Freitag, 9. März 2012

Und jetzt?

Bonjour auf den Seiten des Logbuchs einer Sprachmittlerin für die französische Sprache. Hier denke ich über meinen Berufsalltag nach, der mich zwischen den Orten der Politik, Kultur und des gesellschaftlichen Lebens manchmal ganz schön auf Trab hält. Mitunter darf ich mich hier nach meinem Geschmack aber zu viel auf meinen Lorbeeren ausruhen. Heute denke ich über das Schreiben nach ... eben dieses elektronischen Arbeitstagebuchs, das Sie gerade angeklickt haben!

Vor kurzem wurde dieses Blog fünf Jahre alt. In der schnelllebigen Zeit, die unsere ist, wirkt das fast schon steinalt. So habe ich die Fortsetzung meines Berichterstattens auch ein wenig von Ihrem feed back abhängig gemacht, denn es gibt viele Ideen, die über die Form des digitalen Arbeitstagebuchs schon weit hinausreichen: Studentinnen baten mich darum, etwas über Lerntechniken zu schreiben, Verlage fragen an, ob aus dem Blog nicht ein Buch werden könne.
Einige schräge Geschichten aus meinem bunten Dolmetscherinnenleben, die das Zeug zum Krimi haben, könnten außerdem wie bereits zuvor geschehen ein Kinderbuch werden (das erste hier.)

Ich musste diese Erlebnisse zunächst deshalb in petto halten, weil polizeiliche Ermittlungen zum Teil bis heute nicht abgeschlossen sind. Ja, in meinem Beruf bin ich schon ganz schön rumgekommen, sogar wiederholt ins Verhörzimmer der Kripo, einmal sogar als Verdächtige: Da hat sich jemand die Dolmetscherin zur Tarnung angeheuert. Unverschämtheit!

Im Alltag merke ich aber, wie der Trend zu Englisch im Allgemeinen und simplified english im Besonderen oder die grassierende Praktikantenausbeute ganz direkt dazu führen, dass der Beruf deutlich weniger Spaß macht als noch vor einigen Jahren. Nicht zu vergessen die unlauteren Wettbewerber. Was soll ich machen? Hier regelmäßig den Kulturverfall bejammern?

Erst neulich schrieb mich die Absolventin einer renommierten Dolmetscherschule an. Sie hatte sich auf einem deutsch-französischen Event Kopfhörer geben lassen und sich einige Notizen gemacht, als das, was sie da hören musste, ihr zu bunt wurde. Allein schon beim Querlesen der von ihr verewigten "Missinterpretationen" kräuselten sich meine Nackenhaare, und dann stand da noch eine Liste mit einigen überhaupt nicht übersetzten Vokabeln, weil sie wohl zu kompliziert waren ... das war haarsträubend! Beispiel für die Kategorie "schräg daneben ist auch vorbei" gefällig? "Ich bin von sechs Richtern verfolgt worden" für j'ai été poursuivi pour six chefs d'inculpation, auf Deutsch: Mir wurden sechs Anklagepunkte zur Last gelegt, oder "der Prozess" für le procédé, der Vorgang.

Ich war bei der Veranstaltung auch zugegen, mit mir einige zweisprachige Freunde und Bekannte. Hinterher diskutierte das Publikum weiter, wobei sich ein Teil der Kommentare auf den Moderator bezog, ihm hätte das Thema wohl nicht so gelegen, er sei so komisch an der Oberfläche geblieben. Nachdem ich das Protokoll der gröbsten Schnitzer auch nur eines Teils der Veranstaltung gelesen habe, die da ein Nicht-Profi in einer professionellen Kabine verzapft hat, weiß ich, woran's lag: Der Moderator konnte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein oder nur wenig Französisch.

Ja, ich weiß, dass solche Kommentare höchst grenzwertig sind. Ein Teil unseres Berufsethos will, dass wir niemals Kollegen anschwärzen, denn bei jedem von uns geht mal was schief, was an den unterschiedlichsten Gründen liegen kann: Kein Vorbereitungsmaterial, Sprechtempi, die mit MG-Salven zu konkurrieren scheinen, schlechte Frischluftzufuhr, das falsche Essen zu Mittag ... Der Zufall wollte es aber und wir hatten uns im Vorfeld auch um den betreffenden Einsatz beworben. Also schaute ich natürlich hin, als die Kabinentür aufging — und zu meiner Überraschung nur eine Person herauspurzelte. Derjenige, der eine durchaus professionelle Kabine zur Tarnung verwandte, war in der Tat kein Profi, ich kannte das Gesicht. Ist also gar keine Kollegenanschwärze ...

Was soll ich machen? Beim renommierten Berliner Kulturveranstalter nochmal nachdrücklich fallenlassen, dass jemand, der ein höchst komplexes Panel mit drei Diskutanten zu einem höchst aktuellen Thema zwei Stunden lang alleine stemmen will, in der allergrößten Regel kein Profi ist? Der Nachwuchsdolmetscherin, die Sorgen hat, wie sie nach ihrer Babypause in Berlin in den Beruf zurückkehren soll, sie hat vorher in Brüssel gewohnt, einen Gastbeitrag anbieten? Ich will aber auch nicht das Blog publizieren, auf dem nur gemosert wird. (Der hier über die Jahre meistgelesene Artikel ist übrigens der Text über den "Verdolmetscher" in der Semperoper, Stichwort LaToya Jackson, und hier ist das Präfix "ver-" als Ausdruck des Irrtums und des Fehlers zu verstehen.)

Tja, von dieser Art sind meine Sorgen. Und gleich noch so'n "ver": Als ich neulich mal unter Autorinnen und Journalistinnen die Vermischung von PR und Journalismus bei ein- und demselben Thema kritisierte, auch in diesem Bereich verlieren wir Aufträge, holte ich mir eine schallende Ohrfeige ab, ich sei ja einfach nur old fashioned, heute gehe Pressearbeit so. Ich fürchte, dass die stagnierenden bzw. sinkenden Journalistenhonorare viele Leute zum Nebenerwerb bewegt haben, das verändert den Blick auf die Dinge. Also halte ich ab jetzt auch die Klappe und schaue mich weiter um. Zurück zum Dolmetschen auf die Messe also, eigentlich ein Anfängerjob ... aber davon berichten? Gähn!

Sie sehen oder vielmehr lesen: Ich weiß derzeit nicht unbedingt, was ich schreiben soll. Alles habe ich irgendwie schon mal betextet. Die Zeiten werden rauer und Triumphe, wie unlängst mein Marburger Auftritt, leider selten. Oder dominiert inzwischen meine Routine und ich fange an, mich gepflegt zu langweilen?

Grobplan: Der Blog erscheint von nun an täglich außer freitags, das ist ohnehin der Tag mit den wenigsten Lesern. Montags, dienstags und donnerstags berichte ich aus der Werkstatt, schreibe über den Sprachschatz  oder bringe kleinere Anekdötchen. Mittwochs ist das "große Stück" dran, im center fold der Woche gewissermaßen, sofern ich Zeit dafür habe. Ärgerkram kommt maximal alle acht Tage, samstags folgt der Link der Woche, sonntags ergänze ich die Sonntagsbilder. Wie klingt das?

Es geht also weiter. Und Fragen, Hinweise, Bemerkungen, Linktipps, ... sind jederzeit herzlich willkommen. Kommentare sowieso!

Soviel zum Blog. Und wohin entwickele ich mich beruflich?

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Foto: C.E.

4 Kommentare:

writingchick229 hat gesagt…

Als zukünftiger und noch ausbildendef Übersetzer und Dolmetscher in den USA verfolge ich Ihren Blog immer mit großem Interesse. Konkrete Beispiele oder Ideen für weitere oder besonders interessante Themen kann ich nicht geben; mich interessiert bis jetzt alles, vom Altag bis zum "Kulturverfall bejammern." Unter all den Dolmetscher- und Übersetzerblogs, die ich lese, ist Ihrer bei weitem der "beste." Bitte weiterbloggen!

Vega hat gesagt…

Moin, Caro, weitermachen auf jeden Fall, mit dem Blog ebenso wie im Job! (Ich weiß, das Wort "Job" hörst Du nicht gern, also:) ähh, im Beruf.

Du bist eine der besten Dolmetscherinnen, die wir haben (je nach zu Verdolmetschendem eindeutig DIE beste!), Dir fehlt nur eins: Ellenbogen. Du bist zu sensibel, trittst zu vorsichtig auf, vielleicht auch, um Deine Kunst, denn bei Dir ist es wirklich eine, zu schützen. Ich sehe Dich wie Chabrol damals meinte als Star der Szene. Das Zitat hast Du nie gebracht, ich verstehe auch, warum ...

Kurz: Eigentlich bräuchtest Du einen Agenten. Aber wer könnte das leisten? Im Grunde müsste man mit der gesamten Filmproduktions- und Festivalszene von Frankreich, Deutschland, Belgien und der französischsprachigen Schweiz in Verbindung stehen. Und dann gibt's beim Film ja auch immer die ollen Regionalpräferenzen. Schauspieler reisen, Dolmetscher eher noch nicht, weil sie als austauschbar angesehen werden.

So gesehen machst Du das einzig Richtige: Du arbeitest aktiv daran mit, dass der Beruf bekannt wird. Aber auch das wieder zu still für den lauten Medienbetrieb ... Vielleicht ist das Medium "Internet" zu heiß, gehen Karrieren auf die alte Art und Weise. Die Idee, dass Du ein Buch zum Thema machst, ein altes, "kaltes" Medium aufgreifst, finde ich gut. Den Rest machen dann für Dich die inzwischen "lauwarmen" Medien: TV und Radio lechzen nach originellen Themen.

Mein Gefühl ist, dass du einfach Geduld brauchst. Das Gute setzt nicht von allein durch, das weißt Du genau. Bleib dran! Bleib stark! Und lass' Dich nicht verbiegen!

Gastbeitrag - für diese aktuelle Geschichte - klingt doch gut! Machen! Wisse, Du stehst nicht allein da mit der Kritik. Veranstaltungen mit ausländischen Gästen sind mit den falschen Übersetzern ganz schnell vor die Wand gefahren!

Schönen Sonntag noch und wir sehen uns bei der Premiere!

Alles (ist) Liebe,
Bine

André hat gesagt…

>>>> old fashioned, heute gehe Pressearbeit so. <<<<

Wie bitte?!?

Das ist nicht altmodisch, sondern da steht noch jemand zu Werten und Tugenden!

Wenn es modern ist diese mit Füßen zu treten, dann bin ich sehr gern altmodisch. Wohin diese "modernen" Werte einen ganzen Planeten bringen sieht man ja täglich in den Nachrichten (Politik(gemauschel) und Finanz(betrügereien)welt nur als Beispiel).

caro_berlin hat gesagt…

Danke, writingchick, Bine und André fürs feed back.

@Bine: Für Agenten sind meine Umsätze nicht interessant bzw. die gibt es schon, so ganz allgemeiner Art, sie heißen "Dolmetscheragenturen" und ziehen einem 10 oder 20 % vom Honorar ab fürs Vermitteln, 20 geht noch irgenwie, bis hin zu 30, 50 oder 60 %, was durchaus praktiziert wird von manchen, im Internet sehr aggressiv auftretenden "Agenturen"! Du liest richtig, 60 %! Das habe ich bei einer mehrtägigen Konferenz erlebt, so dass sich das Hingehen mitten im Sommerloch dann irgenwie doch gelohnt hat. Es ging um ein Bildungsthema, wir dachten, der Veranstalter hat schlicht kein Geld, wenn wir den Prozentsatz vorher gekannt hätten, wäre sicher kaum einer gekommen. Und, um die Sache noch schöner zu machen, hat diese "Agentur" erst nach einem Vierteljahr gezahlt.

Ach, und der Gastbeitrag steht hier:
Haarsträubend.

@André: Willkommen im Club der Altmodischen :-)