Sitzfleisch |
Der erste Blick
Es geht um eine Zeitschrift, eine Mischung aus Kultur und Wirtschaft, ich habe die Texte gesehen, sie sind komplex und setzen viel Recherche voraus, denn die Begriffe sind in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen eindeutig definiert. Für den anspruchsvollen Text, etwas mehr als 100.000 Anschläge, wurde mir ein Pauschalbetrag von 1.700 € angeboten. Zu liefern wäre innerhalb von 14 Tagen. Auf den ersten Blick klingt es nach einer hübschen Summe. Ist es nicht, und viel Text für die knappe Zeit.
Für dieses Honorar und den Zeitrahmen müsste ich mich aber beeilen, könnte nur oberflächlich oder gar nicht recherchieren und den Text "rüberpfuschen", anstatt ihn sorgfältig zu bearbeiten.
Der Vergleich mit dem Urheberrecht macht die Lage besonders brisant: Übersetzer:innen schaffen ebenso wie Autor:innen neue Werke, basierend auf dem Originaltext. Doch eine finanzielle Beteiligung am Erfolg des Werks wird uns oft verweigert. Das ist ein rechtlich fragwürdiger Zustand. Vor allem bei Fachtexten und Sachbüchern, die sich gut verkaufen, ist dies eine gängige Praxis. Gewisse Kreise sparen an uns, deren Arbeit das Fundament des gesamten Projekts im Land der Zweitverwertung bildet.
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Illustration: pixlr.com (Zufallsfund)
Der zweite Blick: Dumping
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie niedrig dieses Honorar ist. Der Text ist 100.000 Anschläge groß, etwa 67 Normseiten, gut 25 Euro pro Seite für einen schwierigen Text und Termindruck ist unterbezahlt. Übersetzen bedeutet nicht, einfach nur Wörter hin- und herzuschieben bei der Übertragung von einer in die andere Sprache. Wir übersetzen auch immer das "Hinterland" mit, die Begriffe haben je Sprache andere Bezüge, Redewendungen sind anders, kurz: Der Text soll sich am Ende so lesen, als wäre er in der Zielsprache geschrieben worden. Bei Sachtexten wie diesem sind Fachkenntnisse und Recherche essenziell.Für dieses Honorar und den Zeitrahmen müsste ich mich aber beeilen, könnte nur oberflächlich oder gar nicht recherchieren und den Text "rüberpfuschen", anstatt ihn sorgfältig zu bearbeiten.
Vergleich mit anderen Sachtexten
Nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG), das für gerichtliche oder administrative Übersetzungstexte gilt, liegt das Mindesthonorar bei 1,80 Euro pro Normzeile (55 Anschläge). Für diesen Text wären das 3.274,20 Euro. Wegen Schwierigkeitsgrad und Zeitknappheit wäre das allerdings ein höherer Satz, das JVEG sieht 1,95 Euro je Normzeile vor, in Summe 3545,45 Euro. Andere Abrechnungsmodelle, etwa nach Wortanzahl des Ausgangstexts, sind ebenso gebräuchlich: Bei 25 Cent pro Wort landen wir bei über 4.000 Euro. Warum erwartet hier jemand, dass professionelle Übersetzer:innen hier für weniger als die Hälfte arbeiten?Mythos "Kulturbetrieb"
Buch- und Zeitschriftenverlage zahlen notorisch schlecht. Die freie Wirtschaft, selbst im Mittelstand, bietet oft doppelt so hohe Honorare. Dabei sind Übersetzer:innen nicht einfach kreative Hobbyist:innen, die nebenbei ein wenig dichten, sondern hochqualifizierte Profis, die von ihrer Arbeit leben müssen, nicht erst in Zeiten der allgemeinen Teuerung.Der Vergleich mit dem Urheberrecht macht die Lage besonders brisant: Übersetzer:innen schaffen ebenso wie Autor:innen neue Werke, basierend auf dem Originaltext. Doch eine finanzielle Beteiligung am Erfolg des Werks wird uns oft verweigert. Das ist ein rechtlich fragwürdiger Zustand. Vor allem bei Fachtexten und Sachbüchern, die sich gut verkaufen, ist dies eine gängige Praxis. Gewisse Kreise sparen an uns, deren Arbeit das Fundament des gesamten Projekts im Land der Zweitverwertung bildet.
Solidarität statt Unterbietung ...
Dass solche Angebote immer häufiger kommen, ist kein Zufall. Es gibt leider immer wieder Menschen, die aufgrund finanzieller Nöte ein solches Honorar akzeptieren müssen. Hier wird jede Kritik schwierig. Aber es gibt auch den berühmten Fall Ehegespons von Staatsanwält:innen oder Chefchirurg:innen, Menschen, sich langweilen und sich sogar ihrer kleinen Nebenverdienste rühmen. Wer sich auf solche Bedingungen einlässt, schadet dem gesamten Berufsstand.Unsere Arbeit ist kein Hobby
Die Wahrheit ist: Niemand kann hochwertige Texte für einen Dumpingpreis liefern. Übersetzen ist keine Fließbandarbeit, sondern ein schöpferischer Prozess. Es braucht Zeit, Wissen und Präzision. Wer die Übersetzung eines anspruchsvollen Textes so schlecht vergütet, signalisiert nur eines: Unsere Arbeit wird nicht geschätzt. Anders als bei der "Erfahrung" mit der KI braucht Qualität ihre Zeit. Wir haben unser Handwerk gelernt, meistens lange studiert, Berufserfahrung gesammelt. Wir sind keine "flexiblen Kostenfaktoren", die nach Belieben kürzbar sind.Was nun?
Die Redakteurin rühmte die Höhe des Honorars, und mein Kopf denkt: "Puh, die Gratiskultur der KI hat ihre Sinne getrübt!" Ohne, dass ich das ausgesprochen hätte, meinte sie allen Ernstes, sie würde den Text sonst mittels KI übertragen und so ins Lektorat schicken. Sie hat das wohl als Drohung gemeint.Ich bin nicht erpressbar
Im Grunde wäre ein solcher Vorgang fast wünschenswert, könnte doch ein solcher Output den entsprechenden Verlag in eine peinliche Lage bringen, wenn Fachtexte plötzlich voller grob redigierter Übersetzungsfehler stecken. Vielleicht würden das dann andere Medien aufgreifen und die Gefahren der KI und des Preisdumpings wären "Stadtgespräch". Ich darf doch mal träumen ...
Illustration: pixlr.com (Zufallsfund)
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