Donnerstag, 14. November 2013

Meine Herren!

Will­kom­men auf den Web­sei­ten ei­ner Über­setz­er­in und Dol­met­scher­in für die fran­zö­si­sche Spra­che. Hier be­rich­te ich in lo­ser Fol­ge über Epi­so­den aus mei­nem Be­rufs­all­tag.

POV Dolmetscherin: Konferenzsaal, Gäste, Servicepersonal und zwei MikrofoneAls ich den Fahrstuhl betre­te, bin ich noch sichtbar und Da­me. Ein Mann lässt mir den Vortritt. Wir, das sind drei Her­ren und ich, befinden uns in einem sehr repräsentativen Ge­bäu­de im Herzen Berlins. Wir tra­gen alle Anzüge in ge­deck­ten Farben. In der Hand halte ich den kleinen Flüster­kof­fer, der wie ein Ak­ten­kof­fer aus­sieht (*).

Die kurze Reise soll uns bis unter das Dach führen, wo die nächsten drei Stunden eine Jahrestagung stattfinden wird. Auf der Fahrt nach oben werde ich unsichtbar. Im 2. Stock geht die Tür auf. Vor dem Fahrstuhl stehen zwei Frauen, die keine An­zug­trä­ger sind. Sie haben elegante Kittelschürzen an und transportieren kleinere Rei­ni­gungs­ge­rät­schaf­ten (die ich nicht benennen könnte).

Einer der mitreisenden Herren sagt: "Hereinspaziert, die Damen!" Die Damenwelt im Putzfrauenkittel antwortet unisono: "Vielen Dank, die Herren!"

Wir kommen oben an. Die Tagungsleitung weist mir ein Stühlchen an, auf dem ich später hinter einem französischen Medienmann Platz nehmen soll — Wasser, Tee oder Kuchen wären damit außer Reich­wei­te. Zum Glück hat mein Dolmetschkunde sich selbst schon einen Platz ge­sich­ert, für mich einen mit. Ja, einen "echten" Sitzplatz. (Dolmetscherkabinen sind, wenn es nur eine Person zu beflüstern gilt, nicht üblich.)

Im Raum sind an die 30 Herren mit ergrautem oder sich lichtendem Haupthaar und zunächst zwei, dann drei Damen versammelt (ich zähle als dienstleistendes Per­sonal hier nicht mit). Die Diskussion wird eröffnet: "Meine Damen und Herren ..." Wenig später wer­den die "Herren der 1. Stunde gewürdigt", währenddessen ser­vie­ren eine Dame und ein Herr Tee und Kaffee. In der französischen Regierung sind die Mi­nister­posten quotiert; im deutschen Regierungsviertel gilt gender parity, wenn's gut läuft, immerhin schon mal fürs Bedienungspersonal.

Unberührter KuchentellerDass ich in pole position zum Kuchen sitze, nützt mir übri­gens nicht viel. Der erste Stol­len dieses Win­ters bleibt un­be­rührt. Wie gesagt, drei Stun­den wird die Sitzung dau­ern. Als An­wei­sung bekam ich für die Solo-Nummer den Tipp, ich müsse ja nicht jedes Detail dol­metschen und könne auch pausieren, wann immer es nötig sei.

Ich hatte 15 Minuten Pause je Zeitstunde |ausbedungen| erbeten. Man ging davon aus, dass die Veranstaltung selbst auch kurze Unterbrechungen haben würde. Hat­te sie aber nicht. Und welche der Worte (oder Minuten) des äußerst spannenden (abgelesenen!) Vortrags samt Diskussion lasse ich jetzt weg? Ich komme gar nicht dazu, diesen Gedanken zuende zu denken.

Es gibt Themen wie Filmwirtschaft, Bildung und inzwischen auch Europapolitik (so­lange es nicht um Gesetzesdetails geht), die "fahre" ich per "Autopilot", die dol­met­sche ich nicht aus der frisch erlernten Lexik, dem Arbeitsspeicher, hier wird die Festplatte selbst aktiv, sie ist größer, das System ist weniger störanfällig und läuft weniger schnell heiß. Kurz: Vokabeln, mit denen ich seit Jahren jongliere, machen mir keine Angst mehr. Mein Dolmetschkunde, den ich seit 1991 kenne, auch nicht. Ich setze mich also möglicherweise etwas undamenhaft entspannt hin, schalte das Mobiltelefon und mein Ego aus und rede. (Danke, meine Herren, dass keiner zum Fotohandy griff!)

Nur einmal kommt Stress auf. Es ist der Moment, als die Herrschaften neben uns wie Schulbuben zu schwätzen anfangen. Sorry für meine Beschreibung und dafür, dass ich es hier vielleicht ein wenig an Respekt mangeln lasse, aber durch sowas wird es schwierig bis unmöglich, das Saalende zu verstehen und gleichzeitig zu sprechen. Zum Glück hatte ich ja Kopfhörer und Mikrofon dabei, den Flüsterkoffer, so dass ich der Störquelle aus­wei­chen konnte. Hm, vielleicht hat ja mein Dau­er­flüstern die Jungs auch angeregt?

Abgesehen von der Müdigkeit, die mich morgen ereilen wird, weisen lange So­lo­ter­mi­ne noch einen gravierenden Unterschied auf. Normalerweise kon­zen­trie­ren wir uns beim Sprechen auch auf die Schönheit der Worte. Wir sprechen einen Satz, der in der Luft hängt, durchaus schon mal zuende, ver­knüpfen lo­se En­den, bauen ge­le­gent­lich eine kleine rhetorische Schleife ein mit der Wiederholung eines Kern­be­griffs, wenn es der Verständlichkeit hilft. Ich vergleiche das immer mit den Zier­kap­pen eines Autoreifens. Die fahrbaren Untersätze rollen auch so, mit Zier­kap­pen ist's aber schöner.

Bin ich alleine im langen Einsatz, haushalte ich mit der Energie und beschränke die Auf­hüb­schungs­maßnahmen auf ein Minimum. Das Ergebnis klingt weniger druck­reif. Gerade die deutsche Gram­matik bietet in ihrer Komplexität und mit dem Verb am Ende viele Möglichkeiten, Sätze ins Endlose zu mäandern, um den Abgrund wenigstens zart an­zu­deu­ten.

Als sich dann der einzige nicht mehr aktive Politiker Deutschlands, der in ge­schlos­senen Räumen öffentlich rauchen darf, eine Zigarette ansteckt, bin ich ihm dank­bar dafür, dass dies erst nach etwa anderthalb Stunden geschah. Viel Rück­sicht, einer Dame gegenüber! Vielleicht war ich doch nicht unsichtbar.


Vokabelnotizen:
Aktenkoffer — attaché case auf "Franglais", das deutsche Wort musste ich nach dem Marathon nachschlagen.
Zier- oder Schmuckkappe — enjoliveur oder chapeau de roue
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Fotos: C.E.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sehr geehrte C. E., haben Sie dann drei Stunden am Stück gedolmetscht?

caro_berlin hat gesagt…

Ja. Ich habe mich daran erinnert, dass mir die Kolleginnen, die bei Gericht dolmetschen, gerade erst auch von stundenlangen Verhandlungen berichtet haben, zu denen keine 2. Dolmetscherin geladen ist. Habe mich entspannt, auf "Autopilot" geschaltet und meine "Unterbrechungen" bestanden dann in Rumgehen ... bzw. es gab 3 x 5 Minuten, in denen mein Kunde selbst mit seinem Nachbarn geflüstert hat und ich mir für eine Zusammenfassung dann nur Stichworte gemacht habe.

Und ich war auch nicht über die Maßen kaputt hinterher, was aber wirklich daran liegt:
a) Thema bekannt,
b) Kunde wohlbekannt,
c) die Tage davor waren stressfrei gewesen,
d) die Tage danach stand auch nichts an.

Jedenfalls war ich überrascht, dass es so schnell vorbei war.

Und wem habe ich jetzt da geantwortet?

Gruß, CE

Th. hat gesagt…

Hi Caro, also mir nicht. Ich kann mir vorstellen, dass Du allein drei Stunden durchhältst, aber eigentlich sollte es ja anders sein, oder? Sonst gibt's bald auf den Konferenzen nur noch Solo-Nümmerchen, das will ja keine(r).

Gruß, Th.

caro_berlin hat gesagt…

Lieber Th.,

nein, für Konferenzen geht das natürlich absolut nicht. Hier ging es "nur" darum, zur Hintergrundinformation zu dolmetschen — und zwar für EINE Person, die sich am Ende auch gar nicht an der Diskussion beteiligt hat, von kleinen Flüstereien mit dem Tischnachbarn bzw. Gesprächen anschließend abgesehen. Dass die Sache inhaltlich dann äußerst anspruchsvoll war, zählt gewissermaßen unter individuelles Pech. Ich hätte aber auch jederzeit meine Pausen nehmen können. Und dann war ich so entspannt und sprach halt mal so vor mich hin ...

Arte verwendet dafür üblicherweise den Begriff « interprète de liason », am I right? (Auf Englisch fand ich dazu den Begriff ad hoc interpreter, ist das jetzt alles deckungsgleich mit dem Begriff "Verhandlungsdolmetscher"?) Will sagen: Das Ergebnis ist am Ende sicher nicht ganz so akkurat. Anders ist es, wenn wir 1.) zu zweit und 2.) in einer anständigen Kabine sitzen.

Hallo, liest hier jemand von Arte mit? Ich kenne den Begriff nur aus dieser Situation: Bei Interviews für Journalisten/Moderatoren dolmetschen, aber bevor gesendet wird, folgt erst der Schnitt, dann wird das getippt und geschleift und von Schauspielern vertont (Dok) bzw. von den bekannten Arte-Dolmetscherstimmen take für take neu verdolmetscht (andere Programmformate).
[Ach, das würde ich mir gerne mal vor Ort ansehen bzw. dabei mitmischen. Eine gute Sprechstimme sagt man mir nach.]

Der Vergleich zum Gerichtsdolmetschen war Donnestag für mich relevant, wobei ich das mit den Gerichtsverhandlungen und nur EINEM Sprachmittler auch für stundenlange Befragungen viiiiieelll kritischer sehe als das Alleinvertonen eines solchen Hintergrundgesprächs ...

Bei Konferenzen sind ja sehr viele Hörer daran beteiligt, da geht es oft einen oder mehrere Tag(e) lang um sehr spezifische Themen, das ist etwas ganz anderes!

Bonne nuit et bon retour !
CE