnen da entgangen ist. Beim nächsten Mal bitte ich die Journalisten, den Interviewausschnitt an den Verleiher zu senden.

Résumé: Finanziell abhängige Journalisten gefährden von innen heraus die Pressefreiheit, indem sie die journalistische Ethik einer anzustrebenden Neutralität mit Füßen treten. Und ich spreche hier nicht über den Privatsender "TV Berlin", sondern von öffentlich-rechtlichen Leitmedien und von etlichen zentralen Organen der Film- und Haupstadtberichterstattung.


P.S.: Dieses Thema, Ende letzten Jahres unter Journalisten vorgebracht, löste fast nur Häme aus. Weil ich in einem früheren Leben selbst Journalistin war, haben mich diese Reaktionen doppelt entsetzt. Mir wurde unterstellt, ich sei ja nur deshalb kritisch, weil ich selbst wirtschaftliche Einbußen zu erleiden hätte (die ich durch Drehbuchübersetzungen mehr als kompensierte). Vermutlich aber sind selbst viel mehr Leute befangen, als wir als "einfache Leser" annehmen. Und natürlich habe ich hier die Fälle, Geschlechter und Medien ein wenig 'anonymisiert'.
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Fotos: C. Elias (z.T. von einer Journalisten-
fortbildung, auf der ich dolmetschte. Den Wein
erhielt ich anschließend zum Dank.)
Mehr zum PR-Journalismus bei freelens.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ein wichtiger Eintrag! Ich selbst war jahrelang als Journalist tätig, bin heute wie Sie Aussteiger.

Die Rolle des Journalismus in Deutschland hat sich verändert. Klassischerweise waren Printmedien der Motor für neue Themen, sie setzten Standards guter Recherche. Im letzten Jahrzehnt wurden die Blätter immer uninteressanter, Berufsethos verkam in der Masse der Blätter zu Lippenbekenntnissen, Lobbygruppen und Werbekunden beeinflussen heute direkter Inhalte, als dies vor 20 Jahren überhaupt erahnt werden konnte. Entschuldigen Sie bitte meine sicher unzulässige Verallgemeinerung. Natürlich gibt es fortgesetzt journalistische Leuchttürme! Aber auch hier ist nicht selten tabu, was Finanziers oder Chefs persönlich missfallen könnte (siehe die Windradaffaire beim "Spiegel").

Einer der Gründe war dafür, dass die Rendite der Verleger aus Sphären um die 20 % in niedrigere zweistellige Zahlen abrutschte. Der finanzielle Druck auf die Blattmacher stieg überproportional. Dem Publikum entging und entgeht das nicht. Der Leser wendet sich immer mehr von den Printmedien ab, was weiter sinkende Honorare zur Folge hat. Eine Abwärtsspirale setzt sich in Gang.

Was Sie über das Radio schreiben, verwundert insofern nicht. Die Blogosphere könnte sicher etliches kompensieren, nur geht doch das meiste leider im medialen Rauschen unter.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit Ihrem Blog und in der neuen beruflichen Existenz.

Ihr
M.

Heike hat gesagt…

Hi Caro,

dreh das doch mal um. Stell Dir vor, Dolmetscher würden ständig detailliert das als "Journalisten" aufschreiben, was sie gedolmetscht haben. Das geht ja auch nicht. Nee, Schuster, bleib bei Deinen Leisten ...

Und deine so unkollegiale "Kollegin" - ist ein Mann, oder? Ich sach jetzt Mal RBB, Deutsche Welle, Deutschlandradio Kultur, WDR, viel mehr Sender gibt's in der Hauptstadt ja nicht. Möge mal ein Verantwortlicher oder gar ein Pressevertreter auf diesen Link hier stoßen und dem ein wenig nachgehen.

Ich weiß, dass Dich diese Situation schon länger nervt, jetzt scheint der Moment gekommen zu sein, wo Du 'nen Strich drunter ziehst, wenn ich das richtig gelesen hab. Gut so. Fort mit Schaden! Du hast ja längst weitaus weniger anstrengende Jobs gefunden.

Aber was hier abgeht sei auch allen ins Stammbuch geschrieben, die jetzt überall neue Studienangebote "MA Mediendolmetschen" und so ins Leben rufen. Das kann ja wohl nicht der Zweck von Bologna sein, dass überall Studiengänge entstehen, die für eine Mini-Nische ausbilden, die nach ein paar Jahren besetzt ist!?! Und beim Medienübersetzen kommen (wie Du uns neulich erzählt hast) ohnehin vor allem die mehrsprachigen Regieassistenten, Schauspieler oder Regisseure zum Zuge, oder?

Cheriooooo und bis zum nächsten Stammtisch,
Heike

Vega hat gesagt…

Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind günstig. (Seneca)

Also, nimm die freigewordene Zeit und kümmere Dich um das, was Du schon immer wolltest.

Dafür halte ich Dir die Daumen!
Grüße,
Bine

André hat gesagt…

Da kenn ich auch so eine Person in unserer Branche, die sowohl ein Newsblog betreit, als auch Produkte bespricht und Konkurrenzprodukte beurteilt, während sie gleichzeitig auch Produkte erstellt und mit Dumping (sprich umsonst) andere Übersetzer aus Projekten rauskicken will. Die ständige Arroganz und Unfähigkeit Kritik an der eigenen Person zu verarbeiten und Zensur im Blog machen diese Person auch nicht liebenswerter.

Anonym hat gesagt…

Der größte Lump im ganzen Land
Ist und bleibt der Denunziant.

Anonym hat gesagt…

Jede Nachricht strahlt auf den Sender ab!