Freitag, 22. Mai 2020

COVIDiary (72)

Bonjour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Gerade schreibe ich vom Büro aus, das seuchenbedingt brachliegt. Derzeit können wir unsere Kunden nicht persönlich treffen. Lösungen wie Dolmetschen via Internet aus der Ferne werden gerade er­probt.

Autos von oben, Balkon, Uferbäume
Hupender, stehender Autoverkehr
Dieser Tage führe ich viele Te­le­fon­ge­sprä­che mit Kunden, die sich die Sache mit dem Ferndolmetschen nicht vorstellen kön­nen. Sie haben aber schon grund­sätz­lich Mühen sich vorzustellen, wie wir über­haupt arbeiten, wie das klappen kann, zu­gleich zu hören und zu sprechen. (Wenn Sie mich fragen: Ich weiß das auch nicht. Ich mache es einfach.)

Unsere Arbeit ist Ergebnis jahre- bis jahr­zehn­te­lan­ger Aus­bil­dung, da geht es uns wie Tänzern, Anwältinnen, Sängern und Jongleurinnen. Damit nicht genug, der Be­griff lifelong learning stammt bestimmt von einer Dolmetscherin, denn das ist die Essenz unseres Alltags.

Manche Menschen, zum Beispiel Bäcker, mag das überraschen. Das Bäcke­rei­hand­werk blieb mit seinen Grundlagen und Gesten über Jahrhunderte stabil, nun gut, Technik kam hinzu, Ausbildungsordnungen, Verwaltungskram. Das tägliche Brot von Sprach­ar­bei­te­rin­nen entwickelt sich indes ständig weiter, es entstehen neue Begriffe und Zu­sam­men­hän­ge, neue Autoren treten auf die Bühne, Politikerinnen und Stars; Ti­tel, Theo­rien und Thesen dürfen wir kennenlernen und geistig ver­ar­bei­ten.

Die jetzige Herausforderung trifft uns Dolmetscherinnen und Dolmetscher also auch an unserer starken Seite. (So wie an der schwachen, da Kom­mu­ni­ka­tion im Kern aus Begegnungen besteht und die ja derzeit nicht direkt möglich sind.)

Sofern die Internetleitung sicher steht, alle ein Headset benutzen, regelmäßig die Stummtaste drücken, den Rednerinnen und Rednern nicht beim Vortragen die Pfer­de durchgehen und wir genügend Zeit und Material zur Vorbereitung be­kom­men, können wir auch via Internet dolmetschen. Wir entwickeln derzeit Schritt für Schritt alle Parameter dieses Settings weiter, werten alle bisher ge­mach­ten Er­fah­run­gen aus, berücksichtigen Hinweise der Berufsverbände, beraten Tech­nik­an­bie­ter, die uns unterstützen.

We’re paid for preparation, performance is for free. 80 Prozent unserer Zeit ver­brin­gen wir mit der Vorbereitung, das war schon immer so. Die Corona-Epidemie hat den Schnitt für Monate auf 90, 95, ... Prozent raufgesetzt.

Danke fürs Lesen dieser Zeilen und Mitdenken! Sie wissen jetzt selbst, dass wenn Ihnen jemand Dolmetschdienstleistungen mit dem Tenor: „Fünf Minuten nach der Kontaktaufnahme kann Ihre Dolmetscherin loslegen!“ anbietet, die Sache gewaltig hinkt, es sei denn, es geht um die Schadensfeststellung eines Autounfalls oder et­was in der Art.

Sprechen Sie uns an!

Vokabeln
Ferndolmetschen, aus der Ferne dolmetschen, von manchen als RSI bezeichnet, Re­mote Simultaneous Interpreting, auch Video Remote Interpreting (VRI) habe ich schon gehört, bezeichnet stets den Einsatz professioneller Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die sich nicht an ein- und demselben Ort mit den zu Ver­dol­met­schen­den befinden.

Was sonst geschah: Heute saß ich selbst in digitalen Konferenzräumen, von mor­gens bis zum späten Abend. Dut­zende Wortarbeiterinnen haben ein­an­der fort­ge­bildet. Die Coronapause dient auch dazu. Tagsüber war Wo­chen­markt vor dem Haus und der erste Stau mit Hupkonzert seit einem knappen Vierteljahr. Wie be­fremd­lich das plötz­lich gewirkt hat!

______________________________
Foto: C.E.

Keine Kommentare: