Dienstag, 15. Oktober 2013

Mediendolmetschen (4)

Will­­kom­­men beim Blog aus der Dol­­met­­scher­­ka­­bi­ne. Ich arbeite in den Be­­rei­­chen Wirt­­schaft und Po­li­tik, So­ziales und Kul­tur. Manch­e Jobs sind nicht einfach, weil die Themen belastend sind. Aber die Qualität der menschlichen Begegnungen gleicht das wieder aus. 

Ärztin, Kameramann, Reporter ... und KameraDonnerstagmorgen, ein Notruf: Man wolle mich für Freitag engagieren, ein sensibles Thema, Ge­ni­tal­ver­stüm­me­lung, und eine gerade den Kin­der­schu­hen entwachsene Protagonistin. Die Sache ist eindeutig: "Wir wollen Sie, denn Sie bringen ja mehr als Dolmetschen!" Wie schön, da hat jemand in meinem Blog gelesen!

"Danke für den Claim!", hätte ich beinahe gesagt, aber so schlagfertig bin ich nicht. Das Problem: Ich bin für den Tag schon vergeben. Der Anrufende insistiert. Schließlich wäge ich ab und sende die Kollegin zum Stamm­kun­den. Dann lese ich mich ein (und leide). Und ja, es kann sein, dass unsereiner Angst hat vor be­rufs­be­dingten Begegnungen.

Inab am Fester, der Kameramann hockt auf der FensterbankSchnell fange ich mich wieder. Das Mädchen, das ich vertonen soll, hat wirklich Schlimmes erlebt und sie ist so mutig! Die 19-jährige Inab ist eine der ersten Patientinnen des von Waris Dirie gegründeten Desert Flower-Center in der deut­schen Hauptstadt, wo dank Spenden auch mittellosen ge­ni­tal­ver­stümmelten Frauen geholfen werden kann.

Die zweite Schwierigkeit des Themas liegt in der künstlichen Inter­view­si­tu­a­tion. Ich habe viel Filmerfahrung, kann eine Vertrauensbasis herstellen, die Wucht des Gefilmtwerdens mildern.

Die Augen einer Frau im Monitor einer Kamera
Und genau das mache ich dann auch. Zwischen den In­ter­view­tei­len entstehen Schnittbilder. Ich gehe davon aus, dass sich die junge Frau für Film in­te­res­siert und erkläre die Ein­stellungen, die Wertigkeit von Bildern, das Setting, die Not­wendigkeiten eines Nach­rich­ten­beitrags. Im Interview rob­ben wir uns langsam ran an das Thema.

Die junge Frau spricht in klaren Sätzen und deutet den Abgrund an. Bei der Frage nach den körperlichen Folgen des mit dem Begriff "Beschneidung" verharmlosten Eingriffs hake ich vorsichtig nach. Selten schien es mir so wichtig, das gleiche Geschlecht wie ein Interviewpartner zu haben. Und ich bin froh, dass auch einer der behandelnden Ärzte, eine Frau, im Raum geblieben ist.

Patientin sitzt auf dem Bett und schreibt
Das Dolmetschen ist hier auch kulturelle Vermittlungsarbeit zwischen den Geschlechtern und den Kulturen, zwischen einem jungen Menschen mit traumatischen Erfahrungen und nicht mehr ganz so jungen, ohne le­bens­be­droh­li­che Erlebnisse auf­ge­wach­sen­en Westeuropäern. Die Of­fen­heit der jungen Afrikanerin trägt die Situation.

Manches, was die junge Frau nicht direkt ansprechen kann, findet auf einer an­de­ren Ebene Ausdruck, das ist gut verständlich. Umso überraschender ihre sehr all­ge­mei­ne Antwort bei der Frage nach der Zukunft. Jetzt konkretisiere ich die Frage: "Wo sie sich denn in zehn Jahren sehen würde?" Ihr Gesicht erstrahlt, es sprudelt aus ihr heraus.

Letzte Einstellung: Von Schmerzen befreit verlässt Inab, die zu einer Nach­un­ter­su­chung in Berlin war, das Krankenhaus. "Das Leben geht weiter", hören wir sie im Off sagen. (Fortsetzung folgt.)

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Fotos: C.E.
Wie Sie spenden können, steht hier.

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