Einst im Mai ... |
Ich hatte in der Zwischenzeit erst weiter an meinem Ordnungssystem für die Fotosammlung gearbeitet, dann war ich für den Garten unterwegs und einkaufen. Neulich habe ich eine Pflanzspirale auf dem Gehweg gefunden, Metall, kleinkindhoch, was wird da wohl bald daran emporarbeiten, Efeu oder etwas, das blüht? Die Spirale hat einige Roststellen, also habe ich nach der Möglichkeit gesucht, einen angebrochenen Topf Metallfarbe zu übernehmen. Das hat geklappt, Voraussetzung waren 2,5 Kilometer Fußweg je Strecke, dafür kein Lebensmittelladen am Wegesrand. Aber fürs Essen fehlte noch Salat, fürs Wochenende eine Zitrone, Yoghurt, Brot, Möhren.
Fröhliche Kaffeetafel mit Marlene Dietrich (1927) |
Alle Mitreisenden trugen eine Maske.
Nach nur zwei Stationen fing eine junge Frau an zu niesen, zu husten und zu schniefen. Böse, fragende und verzweifelte Blicke kreuzten einander. Der Bus hielt an einer Haltestelle.
Mich hat die Situation überfordert. Soll ich aussteigen? Sämtliche möglichen Krankheits- und Elendsbilder blitzen vor meinem inneren Auge auf. Was, wenn es nur einfacher Schnupfen, die olle Virusgrippe oder eine allergische Reaktion ist? Darf ich sitzenbleiben? Ist das Risiko hoch für mich und meine Lieben? Ist die Gefahr abschätzbar? Ich wäge ab: Rechtzeitiges Essen auftischen versus dreier weiterer Kilometer Fußmarsch. Soll ich 2,25 Euro Fahrgeld einfach vergessen? Das ist eine Menge Geld vor allem im Hinblick darauf, dass wir Konferenzdolmetscher kaum noch Einsätze haben.
Das waren zu viele Fragen für die kurze Zeitspanne, in der die Türen geöffnet waren. Der Bus fuhr wieder an. Weiter gingen fragende Blicke hin und her. An der nächsten Station stieg die junge Frau aus. Ihre Atemluft blieb im Bus zurück. Kurz bevor die Türen zugingen, bin auch ich ausgestiegen. (Und auch nachher nur noch zu Fuß gegangen. Das Tagesprogramm verschob sich. Der nächste Mitmensch hatte Verständnis.)
Im Bioladen stehe ich einige Zeit später in der Schlange, als mich eine Frau direkt anniest. Sie sagt: "Entschuldigung!", dreht sich zur Seite und niest erneut, dieses Mal direkt ins Gesicht eines anderen Kunden. Dann legt sie ihre Waren hastig neben der Kasse ab und verlässt das Geschäft.
Keine leichte Zeit, für niemanden. Neue Berufsidee: Vielleicht sollte ich hübsche Blumen-T-Shirts gestalten mit dem mehrsprachigen Aufdruck: "Sorry, ich habe Heuschnupfen!"
Abends sehe ich dann entgeistert im TV, wie in ehemaliger „Fußballgott“ mit Maske auf dem Mund gezeigt wird, die Nase ist nicht bedeckt. Dann den Koch eines niedersächsischen Restaurants, der sich im Grundton einer Beschwerde darüber äußert, dass man doch alles „vorschriftsmäßig“ befolgt habe als wäre völlig ausgeschlossen, dass es mehrere Infizierte gibt, wo auf einmal die 70 Menschen in Quarantäne herkämen. Er trägt den Mund-Nase-Schutz wie einen Rollkragen. Ein kurzer Zwischenschnitt zeigt, wie der Ton aus der Ferne geangelt wird, aber trotzdem. Angesichts der grassierenden Verschwörungstheorien und Hetzereien empfinde ich das als fahrlässig.
Sonntag war Zeitung- und Buchlesen angesagt, Stecklinge schneiden, Haushalt, Buchrecherche, ein Spaziergang. Business as usual. Später zur virtuellen Kaffeetafel mit Studienfreundinnen und -freunden. Die fand natürlich nur virtuell statt. Deshalb nehme ich als Illustration meiner Raum-Zeit-Reisen ein altes, nachillustriertes Foto von 1927. (Das Original ist besser.) Und immer kurz das Erschrecken: Wie nah die beieinanderhocken!
Hofgarten mit Blüten Wildes Zäunchen für die Gartenregenwürmer |
Fotos: C.E. / eigenes Archiv. Bilder in
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