Montag, 8. Februar 2016

Verluste

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Marseille und dort, wo man mich braucht.

Was mir an meinem Beruf nicht gefällt, sind die vielen Toten. Da ich ja für sehr viele Menschen dolmetsche und schon gedolmescht habe, ist die Liste derer lang, die ich bei einer Konferenz, einem Interview oder sogar mehrtätigen Dreharbeiten vertont habe. Ein Aspekt der Spracharbeit ist die menschliche Begegnung, den an­de­ren möglicherweise im Stress zu erleben oder völlig entspannt, abgeklärt bis fröh­lich.

Ich denke jetzt, Berlinale oblige, an den fast bis zuletzt quicklebendigen und hoch­gra­dig krea­ti­ven Claude Chabrol, den ich über zehn Jahre lang vertonen durf­te. Mir sitzt der Schrecken in den Gliedern, seit ich erfahren habe, dass Chan­tal Akerman nicht mehr lebt. Bei anderen Dolmetschkunden wie Nathalie Sarraute oder François Mitterrand (vor meiner Zeit als Dolmetscherin) liegt es an­ders: Das waren einzelne Begegnungen mit Menschen in bereits vorgerücktem Le­bens­al­ter, da kam der Tod nicht überraschend.

Anders bei Roger Willemsen. Im Jahr 2000 haben meine Schwester Frie­de­ri­ke und ich an einem Dreh für einen Dokumentarfilmthemenabend teil­ge­nom­men. Wir fuh­ren mit der gläsernen S-Bahn um den gerade sich schließenden Berliner Ring, deutsche Dokumentarfilmer haben sich in Interviews zum Stand des do­ku­men­ta­ri­schen Schaffens in Deutschland geäußert, Beiträge stellten Berlin vor, Roger Wil­lem­sen führte durch den „blick.berlin.dok“-Abend.

Nun gehöre ich verschiedenen Ver­bän­den und Vereinen an, und es war die Ar­beits­ge­mein­schaft Dokumentarfilm (AG DOK), die dieses Programm initiiert hatte. Im Rahmen der Vereinsarbeit sind immer wieder di­ver­se Auf­­trä­­ge zu übernehmen, in denen wir uns selbst neu erfinden. Ich jedenfalls war bei dem Projekt für "Maske" zuständig, das erste und bislang einzige Mal.

Zwischendurch kamen wir gut miteinander ins Gespräch. Seine kluge, bedächtige und zugleich lie­bens­wür­dige Art fand ich später wieder, als ich bei Ar­beits­es­sen mit fran­­zö­­si­­schen und deut­schen Pro­du­zenten ge­dol­metscht habe, bei denen er zugegen war. Es ging um ein Projekt für den deutsch-fran­zö­si­schen Kul­tur­ka­nal, aus dem leider nichts wur­de. Reihen wie diese oder mit ähnlich differenzierten, zu­ge­wand­ten Menschen feh­len in den deutschen und französischen Medien.

Player: Roger Willemsen
Antworten von 2009
Ich empfehle ein älteres und doch aktuelles Interview mit Willemsen zu ZEIT-Le­ser­fra­gen (und muss endlich das Buch über den Bundestag le­sen). Zum Ab­schluss ein Wil­lem­sen-Zitat: "Das Leben kön­nen wir nicht ver­län­gern, aber wir können es ver­dich­ten."

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Foto: DIE ZEIT

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