Derzeit sind wir regelmäßig in Brandenburg, wir begleiten eine Delegation aus Neukaledonien, für mich ist es schon der zweite Einsatz. Nach einigen Tagen kennen sich alle so gut, dass wir Dolmetscher auch mal ein Scherzchen machen dürfen. Nach einem Vormittag in Brandenburgs Landeshauptstadt sind wir am Nachmittag wieder in Berlin.
Brandenburg, hatte man uns als erstes im dortigen Ministerium erzählt, sei locker besiedelt, Berlin deutlich dichter. Ähnliche Raumerfahrungen machten wir in bei den Besprechungen in Behörden. Am späteren Nachmittag wurde mir nach längerem Arbeiten etwas mau im Schädel. Wir befanden uns in einem etwas kleineren Versammlungsraum in Adlershof, mit dem Wort "kleiner" habe ich knapp untertrieben, wir waren 30 in einem Seminarraum mit niedriger Decke. Ich saß mitten im Raum, wir hatten die Flüsterkoffer dabei, und träumte mich eine Sekunde lang in den großen Konferenzsaal des Potsdamer Ministeriums vom Vormittag zurück. Jetzt lag der Sauerstoffgrad sicher nahe an der Grenze der Nachweisbarkeit.
Das Hirn rödelte und suchte nach Vokabeln. Dabei jonglierten wir seit Tagen völlig entspannt mit den tollsten Fachtermini, da geraten die Grundlagen schon mal aus dem Blickfeld. Erst war es das Wort "Handwerker", das mir ums Verrecken nicht einfallen wollte, ich schnitzte den Satz zuende, bastelte etwas von "Werkstätten außerhalb der Industrie", die Kollegin sah es, und sprach mir das Wort lautlos vor. Wir lesen in solchen Fällen von den Lippen ab.
Ein anderes Mal war sie nicht in der Nähe. "Wertschätzender Umgang" war die Vokabel, die ich immer mit "von Respekt geprägtem Umgang" übersetzt hatte. Jetzt sprach der Redner aber folgende Reihung: "Respekt, wertschätzender Umgang und echtes Interesse für das Gegenüber ..."
In Potsdam |
Und ich spüre, wie es sich nähert, dabei höre ich weiter zu, speichere das Gesagte. "Das ist jetzt Nominalstil, was der Redner da produziert", denke ich still für mich, und: "Wo bleibt nur das Verb?" In der Tat fehlt da noch was.
Jetzt schauen mich alle an, hinten fängt jemand an, sich zu räuspern, andere haben fragende Blicke, ob mir etwas fehle. Und schwups, da kommt's: estime bzw. in der Redewendung empreint d'estime, und die ganzen anderen Satzbestandteile blitzen vor meinem geistigen Auge kurz auf. Ich hole tief Luft und fange an, geduldig alles abzuarbeiten, was sich aufgestaut hat. Eine Menge.
Der Redner schaut mich überrascht an. Und ich ergänze: "Da war es mal wieder, das Problem mit dem Verb im Deutschen, das immer am Ende hockt!" Alle lachen. Dann macht jemand das Fenster auf. Endlich Sauerstoff!
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Fotos: C.E.
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