Dienstag, 19. Mai 2020

COVIDiary (69)

Hello, bon­jour und gu­ten Tag! Hier be­rich­te ich aus mei­nem Berufsleben als frei­be­ruf­liche Konferenzdolmetscherin, derzeit wegen Coronavirus in der Zwangs­pau­se. Daher führe ich hier mein eher privates COVIDiary.

Vor 100 Jahren: Tante Therese verbringt den Sommerurlaub auf Balkonien. Damals gab es an vielen Balkonen noch Markisen und Wandgestänge, auf denen Blu­men­töp­fe standen.

Kuchentafel, Blumen, Markise, Pflanzen
Sommer auf dem Balkon
In Zeiten, in denen wir uns expandiertes Po­ly­styrol (bekannt unter dem Markennamen Sty­ro­por) auf die Mauern kle­ben lassen müs­sen, um die Häuser zu isolieren, mit Gift ge­tränk­ten Brandbeschleuniger in fester Form, hinter de­nen es leicht zu Staunässe kommt, ist sowas an­zu­brin­gen ge­setz­lich strengs­tens untersagt, denn das wä­re ja ein Eingriff in die Fassade! Als wä­re das Überkleben von Klinkerriemchen, wie man­cher­orts gesehen, kein Eingriff!

Architekturkritik beiseite, vor 100 Jahren ver­brach­te also die liebe Tante Therese den Som­merulaub auf dem Balkon, siehe Foto. Damals war das Geld knapp. Die Über­le­ben­den von Weltkrieg und Spanischer Grippe ha­ben waren in erster Linie froh, überlebt zu haben.

Auch mein Reiseziel wird heuer Balkonien sein. Damit bin ich nicht allein. Die ei­nen Nachbarn dürfen nur kurz in den Urlaub fahren, weil sie im me­di­zi­ni­schen Bereich arbeiten. Da wird nach eng­ma­schi­gem Dienstplan gereist, bitteschön, und in Pan­de­mie­be­reit­schaft geblieben. Die anderen haben in den letzten Wochen jeden dritten Tag einen Urlaubstag nehmen müssen, um die Kinder zu hüten bzw. zu unterrichten, damit der nächste Lebensmensch auch arbeiten konnte. Keine Ur­laubs­ta­ge mehr übrig!

Dann gibt es jene, die zwei Monate Kurzarbeit hinter sich haben, denen fehlt das Geld fürs Reisen. Der nächsten Gruppe auch, das sind die Solo-Selbständigen. Et­li­che haben in Berlin nicht gleich an den ersten Tagen um Hilfe nachgesucht, und der staatliche Fonds hat sie mit Bundesgeldern in Sachen Zahlungsverpflichtungen für die Monate April bis Juni gegenüber Gewerbemietern, Kredit- und Lea­sing­ge­bern rausgehauen, was toll ist! Die privaten Wohn- und Lebenshaltungskosten blieben indes Privatsache oder ein Fall für die Grund­si­che­rung (die et­li­che aus­schließt). Am Wochenende hat DER SPIEGEL darüber geschrieben.

Und ja, wir sind froh, die Verbreitung des Virus erstmal aufgehalten zu haben und gesund zu sein. Das war und ist ein gemeinschaftlicher Akt der Solidarität.

Sommer in Schwarz-Weiß
Wie derzeit in den Medien auf fast allen Ka­nä­len lautstark über die Möglichkeiten, Som­mer­ur­laub ma­chen zu können, debattiert wird, ist indes für viele eine Zumutung. Und ja, ich ver­ste­he, die Tourismusindustrie, Flug- und Bahn­ge­sell­schaf­ten üben Druck aus, da hängen Ar­beits­plätze dran. Ich denke in­des, dass Kul­tur­branche, Gesundheits­sektor, zehn Millionen Kurz­ar­beiter und heim­un­ter­rich­ten­de Eltern in der großen, großen Überzahl sind.

Wa­rum greifen sogar die öffentlich-rechtlichen Medien derart ungeniert die kaum kaschierte klien­tel­orien­tier­te Agenda der Politik auf? Und vor allem: Hat den Po­li­ti­kern noch immer nie­mand ver­mit­telt, wie sich die Coronakrise auf viele Men­schen aus­wirkt?

Ich habe Tante Therese nie kennengelernt, das Foto stammt vom Flohmarkt, nach­re­tu­schiert. Der Blog hier ist zum Teil autobiofiktional, denn ich kann und darf nicht 1:1 über meine beruflichen Erlebnisse berichten. Manche Neu­zu­sam­men­stel­lung der Umstände macht diese deutlicher beschreibbar. Ich bin mir nicht einmal sicher, wie genau, ob die Ahnfrau Therese 1920 in Berlin war. Aber Ihr wisst alle, was gemeint ist.


Berufliche Lage
— Im Mai bislang zwei halbe Arbeitstage (einer statt 12,5 ganzen Arbeitstage);
— Buchungen für Juni 2020 auf Januar und Februar 2021 verschoben;
— Buchung für September 2020 auf März 2021 verschoben;
— Es liegen keine weiteren Buchungen für 2020 vor.
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Foto: eigenes Archiv

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