Freitag, 4. Februar 2011

Herr Wachtmeister! (Billy Wilder, die 2.)

« Vous conduisez comme une pauvre andouille !»
Zum Vergrößern bitte anklicken.
Wie hat man wohl in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts gesagt, wenn sich jemand als schlechter Fahrer erwies: Jemand fährt wie ein Henker? 
Wie ein Dummkopf? 
Wie ein Rindvieh?

Es ist Donnerstag Nachmittag, ich sitze am Film, den ich am gleichen Abend im Babylon Mitte simultan einsprechen soll: "Mauvaise graine" ist das Regiedebut Billy Wilders, das er 1934 in Frankreich gab. Ich hatte nach längerem Suchen die Kopie des Films im Berliner DVD-Verleih Videodrom und die Liste der englischen Untertitel im Netz gefunden.

Als Filmdolmetscherin bin ich meine eigene Technikerin, wenn ich nicht gerade für die Kinemathek oder die Berlinale arbeite (wobei wir dort in der Regel die Wettbewerbsfilme vorab nicht zu sehen bekommen, was wohl aus Angst vor Piraterie geschieht). Wer sich wie ich lieber intensiv vorbereitet, braucht Kontakte (für die Filme), Ausdauer und Technikkenntnisse. Für den Film aus den Dreißigern, der im Autodiebmilieu spielt, lernte ich, Untertitel aus dem Netz zu "saugen" und sie umzuformatieren. Dann speicherte ich die Liste als Word-Datei ab, löschte Leerzeichen (was bei einem halbstündigen Privattelefonat nebenbei geschah) und setzte sie am Ende auf Querformat, erspare später im Kino den Zuschauern, möglicherweise vom Leselicht gestört zu werden.

Letzter Durchlauf im Taxi: Am Kotti tanzen die Clowns
Im Studiokino des Babylon am Rosenthaler Platz gibt es keine Dolmetscherkabine, hier werde ich wieder hinten vor der Tür zum Vorführraum sitzen und simultan die deutsche Fassung des Films einsprechen, und zwar alle Rollen. Deshalb muss ich immer, wenn's Schlag auf Schlag geht, den Text verknappen, denn ich brauche ja zwischendurch Zeit zum Atmen.

Aber bis das leichte Kürzen dran ist, kennt meine Arbeit viele Phasen: Film ansehen, sich reindenken/-lesen (Hintergrund), prüfen, wie gut die englischen Untertitel sind, die mir vor allem als Orientierung dessen dienen werden, was als nächstes kommen wird. Dann sehe ich den Film ein zweites Mal, notiere die französischen Redewendungen immer dann, wenn sie sehr stark von den englischen Untertiteln abweichen, und schreibe die eine oder andere deutsche Übersetzung daneben.

Verkabelungen
Der Aufwand lohnt sich: Im Kino kenne ich die Tempi des Films und der Sprecher, weiß, wann ich mich kurz zurücklehnen darf, denn Filmdolmetscher sprechen nicht nur alle Rollen, sondern auch gleich noch den ganzen Film ein. Zum Vergleich: Auf Konferenzen wechseln wir uns alle halbe Stunde ab, denn die hochkonzentrierte Arbeiten ist ermüdend.

Am frühen Abend fahre ich per Taxi zur Arbeit, weil ich im Wagen nochmal in Ruhe einige Szenen durchgehen kann. Eine halbe Stunde vor Beginn bin ich am Rosenthaler Platz.

Die Zeit vor dem Filmbeginn ist immer kostbar. Zur Sicherheit instruiere ich nochmal die Leute an den beiden Kassen, damit das Publikum nicht erst im Kinosaal erfährt, welche Sprachfassung es geben wird, denn manche reagieren auf solche Überraschungen ungehalten und ich muss dann kurz vor der 'Performance' eine Abwehrschlacht führen, die gar nicht meine ist. Anschließend gehe ich, mit Mineralwasser bewaffnet, in den Saal, wo kurz vor dem Einlass noch Kabel gelegt werden. Ich recke und strecke mich, schüttele mich aus, bereite mich geistig auf den Einsatz vor.

Dann kommen die Zuschauer herein, ich sage ein paar einleitende Worte, das Licht geht aus. Das erste Bild erscheint auf der Leinwand, eine Zeitungsanzeige:
Hispanos [eine damalige Automarke] in gutem Zustand gesucht, Auto-Schnellservice, heute 11.00-12.00 Uhr in der rue de Brissago....
Wie von der Tarantel gestochen fahre ich hoch, renne zu den Vorführern, liefere rasch eine Info. Dann bin ich wieder beim Publikum, der Film wird gestoppt, das Saallicht geht wieder an. Nun heißt es, Zeit zu gewinnen. Ich hebe langsam an, weiß nicht, wie viele Kinokenner wir im Raum haben, hole lieber ein bisschen mehr aus, um Zeit zu gewinnen ...

« meubler le silence »
(etwa: die Stille ausfüllen)
"Es tut mir leid, dass wir einen Fehlstart erleben, aber es ist eben live. Ihnen sind sicher schon mal die kleinen schwarzen oder weißen Kreise oder Quadrate rechts oben im Bild aufgefallen, die viele Kinofilme haben, das sind Signale für das Überblenden beim Rollenwechsel. Wenn ein analoger Film ins Kino geliefert wird, kommt er in großen, runden Filmbüchsen an, die ziemlich schwer sind. Diese Büchsen nennt man "Akte", und beim Vorführen werden die Filme von zwei Vorführgeräten im Wechsel gespielt. Da laufen dann kurzzeitig beide Maschinen parallel, die zweite braucht acht Sekunden, um das Tempo der ersten zu bekommen, das kann das Publikum manchmal sogar im Saal hören. Die Symbole oben im Bild sind die Zeichen fürs Blenden. Damit diese Übergänge auch sauber klingen, gibt übrigens es an diesen Stellen nie Musik oder Dialog, achten Sie mal drauf.

Es wird allerdings nicht geblendet, wenn die Filme zuvor "gekoppelt" worden sind, also aneinandergeklebt, weil vielleicht nur ein Projektor das betreffende Format spielen kann. Und da kann es manchmal passieren, dass die einzelnen Filmteile nicht eindeutig oder falsch markiert worden sind, und was dann passieren kann, haben wir eben gesehen: Ich glaube, das war der Beginn des dritten Akts
...."

Foto anklicken, in einem neuen Fenster öffnen.
Mit Doppelklick können Sie den Text lesen.
Das Publikum reagiert gelassen, inzwischen ist auch Kinoleiter Timothy von seiner Besprechung zurück, er übernimmt, im Saal entspinnt sich ein lockeres Gespräch über Billy Wilders Pariser Zwischenstation auf dem Weg ins Exil.... und dann geht der Film auch schon los.

Der Rest ist Routine. In schnellen Passagen versuche ich, die Figuren fast zu "sychronisieren", damit die Verständlichkeit des Films gewahrt bleibt. In ruhigen Momenten spreche ich lieber in die Pausen hinein, denn es ist eine Französin im Raum, der ich die Freude nicht nehmen möchte, ihre Muttersprache zu hören.
Die Vorbereitung bewährt sich. Zwischendurch verbessere ich manchmal kurz meine Notizen (*), was das Publikum leider mitanhören muss, wie ich später erfahre, was wiederum eine Frage der Art des Mikros ist (Kugelmikro statt Niere?)....
Beim nächsten Mal lege ich mir Stift und Papier bereit und bringe auch noch einen Windschutz mit, weil mich außerdem die Angst davor, dass ich hörbar reinpuste, manchmal etwas hemmt.

Aber das ist keine große Sache. Groß ist vielmehr der Spaß, der mir die Arbeit macht. Dolmetschen mit Publikumskontakt stellt besondere Herausforderungen an unsereinen, hier sind Empathie gefragt und die Fähigkeit, sich in den Zuschauer hineinzuversetzen. Als Filmfan, aber auch, um diese Erfahrung regelmäßig aufzufrischen, wie sich Kino für die Zuschauer anfühlt, bin ich in vielen Lichtspieltheatern Dauergast.

Filmdolmetscherin in Aktion
Der Film hat mir übrigens gut gefallen. Er bietet wunderschöne Parisaufnahmen, hat Tempo und (über)lange Verfolgungsszenen, die waren damals eben noch neu! Witzig fand ich auch die schrägen Vögel aus der Autodiebesbande.

Und was schreit die weibliche Heldin von Billy Wilders Erstling, wenn sie nach der Polizei ruft? « Monsieur l'agent! », das ist im Duktus der Zeit ja wohl am besten der Herr Wachtmeister!

______________________________
Fotos: C. Elias
Im Berliner Kino Arsenal laufen diese besonderen 
Filme meist zweimal, das Korrigieren ist also Teil 
meiner Routine. Und wer weiß, wann ich den Film 
das nächste Mal einspreche. Ich habe schon ein 
kleines Repertoire an bearbeiteten Archivfilmen. 
Hier der Link zum PDF dieser Untertitelfassung. 

1 Kommentar:

A. hat gesagt…

Großartig, Dein Blog. Ich lese gerade die Rubrik "best of film" und komme aus dem Kichern nicht mehr heraus. Du schreibst ja noch besser, als Du erzählen kannst! Wann wird daraus ein Buch?
Gruß nach Berlin ... und auf dass es bald mal Frühjahr werde!
Au plaisir ...
Anke (die mit dem Schnurz ;-)