Willkommen beim Blog aus der Dolmetscherkabine. Ich arbeite in den Bereichen Wirtschaft und Politik, Soziales und Kultur. Manche Jobs sind nicht einfach, weil die Themen belastend sind. Aber die Qualität der menschlichen Begegnungen gleicht das wieder aus.
Donnerstagmorgen, ein Notruf: Man wolle mich für Freitag engagieren, ein sensibles Thema, Genitalverstümmelung, und eine gerade den Kinderschuhen entwachsene Protagonistin. Die Sache ist eindeutig: "Wir wollen Sie, denn Sie bringen ja mehr als Dolmetschen!" Wie schön, da hat jemand in meinem Blog gelesen!
"Danke für den Claim!", hätte ich beinahe gesagt, aber so schlagfertig bin ich nicht. Das Problem: Ich bin für den Tag schon vergeben. Der Anrufende insistiert. Schließlich wäge ich ab und sende die Kollegin zum Stammkunden. Dann lese ich mich ein (und leide). Und ja, es kann sein, dass unsereiner Angst hat vor berufsbedingten Begegnungen.
Schnell fange ich mich wieder. Das Mädchen, das ich vertonen soll, hat
wirklich Schlimmes erlebt und sie ist so mutig! Die 19-jährige Inab ist
eine der ersten Patientinnen des von Waris Dirie gegründeten Desert Flower-Center in der deutschen Hauptstadt, wo dank Spenden auch mittellosen genitalverstümmelten Frauen geholfen werden kann.
Die zweite Schwierigkeit des Themas liegt
in der künstlichen Interviewsituation. Ich habe viel Filmerfahrung, kann eine Vertrauensbasis herstellen, die Wucht des Gefilmtwerdens mildern.
Und genau das mache ich dann auch. Zwischen den Interviewteilen entstehen Schnittbilder. Ich gehe davon aus, dass sich die junge Frau für Film interessiert und erkläre die Einstellungen, die Wertigkeit von Bildern, das Setting, die Notwendigkeiten eines Nachrichtenbeitrags. Im Interview robben wir uns langsam ran an das Thema.
Die junge Frau spricht in klaren Sätzen und deutet den Abgrund an. Bei der Frage nach den körperlichen Folgen des mit dem Begriff "Beschneidung" verharmlosten Eingriffs hake ich vorsichtig nach. Selten schien es mir so wichtig, das gleiche Geschlecht wie ein Interviewpartner zu haben. Und ich bin froh, dass auch einer der behandelnden Ärzte, eine Frau, im Raum geblieben ist.
Das Dolmetschen ist hier auch kulturelle Vermittlungsarbeit zwischen den Geschlechtern und den Kulturen, zwischen einem jungen Menschen mit traumatischen Erfahrungen und nicht mehr ganz so jungen, ohne lebensbedrohliche Erlebnisse aufgewachsenen Westeuropäern. Die Offenheit der jungen Afrikanerin trägt die Situation.
Manches, was die junge Frau nicht direkt ansprechen kann, findet auf einer anderen Ebene Ausdruck, das ist gut verständlich. Umso überraschender ihre sehr allgemeine Antwort bei der Frage nach der Zukunft. Jetzt konkretisiere ich die Frage: "Wo sie sich denn in zehn Jahren sehen würde?" Ihr Gesicht erstrahlt, es sprudelt aus ihr heraus.
Letzte Einstellung: Von Schmerzen befreit verlässt Inab, die zu einer Nachuntersuchung in Berlin war, das Krankenhaus. "Das Leben geht weiter", hören wir sie im Off sagen. (Fortsetzung folgt.)
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Fotos: C.E.
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