Beim Dolmetschen muss ich immer auch das sprachliche Hinterland der Begriffe und den kulturellen Kontext im Kopf haben. Das macht Menschen wie mich auch zu Kulturvermittlern.
Neulich habe ich in Berlin bei einer Kaffeepause auf einer Renovierungsbaustelle laut über eine Verbesserung des Umbauplans nach französischem Vorbild nachgedacht. Die Kundin, eine mit einem Franzosen verheiratete Deutsche, hat gut hingehört und dann dem Architekten, der zwischendurch im Nebenzimmer zum Telefonieren war, neue Aufgaben gegeben. Sowas freut mich sehr und bringt mich zum Nachdenken über ein Bauthema!
Die etwas anderen Passagen
Es heißt, ein Volk spiegele sich in seiner Architektur wider. Wenn das stimmt, dann sind wir Deutsche ein Volk der Flurmenschen – geordnete Übergangsbereiche, wo nichts verweilen darf, außer vielleicht die eigene Ungeduld. Als Dolmetscherin auf Baustellen, eines meiner Fachgebiete, wo Kulturen und Baugewohnheiten aufeinanderprallen, sehe ich dieses Thema oft.
Schon wieder klingelt das Telefon, Bauplanung einer Altbaurenovierung in Schöneberg. Kurz drauf stehen wir im Flur nämlicher Behausung. Wir, das sind ein deutscher Architekt mit seiner Präzision, der amerikanische IT-Manager mit der Begeisterung eines Menschen, für den open concept living eine Religion zu sein scheint, die französische Raumausstatterin, die unlängst in einer angesagten Wohnzeitschrift eine eigene Bilderstrecke hatte und eben ich als Dolmetscherin. Der Flur ist etwas breiter und links wurde eine aufgeständerte Wand bereits abgetragen. Madame hat eine Vision: Je vois à gauche et à droite des placards, cachés derrière des boiseries, que nous prolongerons jusqu'à la salle à manger, qu'en pensez-vous ? (Ich kann mir hier links und rechts gut Wandschränke vorstellen, hinter Vertäfelung versteckt, die wir bis zum Esszimmer verlängern, was halten Sie davon?)
Der deutsche Flur: Ein Raum ohne Identität
Beginnen wir bei uns: Der Flur ist in Deutschland zumeist ein langer, meist schmaler Korridor mit Türen rechts und links, zweckmäßig und nüchtern, als würde er einen auffordern, sich dort bitte nicht über einige Sekunden aufzuhalten. Solche Flure wirken wie eine lieblos geplanter Durchgang einer U-Bahn-Station. Sie verbinden, haben aber keinen eigenen Wert.
Schon wieder klingelt das Telefon, Bauplanung einer Altbaurenovierung in Schöneberg. Kurz drauf stehen wir im Flur nämlicher Behausung. Wir, das sind ein deutscher Architekt mit seiner Präzision, der amerikanische IT-Manager mit der Begeisterung eines Menschen, für den open concept living eine Religion zu sein scheint, die französische Raumausstatterin, die unlängst in einer angesagten Wohnzeitschrift eine eigene Bilderstrecke hatte und eben ich als Dolmetscherin. Der Flur ist etwas breiter und links wurde eine aufgeständerte Wand bereits abgetragen. Madame hat eine Vision: Je vois à gauche et à droite des placards, cachés derrière des boiseries, que nous prolongerons jusqu'à la salle à manger, qu'en pensez-vous ? (Ich kann mir hier links und rechts gut Wandschränke vorstellen, hinter Vertäfelung versteckt, die wir bis zum Esszimmer verlängern, was halten Sie davon?)
Der deutsche Flur: Ein Raum ohne Identität
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Abstellen dürfen wir da höchstens irgendwo Schuhe oder Jacken, aber wehe, jemand würdigt nicht, dass die Schuhablagen symmetrisch zur Garderobe stehen! Doch die Architektur lässt oft wenig Spielraum für Experimente.
Und als ich genau das bei der Bauplanbesprechung anspreche, legt der deutsche Architekt seine Stirn kunstvoll in Falten: „Der Flur gehört zur deutschen Wohnkultur. Er gibt Struktur. Orientierung!“
USA: Vom Windfang oder Veranda direkt auf die Couch
Anders dagegen unsere Freunde in den USA, wo es oft keinen Flur gibt. Wir treten ein und stehen — zack! — mitten im Geschehen. Eben über die Schwelle getreten, sehe ich auf Sofa und Küche. Als ich das mal einer französischen Freundin erzählt habe, meinte die nur: Ils n’ont pas honte?
Und ja, es ist gewöhnungsbedürftig, und natürlich haben die Amis auch Dinge zu verstecken. Das erste Mal, als ich in ein amerikanisches Haus kam, nahm mir die Gastgeberin Mantel und Rucksack ab, die fand ich später auf dem Bettüberwurf im Schlafzimmer wieder, und rief jovial: Make yourself at home! Das amerikanische "Versteckgut" sehe ich später im Hauswirtschaftsraum: Vorräte für zwei Wochen Eingeschneitsein inmitten von Kalifornien, und ein Schuhschrank stand im Durchgang zur Garage. (Andere Dinge wanderten in begehbare Kammern, the closets.)
Das Konzept des offenen, flurlosen Wohnens hat was. Es vermittelt Wärme. Du bist sofort willkommen. Keine Trennung, keine Übergänge, einfach rein ins Leben.
Frankreich: Die Wandschrank-Oase
Und dann Frankreich, das Heimatland der placards – diese unsichtbaren Wandschränke, die jeden Flur, viele Bäder und Zimmer zur perfekten Bühne machen: Kein Schuh, keine Jacke, weder Tasche, Tiegel oder Waschmaschine stören die Ästhetik. Hinter den Schranktüren, die wandhoch fest montiert sind, sind alle Siebensachen verborgen. Wunderbar! Unsichtbares Chaos!
Bei einer Besichtigung in Paris, es ging eigentlich um energieeffiziente Architektur, zeigte mir ein Bauleiter stolz die 15 Türen einer Wohneinheit. Ich dachte zunächst, ich hätte mich in einen Showroom für Schranktüren verirrt. Aber nein, Wohnflur mit Türen im Stil rustikaler Holzvertäfelung, die Küche mit neutralen Türen mit Lotuseffekt, Spiegeltüren an Kleiderschränken, Tafelfarbe auf den Kinderzimmertüren. C’est beau, c'est propre !, warb er stolz, schön und sauber!
Wie anders als in Deutschland, wo wir für jeden Gegenstand eine andere Lösung haben: Garderobe, Schuhregal, Schlüsselbrett, Schirmständer, Hutablage. Der Flur wird zum Museum des Alltags. Praktisch mag das sein, es ist aber weder elegant noch putzpraktisch.
Fazit: interkulturelle Flurästhetik
Die Diskussion auf der Baustelle endet mit einem Kompromiss: Ein Flur in amerikanischer Luftigkeit, der durch (wenige) französische Wandschränke aufgepeppt wird, und mit deutscher Zimmertür: Als der amerikanische Projektmanager vorschlägt, die Wand zwischen Flur, Esszimmer und Wohnzimmer rauszureißen, erntet er entsetztes Schweigen. Naja, kommt ohnehin nicht infrage ... tragende Wand!
Als Dolmetscherin auf dem Feld der kulturellen Schnittmengen kann ich sagen: In den meisten deutschen Fluren ist noch viel Luft nach oben, was die Gestaltung angeht (wenn sie nicht mangels trockener Kellerräume zugunsten versteckten Stauraums für seltener genutzte Habseligkeiten abgehängt wurden). Wir dürfen dank Anregungen aus anderen Ländern unseren Nichtort Flur neu erfinden. Ich fühle mich wohl als Vermittlerin auch bei faszinierenden architektonischen Missverständnissen, beschenkt und bereichert.
Was sagt Ihr? Lieben wir den Flur? Hassen wir ihn? Oder stehen wir einfach nur drin, ohne zu wissen, warum?
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Illustration: pixlr.com

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