Mittwoch, 8. Januar 2025

Wir sind keine "flexiblen Kostenfaktoren"

Als Kon­fe­renz­dol­metscher­in ist Fran­zö­sisch meine Haupt­ar­beits­spra­che, ich dol­met­sche in beide Rich­tun­gen (oder, was sel­te­ner vor­kommt, aus dem Fran­zö­si­schen ins Eng­li­sche). Deutsch ist meine Mut­ter­spra­che, da­her gilt für das Über­set­zen, den sprach­li­chen Trans­fer von Tex­ten, dass Deutsch die häu­figs­te Ziel­spra­che ist. Die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt ins Eng­li­sche. Heu­te ein The­ma, das in­di­rekt mit der KI zu tun hat.

Frau am Schreibtisch
Sitz­fleisch
Noch bin ich offi­ziell nicht im Bü­ro zu­rück, er­hal­te aber schon ver­zweifelte An­ru­fe wie den ei­ner po­ten­tiel­len Kun­din, die einen Auf­tr­ag ver­ge­ben möch­te.

Der erste Blick
Es geht um ei­ne Zeit­schrift, ei­ne Mi­schung aus Kul­tur und Wirt­schaft, ich habe die Tex­te ge­se­hen, sie sind kom­plex und set­zen viel Re­cher­che vor­aus, denn die Be­grif­fe sind in den ver­schie­de­nen Wis­sen­schafts­be­rei­chen ein­deu­tig de­fi­niert. Für den an­spruchs­vol­len Text, et­was mehr als 100.000 An­schlä­ge, wur­de mir ein Pau­schal­be­trag von 1.700 € an­ge­bo­ten. Zu lie­fern wä­re in­ner­halb von 14 Ta­gen. Auf den ers­ten Blick klingt es nach ei­ner hübschen Sum­me. Ist es nicht, und viel Text für die knap­pe Zeit.

Der zwe­ite Blick: Dum­ping
Ein Blick auf die Zah­len zeigt, wie nied­rig die­ses Ho­no­rar ist. Der Text ist 100.000 An­schlä­ge groß, et­wa 67 Norm­sei­ten, gut 25 Eu­ro pro Sei­te für ei­nen schwie­ri­gen Text und Ter­min­druck ist un­ter­be­zahlt. Über­set­zen be­deu­tet nicht, ein­fach nur Wör­ter hin- und her­zu­schie­ben bei der Über­tra­gung von ei­ner in die an­de­re Spra­che. Wir über­set­zen auch im­mer das "Hin­ter­land" mit, die Be­grif­fe ha­ben je Spra­che an­de­re Be­zü­ge, Re­de­wen­dun­gen sind an­ders, kurz: Der Text soll sich am En­de so le­sen, als wä­re er in der Ziel­spra­che ge­schrie­ben wor­den. Bei Sach­tex­ten wie die­sem sind Fach­kennt­nis­se und Re­cher­che es­sen­zi­ell.

Für die­ses Ho­no­rar und den Zeit­rah­men müss­te ich mich aber be­ei­len, könn­te nur ober­fläch­lich oder gar nicht re­cher­chie­ren und den Text "rü­ber­pfu­schen", an­statt ihn sorg­fäl­tig zu be­ar­bei­ten.

Ver­gleich mit anderen Sachtexten
Nach dem Jus­tiz­ver­gü­tungs- und Ent­schä­di­gungs­ge­setz (JVEG), das für ge­richt­li­che oder ad­mi­nis­tra­ti­ve Über­set­zungs­tex­te gilt, liegt das Min­dest­ho­no­rar bei 1,80 Euro pro Normzei­le (55 An­schlä­ge). Für die­sen Text wä­ren das 3.274,20 Euro. Wegen Schwierigkeitsgrad und Zeitknappheit wäre das allerdings ein höherer Satz, das JVEG sieht 1,95 Euro je Normzeile vor, in Summe 3545,45 Euro. An­de­re Ab­rech­nungs­mo­del­le, et­wa nach Wort­an­zahl des Aus­gangs­tex­ts, sind eben­so ge­bräuch­lich: Bei 25 Cent pro Wort landen wir bei über 4.000 Euro. War­um er­war­tet hier je­mand, dass pro­fes­sio­nel­le Über­set­zer:in­nen hier für we­ni­ger als die Hälf­te ar­bei­ten?

Mythos "Kul­tur­be­trieb"
Buch- und Zeit­schrif­ten­ver­la­ge zah­len no­to­risch schlecht. Die freie Wirt­schaft, selbst im Mit­tel­stand, bie­tet oft dop­pelt so ho­he Ho­no­ra­re. Da­bei sind Über­set­zer:in­nen nicht ein­fach krea­ti­ve Ho­b­by­ist:in­nen, die ne­ben­bei ein we­nig dich­ten, son­dern hoch­qua­li­fi­zier­te Pro­fis, die von ih­rer Ar­beit le­ben müs­sen, nicht erst in Zei­ten der al­lge­mei­nen Teuerung.

Der Ver­gleich mit dem Ur­he­ber­recht macht die La­ge be­son­ders bri­sant: Über­set­zer:in­nen schaf­fen eben­so wie Au­tor:in­nen neue Wer­ke, ba­sie­rend auf dem Ori­gi­nal­text. Doch ei­ne fi­nan­zi­el­le Be­tei­li­gung am Er­folg des Werks wird uns oft ver­wei­gert. Das ist ein recht­lich frag­wür­di­ger Zu­stand. Vor al­lem bei Fach­tex­ten und Sach­bü­chern, die sich gut ver­kau­fen, ist dies ei­ne gän­gi­ge Pra­xis. Ge­wis­se Krei­se spa­ren an uns, de­ren Ar­beit das Fun­da­ment des ge­sam­ten Pro­jekts im Land der Zweit­ver­wer­tung bil­det.

So­li­da­ri­tät statt Un­ter­bie­tung ...
Dass sol­che An­ge­bo­te im­mer häu­fi­ger kom­men, ist kein Zu­fall. Es gibt lei­der im­mer wie­der Men­schen, die auf­grund fi­nan­zi­el­ler Nö­te ein sol­ches Ho­no­rar ak­zep­tie­ren müs­sen. Hier wird je­de Kri­tik schwie­rig. Aber es gibt auch den be­rühm­ten Fall Ehe­ge­spons von Staats­an­wält:in­nen oder Chef­chi­rurg:in­nen, Men­schen, sich lang­wei­len und sich so­gar ih­rer klei­nen Ne­ben­ver­diens­te rüh­men. Wer sich auf sol­che Be­din­gun­gen ein­lässt, scha­det dem ge­sam­ten Be­rufs­stand.

Un­se­re Ar­beit ist kein Ho­b­by
Die Wahr­heit ist: Nie­mand kann hoch­wer­ti­ge Tex­te für ei­nen Dum­ping­preis lie­fern. Über­set­zen ist kei­ne Fließ­band­ar­beit, son­dern ein schöp­fe­ri­scher Pro­zess. Es braucht Zeit, Wis­sen und Prä­zi­si­on. Wer die Über­set­zung ei­nes an­spruchs­vol­len Tex­tes so schlecht ver­gü­tet, si­gna­li­siert nur ei­nes: Un­se­re Ar­beit wird nicht ge­schätzt. An­ders als bei der "Er­fah­rung" mit der KI braucht Qua­li­tät ih­re Zeit. Wir ha­ben un­ser Hand­werk ge­lernt, meis­tens lan­ge studiert, Be­rufs­er­fah­rung ge­sam­melt. Wir sind kei­ne "fle­xi­blen Kos­ten­fak­to­ren", die nach Be­lie­ben kürz­bar sind.

Was nun?
Die Re­dak­teu­rin rühm­te die Hö­he des Ho­no­rars, und mein Kopf denkt: "Puh, die Gra­tis­kul­tur der KI hat ih­re Sin­ne ge­trübt!" Oh­ne, dass ich das aus­ge­spro­chen hät­te, mein­te sie al­len Erns­tes, sie wür­de den Text sonst mit­tels KI über­tra­gen und so ins Lek­to­rat schi­cken. Sie hat das wohl als Dro­hung ge­meint.

Ich bin nicht er­press­bar
Im Grun­de wä­re ein sol­cher Vor­gang fast wün­schens­wert, könn­te doch ein sol­cher Out­put den ent­spre­chen­den Ver­lag in ei­ne pein­li­che La­ge brin­gen, wenn Fach­tex­te plötz­lich vol­ler grob re­di­gier­ter Über­set­zungs­feh­ler ste­cken. Viel­leicht wür­den das dann an­de­re Me­di­en auf­grei­fen und die Ge­fah­ren der KI und des Preis­dum­pings wä­ren "Stadt­ge­spräch". Ich darf doch mal träu­men ...

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Il­lus­tra­tion: pixlr.com (Zu­falls­fund)

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