Freitag, 10. Juli 2015

Zeitpuffer

Welcome, bienvenue, hier bloggt eine Dolmetscherin und Übersetzerin über ihren Berufsalltag. Meine Sprachen sind Französisch (als Ausgangs- und Zielsprache) und Englisch (Ausgangssprache). Ich arbeite in Paris, Berlin, Köln und dort, wo Sie mich brauchen.

Heute vor einer Woche fand unser letzer Dolmetscheinsatz der Saison vor Publikum statt. Es war extrem heiß, mein Rechner kam frisch aus der Werkstatt, denn meine Technik wird runderneuert. Aber darüber möchte ich gar nicht spre­chen, son­dern darüber, dass ich schon 1,5 Stunden vor Diskussionsbeginn in der Nähe des Ver­an­stal­tungs­or­tes war, die Dauer von Technikterminen lässt sich nicht planen.

Straßenname "Einemstraße" mehrfach in die Architektur integriert, allerdings in der heutigen Karl-Heinrich-Ulrichs-Straße
In Berlin-Schöneberg
Nach Hause zu fahren hätte sich kaum ge­lohnt, dort hätte ich nur Schu­he wech­seln und ein Glas Wasser trinken können. Also war ich froh, mich schon mal im Kiez umsehen zu kön­nen. Vielleicht wür­de ich hier, in der Nähe der Ei­nem­stra­ße, auch eine der alten Ull­stein­vil­len fin­den, in der ich vor Urzeiten mal war (und die ich auch aus dem "Ullsteinroman" von Sten Nadolny kenne, wenn ich mich richtig erinnere).

Ziel ist eine Adresse in der Ulrichs-Straße. Mein Notizzettel mit der Adresse, in die­sem Bereich bin ich noch analog un­ter­wegs, er­weist sich irgendwie als falsch. Auch Passanten wissen nicht weiter. An etlichen Häusern steht Einemstraße, aber eigentlich, so meint mein Zettel, müsste ich längst da sein.

To make a long story short: Ich war längst da! Die Straße ist umbenannt worden. Was war ich froh, dass ich in der Regel mit viel Zeitpuffer zu den Einsätzen gehe. Über die Villa schreibe ich ein andermal, denn es blieb doch keine Zeit für die Er­kun­dung.

Vor Ort habe ich erstmal unseren Arbeitsplatz eingerichtet, die Technik geprüft, mich vom Stress erholt und die Redner befragt, um die Lexik zu ergänzen.

Das mit dem Puffer ist übrigens sehr wichtig. Einmal ließ größeres Federvieh im Vorbeiflug etwas fallen, und das landete ausgerechnet auf meiner schwarzen Jacke (die ob des sauren Gemischs leider nie wieder sauber wurde). Ich hatte Zeit für einen Kurzbesuch im Second-Hand-Laden vor dem Ort des Geschehens und im Kon­gress­ho­tel für einen Sprung unter die Dusche im Wellness-Bereich.

Ein andermal wollte ich die Wohnung verlassen und war eingesperrt. Irgendwelche Superfachleute haben vor 300 Jahren unser Sicherheitsschloss verkehrt herum ein­ge­baut. Mein Bruder, der eine Zeitlang mit mir die Wohnung geteilt hat, war im Morgengrauen zum Zug geeilt und hatte gut hinter sich zugemacht. Dass sich dann das ver­dreh­te Schloss von innen nicht mehr öffnen lässt, weiß ich seither.
Wir wohnen im 3. Stock, die direkten Nachbarn und jene aus dem 4. waren schon zur Arbeit oder im Urlaub. (Zum Glück gibt es Internet.)

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Fotos: C.E.

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