« Vous conduisez comme une pauvre andouille !» Zum Vergrößern bitte anklicken. |
Wie ein Dummkopf?
Wie ein Rindvieh?
Es ist Donnerstag Nachmittag, ich sitze am Film, den ich am gleichen Abend im Babylon Mitte simultan einsprechen soll: "Mauvaise graine" ist das Regiedebut Billy Wilders, das er 1934 in Frankreich gab. Ich hatte nach längerem Suchen die Kopie des Films im Berliner DVD-Verleih Videodrom und die Liste der englischen Untertitel im Netz gefunden.
Als Filmdolmetscherin bin ich meine eigene Technikerin, wenn ich nicht gerade für die Kinemathek oder die Berlinale arbeite (wobei wir dort in der Regel die Wettbewerbsfilme vorab nicht zu sehen bekommen, was wohl aus Angst vor Piraterie geschieht). Wer sich wie ich lieber intensiv vorbereitet, braucht Kontakte (für die Filme), Ausdauer und Technikkenntnisse. Für den Film aus den Dreißigern, der im Autodiebmilieu spielt, lernte ich, Untertitel aus dem Netz zu "saugen" und sie umzuformatieren. Dann speicherte ich die Liste als Word-Datei ab, löschte Leerzeichen (was bei einem halbstündigen Privattelefonat nebenbei geschah) und setzte sie am Ende auf Querformat, erspare später im Kino den Zuschauern, möglicherweise vom Leselicht gestört zu werden.
Letzter Durchlauf im Taxi: Am Kotti tanzen die Clowns |
Aber bis das leichte Kürzen dran ist, kennt meine Arbeit viele Phasen: Film ansehen, sich reindenken/-lesen (Hintergrund), prüfen, wie gut die englischen Untertitel sind, die mir vor allem als Orientierung dessen dienen werden, was als nächstes kommen wird. Dann sehe ich den Film ein zweites Mal, notiere die französischen Redewendungen immer dann, wenn sie sehr stark von den englischen Untertiteln abweichen, und schreibe die eine oder andere deutsche Übersetzung daneben.
Verkabelungen |
Am frühen Abend fahre ich per Taxi zur Arbeit, weil ich im Wagen nochmal in Ruhe einige Szenen durchgehen kann. Eine halbe Stunde vor Beginn bin ich am Rosenthaler Platz.
Die Zeit vor dem Filmbeginn ist immer kostbar. Zur Sicherheit instruiere ich nochmal die Leute an den beiden Kassen, damit das Publikum nicht erst im Kinosaal erfährt, welche Sprachfassung es geben wird, denn manche reagieren auf solche Überraschungen ungehalten und ich muss dann kurz vor der 'Performance' eine Abwehrschlacht führen, die gar nicht meine ist. Anschließend gehe ich, mit Mineralwasser bewaffnet, in den Saal, wo kurz vor dem Einlass noch Kabel gelegt werden. Ich recke und strecke mich, schüttele mich aus, bereite mich geistig auf den Einsatz vor.
Dann kommen die Zuschauer herein, ich sage ein paar einleitende Worte, das Licht geht aus. Das erste Bild erscheint auf der Leinwand, eine Zeitungsanzeige:
Hispanos [eine damalige Automarke] in gutem Zustand gesucht, Auto-Schnellservice, heute 11.00-12.00 Uhr in der rue de Brissago....Wie von der Tarantel gestochen fahre ich hoch, renne zu den Vorführern, liefere rasch eine Info. Dann bin ich wieder beim Publikum, der Film wird gestoppt, das Saallicht geht wieder an. Nun heißt es, Zeit zu gewinnen. Ich hebe langsam an, weiß nicht, wie viele Kinokenner wir im Raum haben, hole lieber ein bisschen mehr aus, um Zeit zu gewinnen ...
« meubler le silence » (etwa: die Stille ausfüllen) |
Es wird allerdings nicht geblendet, wenn die Filme zuvor "gekoppelt" worden sind, also aneinandergeklebt, weil vielleicht nur ein Projektor das betreffende Format spielen kann. Und da kann es manchmal passieren, dass die einzelnen Filmteile nicht eindeutig oder falsch markiert worden sind, und was dann passieren kann, haben wir eben gesehen: Ich glaube, das war der Beginn des dritten Akts...."
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Der Rest ist Routine. In schnellen Passagen versuche ich, die Figuren fast zu "sychronisieren", damit die Verständlichkeit des Films gewahrt bleibt. In ruhigen Momenten spreche ich lieber in die Pausen hinein, denn es ist eine Französin im Raum, der ich die Freude nicht nehmen möchte, ihre Muttersprache zu hören.
Die Vorbereitung bewährt sich. Zwischendurch verbessere ich manchmal kurz meine Notizen (*), was das Publikum leider mitanhören muss, wie ich später erfahre, was wiederum eine Frage der Art des Mikros ist (Kugelmikro statt Niere?)....
Beim nächsten Mal lege ich mir Stift und Papier bereit und bringe auch noch einen Windschutz mit, weil mich außerdem die Angst davor, dass ich hörbar reinpuste, manchmal etwas hemmt.
Aber das ist keine große Sache. Groß ist vielmehr der Spaß, der mir die Arbeit macht. Dolmetschen mit Publikumskontakt stellt besondere Herausforderungen an unsereinen, hier sind Empathie gefragt und die Fähigkeit, sich in den Zuschauer hineinzuversetzen. Als Filmfan, aber auch, um diese Erfahrung regelmäßig aufzufrischen, wie sich Kino für die Zuschauer anfühlt, bin ich in vielen Lichtspieltheatern Dauergast.
Filmdolmetscherin in Aktion |
Und was schreit die weibliche Heldin von Billy Wilders Erstling, wenn sie nach der Polizei ruft? « Monsieur l'agent! », das ist im Duktus der Zeit ja wohl am besten der Herr Wachtmeister!
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Fotos: C. Elias
* Im Berliner Kino Arsenal laufen diese besonderen
Filme meist zweimal, das Korrigieren ist also Teil
meiner Routine. Und wer weiß, wann ich den Film
das nächste Mal einspreche. Ich habe schon ein
kleines Repertoire an bearbeiteten Archivfilmen.
Hier der Link zum PDF dieser Untertitelfassung.
1 Kommentar:
Großartig, Dein Blog. Ich lese gerade die Rubrik "best of film" und komme aus dem Kichern nicht mehr heraus. Du schreibst ja noch besser, als Du erzählen kannst! Wann wird daraus ein Buch?
Gruß nach Berlin ... und auf dass es bald mal Frühjahr werde!
Au plaisir ...
Anke (die mit dem Schnurz ;-)
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