Von außen betrachtet könnte es so aussehen: Dolmetscher sind wie Zwangsneurotiker, denn dauernd wiederholen sie ihre mündlichen Prüfungen, ständig lernen sie. Ein wichtiges Utensil dieser schönen, anerkannten Verrücktheit möchte ich heute vorstellen: Die Vokabelkartei.
Sogar auf der Fahrt zum Flughafen lerne ich. Seit zwei Tagen lese ich mich in die Materie ein, die Reden und PowerPointPräsentationen kamen wie immer sehr spät. Die meisten Informationen habe ich am Vorabend verarbeitet. Am Morgen sitze ich in der BVG und schlage im digitalen Wörterbuch noch Wörter nach. Schnell 'ne Vokabelkarte beschriften, dann umsteigen.
Am Flughafen konnte ich weiterlesen und -lernen, auch im Flugzeug. Gut: Die Karteikarten sind analog, müssen bei Start und Landung nicht heruntergefahren werden.
Am Zielort zücke ich in der Straßenbahn meine Waffen. Den kleinen Vokabelcomputer soll ich auch mit eigenen Vokabellisten füttern können, habe das aber noch nicht ausprobiert. Mir reicht die Komplexität der zwingend notwendigen Technik.
Im Hotel breite ich die neuen Vokabeln aus und überfliege sie wiederholt in Windeseile. Noch kann ich sie nicht. Ich mache mich aber so mit ihnen vertraut. Dann Abendessen, Spaziergang, Sauna. Immer, wenn ich hier vorbeikomme, schaue ich auf die Termini. Ich versuche mich an raschen Übersetzungen, drehe sie um, lasse sie umgekehrt liegen. Schlüsselbegriffe wandern sogar in Mantel- und Bademanteltasche.
Vor dem Einschlafen und am nächsten Morgen, der Kongress beginnt erst am späten Vormittag, lese ich weiter, jetzt vor allem auf Inhalt. Zwischendurch prüfe ich immer wieder die Vokabeln, wiederhole neue und ältere Wörter. Das System ermöglicht mir, die Wiederholungsschleifen wunderbar zu steuern. Die kleinen Blanco-Kärtchen gehen zu Neige, leider sind sie nur in Deutschland im Handel.
Eine andere Dienstreise, die gleiche Kartei: Sogar auf Fahrten zwischen verschiedenen Einsätzen, wenn wir z.B. mit einer Delegation von Politikern, Wirtschaftskapitänen, Ingenieuren, Gewerkschaftern oder Studenten unterwegs sind, nutze ich die Karten, hier alte Karten von 2008, die ich im Büro thematisch abgelegt hatte.
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Fotos: C.E.
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