Samstag, 13. Februar 2016

Sprachenvielfalt, nicht: Berlinale

Bonjour und hallo! Als Dolmetscherin und Übersetzerin arbeite ich seit über 15 Jahren in Berlin, Paris und dort, wo die Kunden mich hinholen. Dieser Tage steht wieder die Berlinale auf dem Programm, leider nicht mehr bei öffentlichen Film­ge­sprä­chen und simultan verdolmetschten Filmen, denn zu 90 % findet die Berlinale jetzt auf Englisch statt.

Bei einigen Presseinterviews, mancher "Teamanbahnung" (Achtung, Lesestolperer) und bei Würdigungen dürfen die Menschen weiterhin in ihrer Muttersprache spre­chen oder sie hören.

Dolmetscherkabine mit den Sprachen (1) Deutsch (2) Englisch
Tempi passati
Der Berlinaletrend, alles auf Englisch zu machen, hat nicht nur den einstmals ehernen di­plo­ma­ti­schen Grundsatz er­schüt­tert, dem zufolge jeder in seiner Sprache sprechen durfte, weshalb bei etlichen Events auf dem kleins­­ten ge­mein­sa­men Sprach­­nen­ner ge­ra­de­brecht wird, nein, es scheinen pa­ral­lel dazu teil­wei­se auch die Um­gangs­for­men unter die Räder ge­kom­men zu sein.

Leider erreicht der Abwärtstrend manchmal sogar die Honorare, ich sage nur Dumping. Heute habe ich schon wieder einen wenig subtilen Erpressungsversuch erlebt. Es geht um einen Berlinalejob. Ich würde meinen Job doch lieben, wurde ich um den Preis­nach­lass von 50 % angegangen, warum ich denn so viel Geld dafür ver­lan­gen wür­de.

Erstens ist es nicht "so viel Geld", verglichen mit meiner Leistung ist es eher wenig, als da wären: Vorbereitung, Einsatz vor Ort und die Nachbereitung wieder Zu­hau­se. (Wenn es sein muss, halten wir die Pausen kurz, im Nachhinein pflege ich noch Dienst am Endkunden und lese gerne verschriftete Interviews gegen.)

Schick der Satz, den eine Freundin neulich in einem anderen Kontext gefunden hat: "Würden all die Männer, die Spaß im Job haben, auf ihren Lohn verzichten?"

Im Grunde ist meine Arbeit das Dreifache wert. Nur weil Ihr Budget leider so begrenzt ist, Madame, Monsieur, gebe ich mich mit den normalen Sätzen zu­frie­den.

Für Fachinterviews empfehlen wir natürlich immer auf Film und Medien spe­zia­li­sier­te Kolleginnen und Kollegen. Für eine neue Brille gehen Sie doch auch nicht zum Hausarzt.

Denn es ist wichtig, dass découpage nicht mit „Schnitt" übertragen wird, wie es das Verb couper — schneiden nahelegt, sondern mit „Auflösung". Geht das Team auf „Motivsuche", ist repérage angesagt, es sucht dann Drehorte und nicht, wie fälschlich rückübersetzt wurde, das Thema des Films. Das Wort étalon ist der französische Begriff für "Hengst". Da der Kontext derlei angeboten hatte, dol­metsch­te mal eine Nicht-Fachdolmetscherin das davon abgeleitete étalonnage mit der Dominanz des Regisseurs am Set, des "großen Hechts". Gemeint war aber eigentlich nur die Farbkorrektur als Schritt der Endfertigung.

Die Beispiele stammen alle aus der Praxis, sind öffentlich so gesagt worden. Vom gleichen Kaliber ist die clause de bonne fin, über die ich schon hier geschrieben habe: "Happy End".

So weit ins Detail kommen viele Publikumsgespräche und auf simplified english geführte Interviews oft schon gar nicht mehr. Nicht selten sprechen beide Parteien, Befrager und Befragte, eine für sie fremde Sprache. Der diplomatische Ausstieg des Blogposts geht so: Auf den langjährigen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher geht folgendes Bonmot zurück ...
Auf Englisch sage ich, was ich sagen kann, in meiner Muttersprache sage ich, was ich sagen möchte.
Variante zwei: Als Abschlusspirouette folgt ein Lesehinweis, denn es gibt andere kritische Stimmen zum Berliner Filmfestival. Zum Auftakt fragt Filmkritiker Rüdiger Suchsland in seinem Berlinale-Tagebuch nach dem Zustand des deutschen Kinos, warum es so wenig präsent ist in den Debatten dieser Tage und warum die neuen Filme von Nicolette Krebitz und Tom Tykwer nicht auf den Berliner Film­fest­spie­len gezeigt werden, hier entlang zu Artechock.

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Foto: C.E. (Archiv)

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