Montag, 6. Januar 2025

Montagsschreibtisch (74)

Aus dem Ar­beits­all­tag der Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen be­rich­te ich hier, ge­nau­er: Hier schreibt ei­ne Dol­met­sche­rin mit Mut­ter­spra­che Deutsch. Ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Als Zeit­ge­nos­sin do­ku­men­tie­re ich im­mer auch ein we­nig un­se­re Epo­che. Blick auf den Schreib­tisch.

TV-Grafik: "L'amour toujour", der Untertitel: "l'amour toujours".
TV-Pro­gram­me sind stil­bil­dend
Heu­te kam die An­fra­ge rein, ei­nen eher über­sicht­li­chen fran­zö­sischen Ge­sell­schaf­ter­ver­trag durch­zu­se­hen, der mit­tel­s KI ins Deut­sche über­tra­gen wur­de. Ich ver­an­schla­ge ei­nen gan­zen Dol­metscher­ar­beits­tag und emp­feh­le, die Ver­sion noch von ei­nem Fach­an­walt ge­gen­le­sen zu las­sen, denn die Rechts­sys­te­me sind nicht deckungs­gleich.

Damit wird sogar ein zwei­tes Ho­no­rar fäl­lig. Bei ju­ris­tisch re­le­van­ten Tex­ten müss­te das selbst­ver­ständ­lich sein.

Im­mer häu­fi­ger se­he und le­se ich, dass die Men­schen da­mit eher lax um­ge­hen. Das ist ein Phä­no­men der Zeit. Die Ent­wick­lung wird so lau­fen: Ent­we­der be­kom­men wir bald al­les Ju­ris­tische auf Eng­lisch (oder auf Chi­ne­sisch), oder aber es wer­den über­all wie­der Pro­fis hin­zu­ge­zo­gen.

Auch an­de­ren Stel­len wün­sche ich mehr Feh­ler­be­wusst­sein. Im­mer häu­fi­ger fällt auf, dass in den öf­fent­lich-recht­li­chen Me­di­en auf Dol­met­scher ver­zich­tet wird. Die Leu­te müs­sen Eng­lisch spre­chen, so­gar bei Ar­te. Feh­ler sind pro­gram­miert. Un­e­le­gant ist es ohn­ehin. Ich er­in­ne ein wei­te­res Mal an Hans-Diet­rich Genscher (*), den ich 2010 ver­dol­met­schen durf­te. Zi­tat: "Auf Eng­lisch sa­ge ich, was ich sa­gen kann, aber in mei­ner Mut­ter­spra­che sa­ge ich, was ich sa­gen will."

Im­mer we­ni­ger Re­dak­ti­o­nen fra­gen nach (oder su­chen nach der In­fo im Netz), wie dies oder das nun wirk­lich ge­schrie­ben wird. An man­geln­der Kennt­nis des "Neu­lan­des" In­ter­net scheint es nicht zu lie­gen, schie­len doch ex­akt die­se von mir im­mer hef­tig als Maß­stab ver­tei­dig­ten Me­di­en bei der Be­set­zung von Mo­de­ra­to­ren­stel­len in Rich­tung In­ter­net.

Das ver­mut­lich be­kann­tes­te TV-Kul­tur­ma­ga­zin möch­te ei­nen frau­en­feind­li­chen In­flu­en­cer mit der Mo­de­ra­ti­on be­auf­tra­gen, weil es ein aus dem Netz be­kann­tes Ge­sicht ist. Lie­be An­stal­ten, er­laubt mir den et­was ba­sa­len Witz, der al­ler­dings ziem­lich treff­end ist: Das Wort In­flu­en­cer klingt sich nicht zu­fäl­lig ge­nau­so wie ei­ne kur­ze und hef­ti­ge Er­kran­kung. Al­so bit­te nicht. Auch das geht vor­bei.

Eine an­de­re TV-Mo­de­ra­ti­on be­rich­tet heu­te Mor­gen über die Ver­lei­hung der 82. Golden Globes und nennt sie den Auf­takt der "Ver­lei­hungs­sai­son". Da­hin­ter steckt der Be­griff award season. Das eng­li­sche Wort season be­deu­tet auf Deut­sch so viel wie "Jah­res­zeit". Wie wär's mit "Jah­res­zeit der Film­prei­se"? Die Os­cars wer­den am Sonn­tag, dem 2. März 2025, ver­ge­ben. Passt.

De­mi Moore, Preisträ­ge­rin der Golden Globes ap­pel­liert an uns, ihre Ge­schlechts­ge­nos­sin­nen, und der O-Ton da­run­ter ist noch gut zu hö­ren: put down the mea­su­ring stick. Der Re­por­ter über­trägt das wört­lich: die Frau­en mö­gen "die Mess­la­t­te bei­sei­te­le­gen".

Die Sen­der ha­ben ei­nen Bil­dungs­auf­trag, dem sie oft ge­nug mit zu sei­chen In­hal­ten nicht nach­kom­men. Zu kom­ple­xe Be­grif­fe schreck­en aber auch ab, ge­ra­de in der Kul­tur­be­richt­er­stat­tung. Ich fürch­te, dass die Ge­ne­ra­ti­on mei­nes Pa­ten­zieh­sohns das Wort "Mess­la­t­te" nicht mehr kennt. Die ein­fa­che­re Über­tra­gung wä­re al­so hier ge­we­sen: "sich nicht mehr mit an­de­ren (zu) mes­sen / zu ver­glei­chen".


Mein P.S. zur Il­lus­tra­tion: Zwei Tipp­feh­ler in ei­nem Bild, und zwar im sa­ti­ri­schen Jah­res­rück­blick der Sen­dung "Fron­tal": "sa­ti­risch" schreibt sich klein (und Men­schen (ver)­ler­nen auch durch Me­dien­kon­sum Recht­schrei­bung). L'amour tou­jours wur­de von der Per­son, die die Un­ter­ti­tel re­di­giert hat, rich­tig ge­schrie­ben, in der Fern­seh­gra­fik nicht. Den Jah­res­rück­blick von Wer­ner Doyé und An­dre­as Wie­mers kann ich sonst sehr emp­feh­len!

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Fo­to: Fron­tal (ZDF)
*: Hans-Diet­rich Gen­scher, dienst­äl­tes­ter
deut­scher Au­ßen­mi­nis­ter (1974 bis 1992)

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