Dienstag, 27. Januar 2015

Grace

Willkommen auf der Seite einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin mit Hauptarbeitsort Berlin. Nicht über die einstige Schauspielerin und Fürstin eines Seeräubernests möchte ich heute sprechen, sondern über wenig Graziles, ähh, Elegantes im Büro.

Heute flatterte mir wieder eine Übersetzungsanfrage ins Haus. Nein, im ei­gent­li­chen Sinne war es keine Übersetzungsanfrage, ich sollte nur eine fertige Arbeit lektorieren. Auch das mache ich re­gel­mä­ßig. Die "Übersetzung", die ich mir an­se­hen durfte, sah allerdings wie Kraut und Rüben aus.

Ich fragte mit einer bewusst karg gehaltenen einzeiligen Antwort nach. So erfuhr ich, was ich bereits geahnt hatte: Der Text war das Produkt eines maschinellen Übersetzungsvorgangs.

Verlockendes Angebot
Die "Korrekturarbeit" hätte vom Umfang her etwa bei 110 Pro­zent des­sen gelegen, was es ge­braucht hät­te, den Text kom­plett neu zu übertragen.

Automatische Übersetzung ist möglicherweise bei hoch­gradig standardisierten Texten sinn­voll, ein "Translation Memory System" als aktives Wörter­buch, das in die Über­setzungs­vor­lage erste Vorschläge auto­ma­tisch einfügt, bei hoch­gradig technischen Texten.

Die Vorlage war nichts davon.

Der Agentur schwebte übrigens die fürstliche Entlohnung von 20 Cent je Normzeile vor. Normalerweise ent­ste­hen Preise so: Die Über­setz­ung wird beispielsweise je Über­setz­er­norm­zei­le (à 55 An­schlä­ge) mit 1,50 Euro ent­lohnt, das Lektorat mit 30 Cent je Norm­zei­le. Die Vorlagen von Profis sind meistens gut; so ist mal hier ein Komma, dort ein tref­fen­de­rer Ausdruck oder eine Zeitform zu ändern.

Zusammen mit dem "Lektoratsangebot" erhielt ich einen Vertrag über meine Be­auf­tra­gung, der nur so von Ungereimtheiten strotzte. Dazu fällt mir ein, dass Google Translate das Wort nichtrechtskräftig mit not quite strong übersetzt.

Warum denken so viele, dass sich ein derartiges komplexes, vieldeutiges und kul­tu­rell eingebundenes Gebilde wie Sprache von Maschinen übertragen lassen könnte? Glauben diese Leute auch allen Phishing-Mails, die sie erhalten, in Vor­freu­de auf die Kohle? Dass Grace nicht mit Namen "Fräulein" heißt, davon darf aus­ge­gan­gen werden. Na klar, machine translation is powerful, maschinelle Über­setz­ung ist mächtig!

Gnade! |Agentur| Sprachmakler, der Du Kunden unter Vortäuschung falscher Tat­sachen abzockst, verschone mich mit Deinem Phishing-Sch...wachsinn.

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Illustration: Gnade, Fräulein!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Moin, moin,
der hier wiedergegebenen Textprobe ist ist trotz Vergoogelung zu entnehmen, dass es sich um einen so genannten Nigeria-Scam handelt. Näheres dazu hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Vorschussbetrug
Sie hätten für Ihre Arbeit wohl nie Geld bekommen, hätten Sie den Auftrag angenommen.

Ulrich Schol

caro_berlin hat gesagt…

öllig logisch, wir kennen ja alle diese Art von Mails. Noch "schicker" ist die Variante, wo Dolmetscher aus dem Ausland gebucht werden und vorab ein Verrechnungsscheck zugesandt wird. Der ist dann allerdings höher als die Rechnung betragen wird. Der "Kunde" schreibt etwas von Irrtum und bittet um Überweisung des Differenzbetrags.

Nun geht die Überweisung ins Ausland schneller als die Gutschrift des Schecks — und futsch ist das Geld.

Immer schön vorsichtig sein!
Gruß,
CE