Montag, 25. Mai 2020

COVIDiariy (75)

Ob geplant oder zufällig, Sie sind auf den Sei­ten des ers­ten Dol­met­scher­­blogs Deutsch­lands aus dem Inneren der Dol­metscherkabine gelandet. In diesen Zeiten allerdings ruht das Büro. Eine Pandemie macht aus meinem Blog das eher private COVIDiary. 

Heute im fran­zö­si­schen Radio gehört (sinngemäß, Programm von Sonntag): "Die Weltwirtschaftskrise, die uns erwartet, wird schlim­mer werden als in die der 1920-er Jahre." Wo hat der Öko­nom, der das gesagt hat, seine Zah­len her?

Drei Damen im Büro mit Wasserwelle, Bubikopf und Palme
Büropflanzen und -ladies (1927)

Acht Wochen lang blieb die Hälfte der Welt­be­völ­kerung zuhause, gefolgt von mo­na­te­lan­gen Einschränkungen versus zwei Jahre Weltkrieg in so vielen Ländern in­klu­­sive physischer Zerstö­rung von Hand­­werks­be­trieben, Industrie, Land­wirtschaft sowie der Repara­tionen? OK, wir sind sehr viel mehr Men­schen als damals, die Industrien kreuz und quer viel stärker verflochten, das sind sicher wesentliche Faktoren. Und die Mensch­­heit ist auch um so viel "pro­duk­tiver" durch die Technik ge­wor­den! Es zählt in der Statistik eben auch alles mit, sogar die unnützesten Dinge, in Plastik eingeschweißte Einzelportionen von Ketchup zum Beispiel oder der Plastikkgriff mit den zwei gegabelten Ärmchen am Ende, zwischen den Zahn­sei­de ge­spannt ist. (Die Herstellung solchen Mülls gehört amtlich verboten, wenn Ihr mich fragt.)

Die Folgen der Krise wird die Ärmsten der Armen treffen, hier und anders­wo. Und doch sehe ich, dass solida­ri­sche Hilfe zur Selbst­hilfe an vielen Stellen klappt. Das mag über­ra­schen, passt es doch so gar nicht ins neoliberale Menschenbild von schillernden Solitären, die nur an sich denken. Anderes überrascht auch: Afrika steht epidemiologisch über­raschend gut da, voraus­gesetzt, die Infos stimmen. Die dort weiterver­breitete TB-Impfung könnte die COVID-19-Folgen abmildern, die Krank­heit abge­schwächt durch­laufen werden, stand in einem Text, bislang eine unbestätigte Hypothese. Mangels Geld ist (von und nach) dort die Rei­se­ge­schwin­dig­keit auch langsamer, was wiederum die Ausbreitung verlangsamt.

Was sicher stimmt: Auf­grund der Erfah­run­gen mit Ebo­la nehmen die Men­schen in Afrika die Sache ernster. Schon im Januar wurden in etlichen Ländern des Kon­ti­nents die ersten Schutzmaß­nahmen getroffen. Bleibt die Angst vieler dort nicht vor der Seuche, sondern vor Hunger und Arbeitslosigkeit.

Zurück in mein Dolmetscherbüro. Meine To-Do-Liste wird täglich länger, der Tag könnte 20 Arbeitsstunden haben. Der Fortbildung nächste Etappe, es geht weiter um digitales Dolmet­schen: Fern­dol­met­schen via Internet ist an­stren­gender, das wird auch hier gesagt, es sei etwa doppelt so ermüdend wie vor Ort und mit Kol­le­gen/Kollegin neben einem.

Der Grund ist, dass die Anzahl der Vorgänge, die parallel bzw. in schnellem Wech­sel geschehen, zunimmt. Die Kommunikation mit der „Ko-Kabine“ läuft über ein Interface mit Klick­fel­dern. Das, was wir sonst mit Körper­sprache und Blicken klären — Fehlt ein Wort? Kannst du mir bitte die Zahlen aufschreiben? Willst du wei­ter­ma­chen? —, läuft parallel über ein separates "Chatfenster", also Kom­mu­ni­ka­tion mit einer Zwischen­etappe, geschriebener Sprache. Sonst, in der Box, ver­stän­digen wir uns oft durch Blicke oder verstehen ohne hin­zusehen, allein durch kör­per­sprach­li­che Signale.

Ferndolmetschen wird uns durch die Corona­zeit hindurch begleiten. Meetings, Seminar­formate an verkürzten Arbeitstagen werden wir hinterher er­gän­zend zu normalen Einsätzen auch mit Verdol­metschung aus der Ferne an­bie­ten kön­­nen. Es entsteht ein neuer Markt. Außerdem werden wir wohl für Kurz­einsätze sel­tener reisen (fliegen, bahnfahren, auswärts nächtigen), was wiederum dem Na­tur­schutz­gedanken entspricht. Großes Abwägen.

So, weiter im Text. Ich vergleiche, mit welchen natürlichen Mitteln wir am besten schall­iso­lieren können, wobei der Faktor Gewicht auch berücksichtigt werden muss: Kork, Hanf, Kokos, Stroh oder was mir sonst über den Weg läuft. Ich ah­ne, dass Hanf und Kork die Liste anführen werden, Stroh nur unter Beigabe von ir­gend­wel­chen un­sym­pathischen Stoffen zu haben sein. Kokos habe ich als ziemlich schwer in Erin­ne­rung. So, nun Vorhang auf für einen Dolmetscharbeitsplatz der Zu­kunft, nach einem prägnanten Namen suchen wir noch:

Und wieder habe ich nur au­ßer­halb des engsten Umfelds meine Mit­menschen nur digital getroffen. Mir fehlt Büroalltag, zusam­men mit Zeitgenossen. Daher auch der Gedanke, die Small office Terpbox (Arbeitstitel, aktuell auf EN, das Ent­wick­lungs­team ist inter­national) und ihr Umfeld so zu gestalten, dass andere Kol­le­gin­nen und Kollegen aus dem Kiez immer mal wieder dort arbeiten können, denn wir sind ja auch viel für NGOs tätig, die sich nicht für viel Geld in Konferenzzentren einmieten können. NOTIZ AN MICH SELBST: Mein Wohn­schlaf­zimmer braucht einen Com­pu­ter­ar­beits­platz zum Lernen und Re­cher­chie­ren, der nicht als solcher ins Auge fällt.

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Foto: eigenes Archiv, Entwurf: C.E.

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