Vorhin begegnete mir auf dem benachbarten Markt am Ufer ein Mädchen im Sweatshirt mit dem Aufdruck: "Nie wieder lernen!" Sie sah aus wie eine der frischgebackenen Abiturientinnen, die bald zu studieren anfangen. Schon megabesch...euert, wenn unsere Bildungsstätten den natürlichen Impuls des Menschen, Neues zu erfahren, derart ersticken.
Unsereiner lernt nie aus. Alle Naslang lerne ich neues Vokabular. Im Januar stand Rechtsextremismus auf dem Programm, im Februar Kino, Filmwirtschaft und Mobilität von Migranten, im März Marketing sowie ein medizinisches Thema, im April waren es Design, Tourismus und Nordafrika, ab Mai ging es verstärkt um Fragen der Steuergerechtigkeit, die binären Ausbildungsformen sowie die berufliche Integration von benachteiligten Jugendlichen, im Juni stand wieder Nordafrika auf dem Programm, zudem Historisches aus Berlin, Homoehe, Finanzmarktkrise und Filmgeschichte.
Nach der Sommerpause drehte sich alles um: Transition der Wirtschaft, nachhaltiger Landbau, Psychologie, Afrika, Wahlen, Bildung, Volkswirtschaft, Bergbau.
Zwischendurch kommen Projekte wie Koproduktions- und Gesellschafterverträge, die Digitalisierung von Kinos und Personalmanagement aufs Tapet, oder aber es ging um die Ausfuhr von Notstromaggregaten aus dem europäischen Raum.
Jetzt brüte ich einen Tag lang über dem Thema Genitalverstümmelung. Das und was in den Nachrichten läuft, geht mir durch und durch. Schon oft habe ich zu den Themen Migration, Flucht, Lampedusa und versiegende Lebensgrundlagen nordafrikanischer Fischer gedolmetscht, am Projekt "Die Farbe des Ozeans" von Maggie Peren mitgearbeitet, der erst im August bei Arte lief und zum Film "La Pirogue" von Moussa Touré durfte ich Publikumsgespräch übertragen. Für alle Berliner: Der Film läuft morgen im Rahmen der Reihe "Film gourmand" im Lichtblick-Kino.
aus "Die Farbe des Ozeans" von Maggie Peren (2012) |
Der Begriff "wissen" trifft es aber nicht ganz. Ich beschäftigte mich intensiv mit den Themen und vertone meine Kundschaft sicher auch mit einem großen Maß an Empathie, an Identifikation, denn um so gut wie möglich in ihrem Namen sprechen zu können, "schlüpfe" ich manchmal, so kommt es mir jedenfalls oft vor, "in sie hinein". Und je mehr ich von der Welt mitbekomme, desto verletzbarer fühle ich mich. Was macht das mit mir? Wie gehe ich damit um?
Und am Ende noch eine nicht ganz ernst gemeinte Frage: Was müssen wohl die gegebenenfalls mitlesenden Nachrichtendienste von mir halten? Wie versuchen sie sich da, ein kohärentes Bild zusammenzureimen?
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Foto: Movienet Filmverleih
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