Montag, 11. November 2013

Dolmetschen für eine Delegation

Bonjour auf den Seiten mei­nes vir­­tu­­el­­len Ar­beits­­ta­­ge­­buchs. Ich ar­bei­te in Paris, Ber­lin und an­ders­wo als Sprach­mitt­lerin mit den Fach­ge­bie­ten Wirtschaft, Politik, Soziales und Kultur.

Hier in kurzen Schlaglichtern der schon länger angekündigte Rückblick auf unsere Delegationswoche Ende Oktober/Anfang November.

Dolmetscherinnen im Rückspiegel * Dolmetschkoffer * Rathauskeller * abendlicher StraßenverkehrDie Reisenden verbrachten nach dem An­rei­se­sams­tag einen ruhigen Sonntag in Berlin und durften ne­­ben der Überwindung des Jetlags auch ein wenig Berlin entdecken. In den Folgetagen gab es al­ler­dings keine Zeit für Tourismus. For­schungs­rei­sen, die mit Geldern der öffentlichen Hand fi­nan­ziert werden, haben ja auch keine Orts­er­kun­dun­gen zum Gegenstand, es sei denn, Ar­chi­tek­ten und Ur­ba­nisten sind unterwegs.

Also taten wir, was wir konnten, um unseren Gästen einen Eindruck von Berlin zu vermitteln. Die Terminkalender unserer Gesprächspartner machten wiederholte Durchquerungen Berlins nötig. Ko-Kabine Isabelle und ich lieben beide Berlin und interessieren uns für Geschichte.

Also erzählten wir "unsere" Stadt, erklärten Wen­de- und Nach­wendezeit, wiesen auf Bauwerke hin, brachten Hintergrund, stellten Verbindungen her. Dazu nahmen wir spätestens ab dem 2. Tag im Reisebus auf den Klappsitzen der "Stadt­bild­er­klä­rer" Platz, wie Reiseführer auf Ostdeutsch hießen. Uns hat es Spaß gemacht (wenngleich wir diese Fahrten dann nicht für Kurzschlafphasen nutzen konnten), den Gästen auch.

Einer der Gäste kommentierte am Ende: "Ich wäre am liebsten gar nicht mehr aus dem Reisebus aus­ge­stiegen."

Versalzene Tomatensuppe im Rathauskeller! Die Dol­met­scherkollegin erklärte das deutsche Sprich­wort, dem zufolge bei zu stark gesalzenen Speisen der Koch verliebt sei. Ich allerdings hätte die Sache gerne reklamiert, machte Anstalten, die Bedienung herbeizuwinken. Die Referentin eines hohen neukaledonischen Beamten sah mich er­schrocken an: "Nein, auf keinen Fall ...!" Ich beugte mich den Gepflogenheiten unserer Gäste, wir Dol­met­scher­in­nen sind ja nur Sprach­rohr.

Plötzlich ist mir peinlich, dass ich eben durch ener­gi­sches Bestellen einer "heißen Zitrone" auf­ge­fal­len war. Dem Kellner hatte man wohl ver­bo­ten: "Das haben wir nicht!" zu sagen. Er meinte: "Ich kann Ihnen Cola oder Saft anbieten oder Kaffee!"


Ich sagte darauf: "Ich bin leicht erkältet ..." und erklärte, wie eine heiße Zitrone 'gebaut' wird. Der Kellner wiederholte seine Worte. Ich darauf: "Dann nichts." Wenig später geschah ein Wunder: Das Wunschgetränk wurde doch serviert; ja, es hat geholfen, mich fit zu halten.

Das Moment ist aufschreibenswert, leben wir Dolmetscher doch davon, dass wir spontan sprechen und dass sich unsere Selbstzensur in den Bereichen Wortwahl und grammatikalische Richtigkeit abarbeitet. Sich in Anwesenheit weitgereister Gäste nicht danebenzubenehmen, ist manchmal gar nicht so einfach.


Mikro und Menschen drinnen // Menschen draußenEinmal standen wir im "Lernladen" Neuköllns, hier können sich in einem Ladengeschäft Ju­gend­li­che und Erwachsene in Sachen Aus- und Fortbildung beraten lassen. Der Raum war klein, die meisten mussten draußen warten. Wir spra­chen leise ... und als Fragen gestellt wurden, hielt ich das Mikro dem Fragenden hin, dol­metsch­te eben diese Frage anschließend kon­se­ku­tiv für unsere Gastgeber. Warum? Damit die Drau­ßen­ste­hen­den nicht nur die Antwort zu hören be­kam­en. Parallel zum Dolmetschen griff ich schnell noch zum Fotoapparat ...

Dann verließen wir den Raum und zogen in ei­nen Konferenzraum um, denn niemand wollte laufende Beratungen stören.

 

POV Dolmetschertisch * Nüsse und TrockenfrüchteEs gab ein kurzes Tagungsprogramm sowie ein dickes Bändchen mit allen Ortsangaben, ge­nau­en Zeiten und sonstigen Pla­nungs­be­stand­tei­len. Auf unsere Frage nach Extrawünschen hatte ich Wochen zuvor etwas von "Stu­den­ten­fut­ter" ge­mur­melt. Der dicke Leitfaden war auf Eng­lisch. Al­so zogen sich "nuts and dried fruits" durch die Woche. Zurückübersetzt wurde das al­ler­dings nie.
♦ 

Unsere Reisenden waren immer mit dem Roll­kof­fer unterwegs, darin befanden sich Pros­pek­te und Gastgeschenke, Handgemachtes aus Neu­ka­le­do­nien, Salz im Schmuckfass, Stoff­taschen, Bild­bände und Schirmmützen.

Gastgeschenke * herbstlich dekorierter KonferenztischAlle Gesprächspartner wurden beschenkt. So überreichte der Arbeitsminister Neu­ka­le­do­niens einem Mitarbeiter einer Berliner Se­na­to­rin einen bebilderten Tisch­ka­len­der für das Jahr 2014, eine Schirmmütze sowie Prospekte. Der deutsche Beamte berichtete daraufhin trocken, dass er persönlich keine Geschenke annehmen dürfe. Er werde seiner Ministerin aber davon berichten, die Geste sei es ja, die zähle, die Sachen würden dann bei einer Ge­schen­ke­sam­melstelle abgegeben, die wie­derum über ihre Verwendung zu ent­schei­den hätte.

Als er diese Worte vernahm, sah der neu­ka­le­do­ni­sche Minister gar nicht glücklich aus.

Hinweisschild "Delegation Neukaledonien" * Gäste in NeuköllnEr sagte einige Worte zur traditionellen Gast­freund­schaft seines Landes und seiner tribu (sei­nes Stammes), der deutsche Beamte ver­such­te daraufhin mutig, die etwas be­klom­me­ne Stim­mung wegzuparlieren. Das gelang indes einem Dritten, einem französischen Staats­be­am­ten, der in dem fernen Inselparadies arbeitet. Geistesgegenwärtig meinte er, dass es sich bei den Sachen ohnehin nur um "In­for­ma­tions­ma­te­ri­al" handeln würde, vielleicht seien hier die Re­geln nicht so streng. Der Se­nats­be­am­te setzte flugs sein Informationsmaterial auf den Kopf, lüftete es wenig später und verabschiedete sich.

Die ab Werk zugenähten Jackentaschen meiner Winteranzüge hatte ich nie geöffnet, das war einst der Tipp meiner Sprecherziehungslehrerin, und der geht so: "Wer keine Anzugjackentaschen hat, kann auch vor Verlegenheit seine Hände darin nicht vergraben." Ich musste das allerdings ändern und griff zur Schere, denn bei De­le­ga­tions­rei­sen müssen immer Ersatzakkus für die Empfangsgeräte dabei sein. Komisch, habe ich immer nur im Sommer Delegationen begleitet?


______________________________  
Fotos: C.E.
Andere Einträge
zum Thema: Muskelkater,
Lacher, müde, Nachbereitung

Keine Kommentare: