Donnerstag, 25. Februar 2016

Atypisch

Französischdolmetscher und -übersetzer haben, verglichen mit anderen Be­rufs­tä­ti­gen, einen atypischen Arbeitsalltag. Bei uns kommt einiges zusammen: Manch­mal arbeiten wir zu krummen Schichtzeiten wie Ärzte, haben Reisezeiten wie Fern­fah­rer, müssen Ordnung und Klarheit reinbringen wie Reinigungskräfte und wissen ohnehin immer alles besser wie Lehrer. Meine Fachbereiche sind Wirtschaft und Politik, Soziales, Bau, Tourismus und Kultur.

Unsere Arbeitsbedingungen und die Honorare sind derzeit |im Fluss| unter Druck, auch mit den Arbeitsplätzen sind wir ständig in Bewegung. Proudly presents: Meine Küche und das digitale Großraumbüro. Und weil nach dem Filmfestival vor dem Filmfestival ist, wurde ich vorgestern für die nächsten Einsätze gebucht. Seit heu­te liegen hier schon die nächsten Sichtungslinks.

Dass meine Küche immer mehr zum Festivalspielort wird, mindestens im Rahmen der Vorbereitung, daran habe ich mich ja inzwischen gewöhnt. Wenn ich bei den Beamerbildern nicht jeden Lidschlag kurz einen Regenbogen sehen würde, was ich für Begleiterscheinung meiner Kurzsichtigkeit samt Hornhautverkrümmung halte, ich hätte mir längst so einen Bilderwerfer zum bequemeren Schauen geleistet.

Küche, Schlepprechner, Film
Festivalvorbereitung
Nun wurde die Berlinale-WG prompt auch verlängert. Es ist schon praktisch, Platz für Freunde und Kollegen in der eigenen Wohnung zu haben, ein Luxus, den sich etliche französische Freunde nicht leisten können.
Dann gibt es in dem einen der beiden virtuellen Groß­raum­bü­ros, den sozialen Medien, wieder eine große Preis­de­bat­te.

Und als inzwischen zur nicht mehr ganz jungen Garde gehörend, darf ich schon mal Expertentipps aus dem ach so langen Berufsleben geben. Hier mein letzter Tipp zur Preisgestaltung, denn immer mehr Kunden fordern enorme Preisnachlässe, die nicht zum Aufwand und den langen Studienzeiten passen, die wir Dolmetscher ha­ben. (Wer "lange Studienzeit" sagt, sagt auch "verkürztes Erwerbsleben" und "Le­bens­ein­kom­mens­rück­stand", woraus höhere Preise resultieren müssen.)

Daher mein Tipp an die Kolleginnen und Kollegen: Sprecht bitte bei Ho­no­rar­ver­hand­lun­gen lieber nicht von "halben" Tagen, sondern lieber von "kurzen" Tagen. Mit Reise und Vorbereitung ist der Aufwand ja gleich, und die Kunden kommen nicht ge­dank­lich auf den Short cut "ganzer Tag = ganzes Honorar, halber Tag = halbes Ho­no­rar". Das nennt sich Verkaufspsychologie und hat sich bewährt, gerne auch in der Ergänzung, dass ja schließlich auch die ganze Vorbereitung nötig ist und, mit dem Schalk in der Stimme und ggf. etwas anderem, das den Witz ankündigt, dass die An­rei­se nur bis zur Hälfte der Wegstrecke schließlich auch nicht zielführend sei.

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Foto: C.E. (Archiv)

Dienstag, 23. Februar 2016

Auf dem Schreibtisch XXVI

Herz­lich Will­kom­men auf den Blog­sei­ten einer Sprach­ar­beiterin. Hier den­ke ich über den All­tag der Welt der Kon­fe­renz­dol­metscher und Über­setzer nach. Die Berlinale endet häu­fig mit der be­kann­ten Ber­li­na­le­grip­pe ...

Trotz weiterhin leicht erhöhter Temperatur bin ich wieder aktiv. Die nächsten Ein­sät­ze stehen vor der Tür. Zunächst wieder Ehrenamt, eine Flüchtlingskonferenz, bei der ich meine Hauptarbeitssprachen bedienen werde, mich aber auch darauf vorbereite, aus dem Englischen zu dolmetschen. Also ist Lesen und das Beackern der üblichen Wortfelder angesagt. Im Märzen der Bauer ...

Lampe, Eiffelturmminiatur, Tischuhr
Auf dem Sekretär
Dann, hoffentlich, Logistik und Warenmanagement, wo­rauf es mit dem In­nen­aus­bau einer Lu­xus­re­si­denz wei­ter­geht. Die Berliner Aufträge von Bau­her­ren und -damen, Ar­chi­tek­ten und In­nen­ar­chi­tek­ten gefallen mir immer gut, weil ich da die Fort­schrit­te an­fas­sen, meine Fach­kennt­nis­se erweitern kann und weil ich Bauthemen ein­fach mag.

Ich muss dann aber immer die Frage verschärft ausblenden, ob es gesellschaftlich wünschenswert ist, dass sich jemand in Berlin eine wenige Wochen im Jahr ge­nutz­te und mehrere hundert Quadratmeter große Fünftresidenz bauen lässt.

Solange das keinen bestehenden Wohnraum zerstört, sondern durch Neubau auch Arbeitsplätze in Berlin gehalten werden ... Der Spagat im Umgang mit jenen, die ums nackte Überleben kämpfen müssen und den anderen, die nicht wissen wie es sich anfühlt, nicht mit dem Goldlöffel im Mund geboren zu sein, ist nicht einfach, zählt aber zu den besonderen Herausforderungen meines Berufs.

Bald folgt im Kundenauftrag noch eine Korrekturlesungs- und Anpassungsphase für ein einzureichendes Filmprojekt, es geht um europäische Fotografiegeschichte. Im März, in der Vorsaison der Konferenzdolmetscher, werde ich versuchen, mit dem Schreiben meines Kinderbuchs einen großen Schritt vorwärtszukommen. 

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Foto: C.E.

Mittwoch, 17. Februar 2016

Berlinalegrippe, nicht: Berlinale

Das wird der kürzeste Eintrag aller Zeiten. Und das ...

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Foto: ... entfällt auch. Gute Bes-
serung allen ebenso Betroffenen!

Dienstag, 16. Februar 2016

Alle Neune!

Ob ge­plant oder zu­fäl­lig, Sie lesen hier auf den Sei­ten einer Sprach­ar­bei­ter­in. Was Dol­met­scher für Fran­zö­sisch (und Über­setzer) so machen, darüber schreibe ich hier seit neun Jahren.

Als Jugendliche hatte ich einen Traum von der Zukunft: Ich reise mit leichtem Ge­päck in einer rollenden oder fliegenden Blechbüchse von A nach B, komme dort in der Früh an, frühstücke im Café, gehe durch vertraute Straßen in ein Gebäude, setze mich in eine schalldichte Box, sehe Lichtkegel und leuchtendes Rot am Mi­kro­fon. Ich beginne zu sprechen; mir gegenüber Menschen, die ich mag. Später ge­he ich in ein Museum und diskutiere in einem Buchladen. Die Szenen sind blau­sti­chig, sie klingen nach Jazz, die Häuser sind entweder sehr alt oder sehr modern. Später kommt ein Tout dans la tête, rien dans les poches, „Alles im Kopf, nichts in den Taschen“, hinzu.

Dieser Blog, der heute vor neun Jahren auf dieser Berlinale aus der Taufe gehoben wurde, hat nur noch ein Jahr vor sich. Ich habe von der Geringschätzung, die wir in unserem Beruf erleben, die Nase voll. Dabei meine ich nicht nur den Trend zu Englisperanto, sondern das ewige Feilschen um Geld, Pseudo-Agenturen mit frag­wür­di­gem Verhalten, keine oder zu spät gelieferte Materialien, Redner mit MG-Sal­ven statt mit rhetorischen Künsten, wer hier manchmal reinliest weiß, wovon ich spreche. Zehn Jahre Blog möchte ich schaffen, und ich überlege, was sich öf­fent­lich­keits­wirk­sam noch anstellen lässt, um das Image un­se­res Berufs zu verbessern. Comics aus der Sprachenwelt? Die Dolmetscherin als Ka­ba­rett­fi­gur? Ich weiß es noch nicht.

Nulla dies sine linea, mit dem Blog begleite ich mich selbst vom journalistischen Schreiben hin zum Verfassen von Büchern. Gerade entsteht mein zweites Kin­der­buch. Ein möglichst unterhaltsames Sachbuch über die Sprachmittlerwelt kon­zi­pie­re ich parallel. (Kuriose und lustige Berichte von Kolleginnen und Kollegen sind übrigens sehnlichst erhofft.)

Yella / Stresow und Hoss
Die inoffiellen Paten des Blogs, Devid Stresow und Nina Hoss
Und dann? „Wenn du weißt, was die Zukunft bringt, hast du schlechte Berater“, sagte mir ein Leipziger Optiker Sep­tem­ber 1989, bei dem ich zu Hause in Paris vergessene Kon­takt­lin­sen­flüs­sig­keit nach­ge­kauft habe.
Die Eingangsszene haben alle Dolmetscherkollegen als Sze­ne auf einem Kongress in­ter­pre­tiert.

Für mich als gelernte Radiofrau ist der Ort aber auch ein Hör­funk­stu­dio. Last but not least kann es auch ein Tonstudio sein. Im Studium habe ich eine Sprech­aus­bil­dung absolviert, meine Stimme bekommt regelmäßig gute Noten, ich kann mir auch eine Karriere als Sprecherin vorstellen. „Der Weg ist das Ziel“ sagt Konfuzius, oder profaner: Umwege erhöhen die Ortskenntnis.

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Foto: Berlinale (2007)

Montag, 15. Februar 2016

25!, nicht: Berlinale

Bonjour, hallo! Was Dolmetscher für Französisch (und Übersetzer) so erleben, davon können Sie sich hier auf den Seiten meines subjektiven Arbeitstagebuchs einen Eindruck verschaffen.

Unifrance Club 1991 Caroline Elias
War doch erst gestern ...
Ein Vierteljahrhundert auf der Ber­li­na­le. Ich! Dabei bin ich doch erst 19!

Vor 25 Jahren war ich journalistisch tätig, dann habe ich im Bereich der Produktion und des Marketings für Dokumentarfilm gearbeitet (als ei­er­le­gen­des Wollmilchtier, Recherche, Re­writing, Dolmetschen beim Dreh, Schnitt­be­ratung, Untertitel), 2000 bis 2002 Kinoleitung, seither Dolmetscherin für das Internationale Forum und später auch für den Wettbewerb.


Seit 2013 wird im Forum nicht mehr ins Deutsche und im Wettbewerb nicht mehr ins Französische gedolmetscht, deshalb arbeite ich nur noch in den Kulissen und dolmetsche potentielle Koproduzenten aufeinander zu, Stars in den Pres­se­in­ter­views oder Kennenlerngespräche zwischen Regie und Schauspiel.

Claude Chabrol, Caroline Elias, Berlinale 2009
Claude Chabrol und die Autorin (2009)
25 ans ! Bon, ça ne nous ra­jeu­nit pas, heißt es in Frank­reich, das macht uns jetzt nicht gerade jünger! Und dieser Blog feiert mor­­gen sein neunjähriges Dienst­ju­bi­läum. Los ging's mit "Hilft das?"

Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Jahre!


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Foto: Unifrance / Berlinale / Archiv

Samstag, 13. Februar 2016

Sprachenvielfalt, nicht: Berlinale

Bonjour und hallo! Als Dolmetscherin und Übersetzerin arbeite ich seit über 15 Jahren in Berlin, Paris und dort, wo die Kunden mich hinholen. Dieser Tage steht wieder die Berlinale auf dem Programm, leider nicht mehr bei öffentlichen Film­ge­sprä­chen und simultan verdolmetschten Filmen, denn zu 90 % findet die Berlinale jetzt auf Englisch statt.

Bei einigen Presseinterviews, mancher "Teamanbahnung" (Achtung, Lesestolperer) und bei Würdigungen dürfen die Menschen weiterhin in ihrer Muttersprache spre­chen oder sie hören.

Dolmetscherkabine mit den Sprachen (1) Deutsch (2) Englisch
Tempi passati
Der Berlinaletrend, alles auf Englisch zu machen, hat nicht nur den einstmals ehernen di­plo­ma­ti­schen Grundsatz er­schüt­tert, dem zufolge jeder in seiner Sprache sprechen durfte, weshalb bei etlichen Events auf dem kleins­­ten ge­mein­sa­men Sprach­­nen­ner ge­ra­de­brecht wird, nein, es scheinen pa­ral­lel dazu teil­wei­se auch die Um­gangs­for­men unter die Räder ge­kom­men zu sein.

Leider erreicht der Abwärtstrend manchmal sogar die Honorare, ich sage nur Dumping. Heute habe ich schon wieder einen wenig subtilen Erpressungsversuch erlebt. Es geht um einen Berlinalejob. Ich würde meinen Job doch lieben, wurde ich um den Preis­nach­lass von 50 % angegangen, warum ich denn so viel Geld dafür ver­lan­gen wür­de.

Erstens ist es nicht "so viel Geld", verglichen mit meiner Leistung ist es eher wenig, als da wären: Vorbereitung, Einsatz vor Ort und die Nachbereitung wieder Zu­hau­se. (Wenn es sein muss, halten wir die Pausen kurz, im Nachhinein pflege ich noch Dienst am Endkunden und lese gerne verschriftete Interviews gegen.)

Schick der Satz, den eine Freundin neulich in einem anderen Kontext gefunden hat: "Würden all die Männer, die Spaß im Job haben, auf ihren Lohn verzichten?"

Im Grunde ist meine Arbeit das Dreifache wert. Nur weil Ihr Budget leider so begrenzt ist, Madame, Monsieur, gebe ich mich mit den normalen Sätzen zu­frie­den.

Für Fachinterviews empfehlen wir natürlich immer auf Film und Medien spe­zia­li­sier­te Kolleginnen und Kollegen. Für eine neue Brille gehen Sie doch auch nicht zum Hausarzt.

Denn es ist wichtig, dass découpage nicht mit „Schnitt" übertragen wird, wie es das Verb couper — schneiden nahelegt, sondern mit „Auflösung". Geht das Team auf „Motivsuche", ist repérage angesagt, es sucht dann Drehorte und nicht, wie fälschlich rückübersetzt wurde, das Thema des Films. Das Wort étalon ist der französische Begriff für "Hengst". Da der Kontext derlei angeboten hatte, dol­metsch­te mal eine Nicht-Fachdolmetscherin das davon abgeleitete étalonnage mit der Dominanz des Regisseurs am Set, des "großen Hechts". Gemeint war aber eigentlich nur die Farbkorrektur als Schritt der Endfertigung.

Die Beispiele stammen alle aus der Praxis, sind öffentlich so gesagt worden. Vom gleichen Kaliber ist die clause de bonne fin, über die ich schon hier geschrieben habe: "Happy End".

So weit ins Detail kommen viele Publikumsgespräche und auf simplified english geführte Interviews oft schon gar nicht mehr. Nicht selten sprechen beide Parteien, Befrager und Befragte, eine für sie fremde Sprache. Der diplomatische Ausstieg des Blogposts geht so: Auf den langjährigen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher geht folgendes Bonmot zurück ...
Auf Englisch sage ich, was ich sagen kann, in meiner Muttersprache sage ich, was ich sagen möchte.
Variante zwei: Als Abschlusspirouette folgt ein Lesehinweis, denn es gibt andere kritische Stimmen zum Berliner Filmfestival. Zum Auftakt fragt Filmkritiker Rüdiger Suchsland in seinem Berlinale-Tagebuch nach dem Zustand des deutschen Kinos, warum es so wenig präsent ist in den Debatten dieser Tage und warum die neuen Filme von Nicolette Krebitz und Tom Tykwer nicht auf den Berliner Film­fest­spie­len gezeigt werden, hier entlang zu Artechock.

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Foto: C.E. (Archiv)

Freitag, 12. Februar 2016

Frauensachen, nicht: Berlinale

Bonjour, hello, guten Tag! Sie kön­nen hier ver­fol­gen, was Dol­met­scher für Fran­zö­sisch (und Über­setzer) so erleben. Als Dol­met­scher­in und Über­set­zer­in be­rich­te ich aus meiner total sub­jek­ti­ven Pers­pek­ti­ve, auch an­läss­lich dieser Ber­li­na­le über das Arbeiten im Filmkontext, aber nicht nur.

Dolmetschtechnik mit "Deutsch" per Aufkleber
Ein Sack Deutsch
Bei Gehirnen von Frauen sei der Balken größer, sagt die Wissenschaft. Daher wür­den die Hirnhälften bes­ser mit­ein­an­der kommunizieren. Das Broca-Areal, in dem die Sprache haupt­säch­lich an­ge­sie­delt ist, in dem die Vo­ka­beln woh­nen, wo Laute analysiert und gebildet werden, wo in Sachen Grammatik steuernd eingegriffen wird, liegt auf der linken Seite in der Groß­hirn­rin­de, so gefühlt an der ersten großen Hirnfaltung, irgendwo an den Schlä­fen und am Haaransatz. Weiter weg, auf der rechten Hirnhälfte, liegt das Wer­nicke-Sprachzentrum, hier geht es mehr um die ganzheitliche, akustische Er­fas­sung und die logische Analyse dessen, was so rumkommt im Oberstübchen.

Neuronal verschaltet sind die Regionen verschiedentlich und manches ist auch noch unklar. Die Chose ist jetzt natürlich grob ver­ein­facht. Denn wäre unser Ge­hirn so gestrickt, dass wir es verstehen könnten, wären wir zu dumm, um es zu verstehen, um Kant zu variieren.

Grüner Koffer mit Schild "Blauer Koffer 12 Euro"
Welche Wahrnehmung dominiert?
Warum dieser Schlenker? Frauen mit ihrem größeren Corpus Callosum, wie der "Balken" auch heißt, sagt man nach, dass sie bes­ser mit bei­den Hirn­hälf­ten gleich­zei­tig ar­bei­ten könnten, dass sie empathischer seien, schneller vom Detail aufs große Ganze wechseln würden, nicht so rasch in der Hektik den Über­blick verlieren würden und so weiter.

Kurz: Frauen sind wie gemacht fürs Regieführen! Und hier bin ich mitten in der Ber­li­na­le. Dieses Jahr sind noch weniger Filme von Frauen als im Vorjahr dabei, obwohl, nehmen wir pars pro toto die deutschen Filmschulen, Frauen bald die Hälfte der Studierenden stellen. Eine aktuelle Studie der Filmuniversität Potsdam hat er­bracht, dass "fünf Jahre nach dem Abschluss 100 Prozent der männlichen Ab­sol­ven­ten in ihrem Beruf als Regisseur arbeiteten — von den weiblichen nur 25 Pro­zent", und das unabhängig davon, ob die Frau nun Kinder hat oder nicht.

Bücherschrank mit Gehirnmodell
Hirn futtert
Im Fernsehprogramm stammt nur 11 Pro­zent der inzenierten Programme von Frauen. Talent und Können macht sich nicht am Geschlecht fest. Für solche Ent­schei­dun­gen sind auch Redakteurinnen zuständig, die es in der Kulturverwaltung häufiger in wichtige Positionen schaffen als im kreativen Bereich.
In den Dolmetscherkabinen sind wir Frau­en meistens unter uns, was wohl an der hormonellen Ausprägung des Ge­hirns liegt. Bekannt, berühmt und am meis­ten für "wichtige Anlässe" gebucht werden aber männ­li­che Dolmetscher, auch von weiblichen Projektmanagern, und zwar nicht nur dann, wenn Männer ihre Ge­schlechts­ge­nossen vertonen sollen.

Auch hier spielt das Geschlecht offenbar eine größere Rolle als die Qualität. Nächste Frage: Ist die Festivalleitung schon paritätitsch besetzt?

Weiter geht es hier in Sachen Pro Quote Regie, zum Soundfile und dem teil­ver­schrif­te­ten Interview mit Barbara Rohm, die für die Inititative Pro Quote Regie spricht. Liebe Leute vom DLF, bitte lassen Sie noch den Rest des Interviews auch abtippen, damit es auch nach den sechs Monaten, die es online steht, wahr­ge­nom­men werden kann. Danke!

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Fotos: C.E. (Archiv)

Donnerstag, 11. Februar 2016

Warming up, nicht: Berlinale

Ob ge­plant oder zu­fäl­lig, Sie lesen hier auf den Sei­ten einer Sprach­ar­bei­ter­in. Was Dol­met­scher für Fran­zö­sisch (und Über­setzer) so machen, darüber schreibe ich hier seit bald neun Jahren. Meine Arbeitsfelder haben sich seit 2014 kaum ver­än­dert. Gerne erstelle ich auch für Sie einen Kos­ten­vor­an­schlag.

Bild aus dem Film
Koumba im Taxi
Heute wird dieser Blog, des­sen Kommentarfunktion bis­lang leider nur spo­ra­disch wahr­ge­nom­men wird, zum Distributionsapparat.

Erstens darf ich vier Frei­karten verschenken für die Kinovorführung des Do­ku­men­tar­films La Mort Du Dieu Serpent / Death Of The God Serpent.

Dieser Film hat Regisseur Damien Froidevaux 2014 den Preis der Kritik in Locarno eingebracht. Im Anschluss an die Vorführung gibt es ein Pub­li­kums­ge­spräch, das ich dolmetschen darf. Heute Abend, 19.00 Uhr im Centre Français de Wedding, Müllerstraße 74, (U) Rehberge. Der Film wird in der Ori­gi­nal­fas­sung mit englischen Untertiteln gezeigt, das Gespräch auf Deutsch und Fran­zö­sisch geführt. Das ist mein Warming up (nicht) der Berlinale, auf der fast gar nicht mehr ins Deutsche (oder Französische) gedolmetscht wird.

Zum Film: Koumba kam im Alter von 2 Jahren nach Frankreich und hat ihr Ge­burts­land Senegal nie kennengelernt. Mit 22 gerät sie in eine Schlägerei und wird ab­ge­scho­ben — das ist möglich, weil sie bei ihrer Volljährigkeit versäumt hat, die fran­zö­si­sche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Innerhalb von 48 Stunden findet sich die junge Pariserin in einem senegalesischen Dorf wieder, weit weg von ihrer Fa­mi­lie und ihrem Leben in Paris. Der Film begleitet sie über fünf Jahre bei ihrem Kampf um Integrität in einem Land, das ihres und doch nicht ihres ist. Hier der Trailer des Films.

Wer möchte mit? Unten gibt's die Kommentarfunktion, die originellsten Antworten gewinnen! Stichwort: Kino. Herzlichen Dank an die Veranstalter, den Verein AfricAvenir!

Zweitens könnte die Kommentarfunktion auch in Beantwortung einer Frage genutzt werden. Für eine Zeitschrift darf ich über meinen Blog schreiben. Dazu wüsste ich gerne besser, wer meine Leser sind. Eine Idee habe ich, denn ich erhalte viele Mails außerhalb der Kommentarfunktion. Trotzdem würde ich mich über Feedback in jeder Form freue sehr freuen. Warum lesen Sie/liest Du hier mit? Was gefällt? Was nicht? Was könnte häufiger vorkommen?

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Foto: www.entre2prises.fr

Mittwoch, 10. Februar 2016

Keypad of Fame

Welcome, bienvenue, hier bloggt eine Dolmetscherin und Übersetzerin über ihren Berufsalltag. Meine Sprachen sind Französisch (als Ausgangs- und Zielsprache) und Englisch (Ausgangssprache). Ich arbeite in Paris, Berlin, Köln und dort, wo Sie mich brauchen.

Abgeschubberte Tastatur
Nach ca. einer Million Anschlägen
Abgeliebte Teddybären sitzen gerne mal ihren Lebensabend auf dem Nähkästchen ab in der Hoffnung, dass jemand vorbeikommt, der das Ohr wieder fest annäht, so ge­se­hen bei einer Freundin.

Abgeschubberte Tastaturen kommen in den Tech­nik­fried­hof und in die Hall of Fame des eigenen Büros, sofern es eine solche gibt.

Der Apfelrechner von 2005 (Foto) war deutlich empfindlicher als das Nachfolgeteil von 2011, das mir keine derart schönen Bilder bietet. Das Honorartippen hat den Vorteil, dass ich weiß, dass ein Drehbuch um die 100.000 Anschläge lang ist. Mit 10.000 Anschlägen weniger hatte ich es letzte Woche zu tun, Ak­kord­über­set­zung, ich habe hier schon darüber geschrieben.

Es ging um Änderungen und Aktualisierungen eines Filmtexts, einen neuen Einstieg und ersten Teil sowie ergänzende Texte. Außerdem wichtig: Wie gehe ich mit der ersten Fassung um, die nicht von jemandem aus meinem Umfeld stammte, die ganz ordentlich war, bei der sich die Tücken aber erst auf den zweiten und dritten Blick gezeigt haben.

Solche Drehbuchüberarbeitungen machen oft genauso viel oder gar mehr Aufwand wie eine Neuübersetzung. Leser sollen am Ende ja die un­ter­schied­li­chen Über­setzer nicht raushören, ich übernehme stellenweise die Erstfassung an, passe die al­ten Partien aber auch an meinen Sound an, und das mit möglichst wenig Ein­grif­fen, denn die Stoppuhr saß uns im Nacken.

Einen Text runterzuübersetzen und sich vom Flow tragen zu lassen, kann durchaus schneller ge­hen. Was nicht für li­te­ra­risch anmutende Texte mit Geheimnissen und kul­tu­rel­len Verschiebungen und derlei Anklängen gilt. Für Texte, die aus diversen Grün­den so stark mit ihrer Kultur ver­haf­tet sind, dass das Übersetzen eher dem Legen von Mosaiken gleicht. Da werden Stein­chen hin- und hergeschoben, zur Probe mal hier angehalten, mal dort, ein andersfarbiges ausprobiert, dann ein anderes zu­recht­ge­schnitten.

Zur Übersetzungsarbeit kam die Korrespondenz mit der Filmproduktion hinzu, den Kor­rek­to­rinnen, der Grafikerin, nicht zu vergessen die ganz normale Bü­ro­kom­mu­ni­ka­tion, wobei ich einiges auf Donnerstag und Freitag verschieben konnte.

Ergebnis: 45,5 Stunden Textarbeit an drei Tagen, angefangen vom Rippen der PDF, um eine Wortdatei zu erhalten, über das Einpflegen der Änderungen und Kom­mu­ni­ka­tion in alle Richtungen.

Vor fast acht Tagen, in der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag fiel um 00.03 Uhr die Schlussklappe. Die zwei Tage danach waren völlig unproduktiv. Irgendwann wer­de ich mir so eine Kampf­tas­ta­tur als Dokument unserer Zeit einrahmen.

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Foto: C.E. (Archiv)

Dienstag, 9. Februar 2016

Übersetzungsknecht

Willkommen auf den Logbuchseiten einer Französischübersetzerin und -dol­met­scher­in. Hier berichte ich aus Berlin, Paris, Cannes, Marseille, München, Hamburg oder Leipzig unter Wahrung dienstlicher Geheimnisse. Meine gewählte Pers­pek­ti­ve: entweder aus dem In­ne­ren der Dolmetschkabine oder direkt vom Schreibtisch.

Mechanical Turk
In der Kiste des Schachmaschine ...
Neulich bei einer Party der Herr mittleren Alters, der sich als Ingenieur vorstellte: "Es muss frustrierend sein, einen Beruf auszuüben, der bald komplett von Computern überflüssig gemacht sein wird." Zum Glück war ich schlagfertig: "Meinen Sie das Ingenieurwesen?" Gesprochene Spra­che ist nicht mit binären Codes zu be­schrei­ben, sie entzieht sich mathematischen Glei­chun­gen.

Immer wieder strotzt sie nur so von falscher Verwendung von Begriffen, die alle Be­tei­lig­ten aber verstehen, weil sich etwas als Chiffre eingeschlichen hat. Sie zeich­net sich durch Doppel- und Mehr­deu­tig­kei­ten, Metaphern und leider oft auch durch undeutliche Artikulation, Dialekte oder Akzente aus.

Kollegen haben dieses Zitat aus The New York Times gefunden, datiert auf den 8.1.1954: Translating machines will soon take their place beside gramophone re­cords and colour reproduction in the first rank of modern techniques for the spread of culture and science.
... saß ein Mensch
Und während wir alle in Ruhe auf unser neues Grammophon warten, übersetze ich mal weiter.

Beim Übertragen habe ich immer häufiger das Gefühl, die Zwischenräume zwi­schen den Wörtern zu bearbeiten, die kulturellen Aspekte und das jeweilige Hin­ter­land von Redewendungen und Redensarten, von der Etymologie bis hin zur Fra­ge, wer da eigentlich spricht, wann, für wen und in welcher Absicht. Das sind alles ent­schei­den­de As­pek­te, mit denen eine Maschine, die nur zwischen der Eins und der Null differenzieren kann, nicht umzugehen weiß.

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Foto: Schachtürke (Wikicommons)

Montag, 8. Februar 2016

Verluste

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Marseille und dort, wo man mich braucht.

Was mir an meinem Beruf nicht gefällt, sind die vielen Toten. Da ich ja für sehr viele Menschen dolmetsche und schon gedolmescht habe, ist die Liste derer lang, die ich bei einer Konferenz, einem Interview oder sogar mehrtätigen Dreharbeiten vertont habe. Ein Aspekt der Spracharbeit ist die menschliche Begegnung, den an­de­ren möglicherweise im Stress zu erleben oder völlig entspannt, abgeklärt bis fröh­lich.

Ich denke jetzt, Berlinale oblige, an den fast bis zuletzt quicklebendigen und hoch­gra­dig krea­ti­ven Claude Chabrol, den ich über zehn Jahre lang vertonen durf­te. Mir sitzt der Schrecken in den Gliedern, seit ich erfahren habe, dass Chan­tal Akerman nicht mehr lebt. Bei anderen Dolmetschkunden wie Nathalie Sarraute oder François Mitterrand (vor meiner Zeit als Dolmetscherin) liegt es an­ders: Das waren einzelne Begegnungen mit Menschen in bereits vorgerücktem Le­bens­al­ter, da kam der Tod nicht überraschend.

Anders bei Roger Willemsen. Im Jahr 2000 haben meine Schwester Frie­de­ri­ke und ich an einem Dreh für einen Dokumentarfilmthemenabend teil­ge­nom­men. Wir fuh­ren mit der gläsernen S-Bahn um den gerade sich schließenden Berliner Ring, deutsche Dokumentarfilmer haben sich in Interviews zum Stand des do­ku­men­ta­ri­schen Schaffens in Deutschland geäußert, Beiträge stellten Berlin vor, Roger Wil­lem­sen führte durch den „blick.berlin.dok“-Abend.

Nun gehöre ich verschiedenen Ver­bän­den und Vereinen an, und es war die Ar­beits­ge­mein­schaft Dokumentarfilm (AG DOK), die dieses Programm initiiert hatte. Im Rahmen der Vereinsarbeit sind immer wieder di­ver­se Auf­­trä­­ge zu übernehmen, in denen wir uns selbst neu erfinden. Ich jedenfalls war bei dem Projekt für "Maske" zuständig, das erste und bislang einzige Mal.

Zwischendurch kamen wir gut miteinander ins Gespräch. Seine kluge, bedächtige und zugleich lie­bens­wür­dige Art fand ich später wieder, als ich bei Ar­beits­es­sen mit fran­­zö­­si­­schen und deut­schen Pro­du­zenten ge­dol­metscht habe, bei denen er zugegen war. Es ging um ein Projekt für den deutsch-fran­zö­si­schen Kul­tur­ka­nal, aus dem leider nichts wur­de. Reihen wie diese oder mit ähnlich differenzierten, zu­ge­wand­ten Menschen feh­len in den deutschen und französischen Medien.

Player: Roger Willemsen
Antworten von 2009
Ich empfehle ein älteres und doch aktuelles Interview mit Willemsen zu ZEIT-Le­ser­fra­gen (und muss endlich das Buch über den Bundestag le­sen). Zum Ab­schluss ein Wil­lem­sen-Zitat: "Das Leben kön­nen wir nicht ver­län­gern, aber wir können es ver­dich­ten."

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Foto: DIE ZEIT

Sonntag, 7. Februar 2016

20-er Jahre-Mund

Ob absichtlich oder geplant, Sie lesen auf den Blogseiten einer Dolmetscherin und Übersetzerin, die in Paris, Berlin und überall dort arbeitet, wo Sie meine Dienste brauchen. Sonntags werde ich hier privat.

Das heutige Sonntagsfoto, mein Foto der Woche, kann ich leider nur erzählen. Ich kam am späteren Abend von einem Event nach Hause und saß einer entzückenden jungen Dame gegenüber, Typ Erstsemesterstudentin, mit dem allersen­sa­tio­nells­ten Schau­fens­ter­pup­pen­mund wie aus den 1920-er Jahren: Der Amorbogen in perfekter Herz­form, die Un­ter­lip­pe in der Mitte voller, leicht schmollmundig, und die Mund­win­kel bildeten kleine Grübchen. Ich schaute fasziniert auf die jungen Dame, die nicht nur mich keines Blickes würdigte, sondern auch den mitreisenden bal­zen­den Jungmännern die kalte Schulter zeigte.

Ihr Blick war einzig und alleine auf den mitgeführten Taschenterrorist alias Mo­bil­te­le­fon gerichtet. Ab und zu ver­moch­te es die kalte Technik (oder der Mensch da­hin­ter), ihr ein entzückendes Lächeln zu entreißen.
Oder las sie vielleicht gerade das Wi­ki­pe­dia­por­trait von Clara Bow?

In mir wuchsen plötzlich Muttergefühle für das hinreißende Geschöpf, das ich gerne fotografiert und interviewt hätte im Stil des Blogs "Humans of New York". Doch sie, die direktemang einem Stumm­film entsprungen schien, blickte nur auf ihren Miniaturmonitor.

Ich dachte weiter über die Münder von vor 90 Jahren nach. Oft habe ich mich ge­fragt, was die Physiognomie der Menschen innerhalb weniger Generationen so ver­än­dern kann, dass derlei in Natura heute selten geworden ist. Gut, aufgrund der koh­le­hy­dra­trei­chen Ernährung werden wir immer größer, das habe ich im Grund­stu­dium an meiner Uni in Paris jeden Tag aufs Neue erleiden dürfen, wo ich nicht alleine meine liebe Mühe hat­te, die langen Beine zwischen den Reihen der Ende des 19. Jahr­hun­derts fest­ge­schraub­ten, ge­­schnitz­­ten Holz­­bän­ke diverser Amphi­théâ­tres unterzukriegen. (Es war meine zweite Kindheit, der Alma mater habe ich ständig angestoßene Knie verdankt.)

Was ist der evolutionäre Vorsprung, damit sich ein Mund verändert, Herr Darwin? Ja, ich weißt: Die Wirkung eines Mundes hängt stark davon ab, wie er geschminkt wird. Das Schminken ist zeittypisch, die Auswahl des Modells auch, Stars werden zu allen Zeiten Menschen, die dem jeweiligen Schönheitsideal entsprechen.

Ich kam übrigens von einer Mottoparty zurück, Thema waren die Roaring Twenties. Dass diese Epoche gerade schwer in Mode ist, liegt am Abbau der Sozialsysteme, dem Bedeutungszuwachs von Ideologien, dem Einflussgewinn von Propagandisten. Ich mag diesen Sozialdarwinismus nicht und erschrecke regelmäßig, wenn ich un­se­re Epoche näher betrachte.

Wir müssen alle wach sein und uns einmischen. Meine Lieblingssendung im Hörfunk die­ses Landes ist das Läuten der Freiheitglocke, jeden Sonntag, kurz vor zwölf Uhr, und das seit 1950. Dazu ist folgender Text zu hören: "Ich glaube an die Un­an­tast­bar­keit und an die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen." (Da ich für den rein säkularen Staat bin, finde ich, dass die Worte "von Gott" gestrichen werden sollten.)

Das hübsche Kind hat übrigens nicht mehr von seinem Smartphone aufgeschaut. Ich habe mich nicht getraut, es anzusprechen. Ich war feige, ich hatte noch einen dicken Kopf vom Übersetzen. Das ist keine Entschuldigung, sondern eine Erklärung.

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Foto: Aus dem Film "Maytime" (1923),
The New Zealand Film Archive

Freitag, 5. Februar 2016

Mimikry

Sie lesen im ersten Blog Deutsch­lands aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bi­ne. Wenn ich nicht in Paris, Berlin oder sonstwo meine Stim­me verleihe, sitze ich am Übersetzerschreibtisch, bereite mich vor oder bereite die Themen nach und halte nicht nur meine Sprachkenntnisse up to date, sondern verbessere sie.

Woman's Hour / BBC4
My favourite radio (besides France Culture)
An auftragsfreien Tagen ist es ganz normal, dass zur Mittags­stunde meine spontanen sprachlichen Reaktionen auf Englisch da­her­kom­men ... Das hatte ich eben erst am Te­le­fon: Es ist Tag zwei nach einem drei­tä­gi­gen Mega-Arbeit­seinsatz und ich mache ty­pisch englische Fehler! Peinlich! Vor allem dann, wenn der Anrufende vorschlägt, die Sprache zu wechseln.

Ich täusche kurz ein wenig british english an, außerhalb des Tandem-Lernens (ein bis zwei Termine in der Woche) ist meine Leh­re­rin die gute alte BBC, wie ich schon ein Großteil meiner Kenntnisse Radio France Culture verdanke, erkläre mich, dann geht es auf Fran­zösisch weiter.

Ich bin ein Lernfreak. Alle Babies und Kinder sind Lernfreaks. Bei den meisten geht das dann in der Schule verloren. Das ist auch mir in einigen Fächern passiert. Dass wir unsere Schulen dringend moderni­sieren müssen, ist eine Binse. Lernen geht über mensch­liche Beziehungen, persönliches An­ge­sprochensein, weshalb ich dem Computer als Lehrer allein nicht so viel zutraue. Die aktuelle Debatte geht stel­len­wei­se in eine komische Richtung.

Ist erstmal eine emotionale Beziehung vorhanden, kann Technik na­tür­lich als ein weiteres Me­dium genutzt werden. Denn so ein Rechner (oder Radio) ist an sich ge­nau­so dumm oder klug wie ein Buch im Regal. Es kommt eben ganz auf die Ver­mitt­lung und die Ver­wen­dung an. That's it ... (and it's so fuckin' easy. Sendung-mit-der-Maus-Stimme: "Das war US-Englisch").
 
Für mich ist Hörfunk seit Kindertagen etwas, das mich persönlich anspricht. BBC4 sendet täglich ten o'clock UK time eine exzellente Frauensendung, Woman's hour, sowas fehlt im deutschen Hörfunk! Zumal es sich anfühlt wie gutes, altes Dampf­ra­dio, es gibt manchmal sogar Livemusik, heute war die großartige Bonnie Raitt zu hören!

Ich finde in den Sen­dun­gen immer wieder Dinge, an die ich anknüpfen kann. Heute wurde eine Schau­spielerin gefragt, wie sie ihren Beruf gelernt habe. Ihre Antwort war, dass sie als Kind ein Fan von impersonation gewesen sei, von mimikry ... Das letzte Wort kenne ich natürlich, das erste landet reingebleistiftet im Wörterbuch und wird nachher nochmal geprüft.

In mir läuten alle Glocken: Ja, genau, super Lern­methode! Als Kind habe ich immer die Lektionen der Sprachbücher nachgespielt. Ich hatte die Ton­cassetten zum Buch bestellt, mit­ge­sprochen, Intonation geübt, am Ende mit der besten Freundin im­pro­vi­siert und die Texte in allen Tonlagen ausprobiert. Das waren sehr lustige Momente.

Leider waren nicht alle Texte dazu geeignet. (Liebe Schul­buch­autoren: Bietet bitte viele spielbare Texte an in Euren Büchern, am besten noch mit viel Humor.) In der Schule hatten wir einen Technikraum mit hellen Lampen und einer Video­kamera. Wir haben dort Kishon-Texte inszeniert, gerne auch auf Englisch. Ich glau­be, so sind wir darauf gekommen. (Noch heute kann ich ganze Lehr­buch­seiten aus­wen­dig, und manche waren dermaßen blöde, dass es schon wieder gut war.)

Dabei haben wir geübt: Hör­ver­mögen, Imitieren, Selbst­kontrolle und -korrektur, Wage­mut (sich trauen ist beim Sprachenlernen die halbe Miete), Selbstironie (auch wichtig in dem Zusam­men­hang), grund­legende Lerntricks (Ver­bin­dung von Sprache mit Emotionen, Mimik, Gestik und Be­we­gung im Raum).

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Illustration: BBC4

Dienstag, 2. Februar 2016

je — ich

Hallo! Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmescherin über den Beruf und wie er den Alltag verändert.

Jetzt lerne ich seit meinem 8. Lebensjahr Französisch, seit meinem 12. Lebensjahr auch die Schriftsprache.

Und erst heute merke ich, dass das Wort je, das ist das französische "Ich", auch im Deutschen vorkommt, allerdings mit einer ganz anderen Bedeutung.

Der Satz "Niemand hat sie je wiedergesehen" sieht für mich erstmal völlig falsch geschrieben aus, das vermeintlich französische je stört im deutschen Satzkontext.

Aber er ist richtig.

Das Wort je für "ich" ist auch beim Dolmetschen tricky. Ich wiederhole immer in der 1. Person Singular, was jemand in der 1. Person Singular gesagt hat. Beim Dol­met­schen einer Geflüchteten aus Syrien wird es dann: "Ich bin aus Syrien geflohen. Ich bin im Schlauchboot übers Mittelmeer gekommen, zusammen mit 56 anderen Menschen. Die Männer haben am Rand einen Ring gebildet, wir Frauen und Kinder haben innen gesessen."

Das geht alles durch mich hindurch. Nicht immer einfach. Abstand zu den Themen meiner Arbeit zu finden ist ein großes Thema.

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Foto: wird (vielleicht) nachgereicht

Montag, 1. Februar 2016

Januar, Berlinale, März, April ...

Bon­jour, hello und gu­ten Tag! Sie le­sen ei­ne Sei­te mei­nes di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buchs. Als Dolmetscherin und Übersetzerin (Schwerpunkt: Französisch) notiere ich hier Momente meines Alltags.

"Denkerei"
Denkerei in Kreuzberg
Der Januar mit sei­nen Neu­jahrs­em­pfän­gen ist vorbei. Ich war auf fünf oder sechs! Musste dringend mal wieder Marketing machen, denn in den Jahren, in denen ich mich hauptsächlich in Dol­met­scher­ka­bi­nen rum­ge­trie­ben habe, auch auf der Ber­li­na­le, war ich weniger sicht­bar, er­go ka­men da­rü­ber auch kei­ne An­schluss­auf­trä­ge mehr rein.

Denn leider wartet niemand am unteren Ende der Treppe und fragt sich nach der ihm unbekannten Dol­met­scher­in durch; wenn ich aber auf der Berlinalebühne mei­ne Performance abgelegt habe und anschließend noch mit Regisseurin und Pro­du­zent einen Wein trinken war, kam doch öfter mal ein Nachfolgeprojekt ... à propos Sprache, übersetzen Sie auch Drehbücher?

Jetzt Akkordübersetzen im Berlinale-Vorfeld. Beim Wort "Akkord" spüre ich vor al­lem den Zeitdruck, der auf Französisch nicht so stark mitschwingt. Da heißt Ak­kord­ar­beit travail à la pièce — Bezahlung nach Stückzahl (und nicht nach Zeit) oder travail à la chaîne — Fließbandarbeit, der Transportmechanismus steht im Vor­der­grund.

Dann nehme ich lieber einen anderen Begriff aus einem anderen Arbeitsbereich, traductrice urgentiste, der/die urgentiste ist der Notarzt/die Notärztin und das DRINGEND streckt ja mit drin.

Flash back zum Empfang. Meinte da neulich einer:
Mon verre est plein, je le vide. 
Mon verre est vide, je le plains.

Plein und plains (von plaindre) klingen gleich, und zwar so: [plɛ̃].

Mein Glas ist voll, ich leere es.
|Mein Glas ist leer, ich beklage sein Schicksal|.
EDIT: Mein Glas ist leer, ich beklage dies. [Siehe unter "Kommentare".]

Schönes, unübersetzbares Wortspiel. Im Falle von Untertiteln müsste man wohl komplett umdichten, aber irgendwie im Bereich alkoholischer Getränke und ge­sell­schaft­li­cher Anlässe bleiben. Ob Bazon Brock jetzt der Schlenker zu be­wusst­seins­ver­än­dern­den Substanzen gefällt? Wer diese letzte Frage nicht versteht, folge dem ergänzten Bildlink unten.

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Foto: C.E., Motiv: Denkerei