Dienstag, 24. Mai 2011

Bordell (*)

Hier schreibt eine Übersetzerin und Dolmetscherin für die französische Sprache über ihren Berufsalltag am Kreuzungspunkt zwischen (babylonischer) Sprachverwirrung, Medien, Wirtschaft, Politik und Starsystem.

"Gab's Widerspruch zu gestern?", werde ich per Mail gefragt. Gestern schrieb ich über Journalisten, die dem Objekt ihrer Berichterstattung auch noch PR-Texte widmen und/oder als improvisierte Sprachmittler erfahrenen Dolmetschern unlauteren Wettbewerb  machen. Ja, es gab zwei unflätige Zuschriften, die ich nicht hochlud. Ich habe da einen besonderen 'Freund' in meiner Leserschaft, der gern unter die Gürtellinie zielt. Da frage ich mich nur, warum sich der Anonymus das Leid antut, dieses grässliche Blog hier überhaupt zu verfolgen! Und es flatterte auch viel Zustimmung rein sowie Hinweise auf andere kritische Stimmen, die sich zum Thema äußerten. Von einem Text habe ich schon seit dem Anfang der Filmfestspiele von Cannes Kenntnis.

Bereits 2007 schrieb Rüdiger Suchsland unter der Überschrift "Cinema Moralia" auf Artechock"Filmkritik und Korruption ist ein Thema, das zu wenig beachtet wird, und mehr beachtet werden sollte. Ein Beispiel: Pressehefte schreiben. Es ist, wie ins Bordell zu gehen: Viele tun das, kaum einer redet darüber."
Als Grund dafür nennt Suchsland das Stagnieren der Honorare der Filmkritiker. Er nennt den Vorgang eine "schleichende Korruption", zeigt Verständnis für Menschen in Existenznöten — und befindet, es sei trotzdem inakzeptabel, denn derlei ruiniere einen ganzen Berufsstand. Suchsland nennt nach ersten Beispielen den "Fall eines — im Übrigen persönlich recht sympathischen — Berliner 'Kritikers', der 2006 für einen Film das Presseheft verfertigte, bei den Interviews für die Kollegen dolmetschte, um dann noch gleich selbst ein Interview im Radio zu veröffentlichen und eine Kritik in einem Magazin schrieb."

Suchsland macht die Grenze zur Korruption an der Transparenz fest. (Das habe ich letztens auf einem Podium auch so gefordert.) Wenn ein Journalist ein Interview führt, dessen Tranksript ins Presseheft Eingang findet, sollte dieses namentlich gekennzeichnet sein. So lägen die Karten für alle offen auf dem Tisch, so der Kritiker der Filmkritik. Und er schließt mit dem lakonischen Satz: "Aber vielleicht sollte man sogar das lassen."

Und dann kommt gleich noch ein Schluss. Ein heftiger sogar. Suchsland nennt das Nicht-darüber-Reden einen anderen Aspekt der Korruption. Denn eine Krähe hacke der anderen kein Auge aus, so argumentiere man "in der Branche". Das fulminante Ende (dieses Gedankens): "Täte der Filmkritik nicht ein wenig mehr Kritik der Kritik gut, ein beim-Namen-nennen der Dinge. Wer korrupt ist, muss auch korrupt genannt werden. Und wer dumm ist, dumm."

Er nennt keine Namen. Warum? Suchsland beendet seinen Beitrag zum 3. Mal, und zwar mit den Worten: "Es gibt nicht nur Kadavergehorsam, sondern auch Kadaversolidarität."

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Foto: privat
(*) über [bɔrdɛl] schrieb ich bereits hier.

6 Kommentare:

G.W. hat gesagt…

Suchsland hat Recht: Das sagt man nicht laut, man schreibt auch nicht drüber.

Andres Thema!

Grit

Anonym hat gesagt…

peinliche moralinsaure selbstgerechtigkeit trifft hier aus vielen zeilen und wer es an- oder ausspricht wird zensiert

caro_berlin hat gesagt…

@Anonymus: trifft oder trieft?

Egal, mich trifft's nicht. Moralinsauer? Ich erinnere nur an das Ethos eines Berufsstandes. Peinlich, ja, dass es soweit kommen musste.

Anonym hat gesagt…

Du meinst wohl Jörg T. alias Niklas Becker? Siehe NRD-Affaire
Komisch, dass das bislang niemandem auffällt.

... ein anderer Anonymus

M. hat gesagt…

Der Mann hat wohl noch nie vom journalistischen Ehrencodex gehört. Man lässt sich nicht von dem Unternehmen bezahlen, über dessen Produkt man berichtet, und dann auch noch so direkt! Pfui!

Möge sich doch mal einer der Rundfunkräte von Deutschlandradio oder ZDF oder ARD oder rbb oder eine Aufsichtsbehörde oder aber der Presserat oder der Journalistenverband, der diesem "Kollegen" seinen Presseausweis gab, des Falls annehmen! Es ist hohe Zeit!

Maxim

Anonym hat gesagt…

Hi Caro,

wir trafen uns einst an der Uni Potsdam, Deine Seminare waren echt Highlights. Da macht mich traurig und wütend, was ich hier lesen muss! Lass Dir nicht die Butter vom Brot nehmen! Und schau mal hier

§ 3 Unabhängigkeit der Berichterstattung

(4) Freie Journalisten können gleichzeitig PR-Aufträge annehmen. Sie sind sich jedoch darüber im Klaren, dass sie zwischen PR-Auftraggeber und journalistischem Berichterstattungsgegenstand strikt trennen müssen. Ein Verstoß gegen diese Trennung wird vom Präsidium des DFJV geahndet.
(Hervorhebungen von mir)

Warum kümmert sich nicht der Berufsverband um solche schwarze Schafe? Ich denke, die anderen Verbände, DJV, DJU/Verdi und Freischreiber verfolgen die gleichen Absichten. Du bist nicht allein! Und auch die Medienaufsichtsbehörde MABB dürfte das interessieren!

Lass Dich nicht unterkriegen!! Und unterrichtest Du noch und wenn ja, wo? Ich fand im Netz bei der schnellen Suche nix ...

Grüße aus HH,
Steffen