Mittwoch, 21. März 2012

Wetterlage

Bienvenue im digitalen Logbuch einer Dolmetscherin und Übersetzerin. Französisch ist meine zweite Arbeitssprache, Film meine "dritte" Sprache. So werde ich für Medienunternehmen tätig, aber auch in der Wirtschaft, für Politiker und für Privatleute. Ein Gros des Jahres bringe ich mit Filmthemen zu, und zwar in beiden Berufsfeldern. Die Arbeit ist leider auch Saisongeschäft, und neuerdings drängen sich Vergleiche zum Wetter geradezu auf.

Auf einen milden Winter folgten schöne erste Frühlingstage, aber nach einem warmen Samstag wurde es erstmal wieder bibberkalt. Vor den erst spät im Januar einsetzenden Frosttagen hatten meine Balkonpflanzen noch im Januar geblüht. Das stimmt mich zumindest für die nächste Heizungsabrechnung positiv, denn eben erst habe ich fürs Vorjahr eine deftige Gasnachzahlung überwiesen.

Honorare sollten nicht wie die Wetterkurve auf- und abgehen. Tun sie aber.

Morgendliche Lagebesprechung mit einer Kollegin: "Die Preise für Drehbuchüber-setzungen sind derzeit down, ich weiß auch nicht, wie das kommt", sagt sie. Ich weiß schon.

Veränderte Nachfrage

Am 16. Januar sah es auf meinem Balkon so aus: Blüten!
Die Logik folgt den Gesetzen unseres Wirtschaftssystems von Angebot und Nachfrage. Zunächst fiel etlichen Firmen auf, die Filme herstellen, dass die Fördereinrichtungen der öffentlichen Hand immer öfter Großproduktionen bevorzugt mit Geld ausstatten. Jetzt werden weniger Filmprojekte betrieben, die dafür teurer werden.

Dabei sind die Zeiten nicht leichter geworden. 40 Millionen Euro, die die ARD-Tochter DEGETO jährlich in die Branche pumpte, fehlen noch bis einschließlich 2013. So manches finanziell wohlausgestattete TV-Movie finanzierte bislang bei vielen Firmen die Grundkosten für Büro, Mitarbeiter, laufende Ausgaben mit. Dieses Geld muss jetzt von den weniger gut ausgestatten Projekten abgeknapst werden.

Last but not least streben immer mehr ausgebildete Leute in unseren Beruf ... oder aber es stellen sich Laien vor, dass sie ihn ausüben könnten. Ich spreche jetzt lediglich vom Übersetzen, nicht vom Dolmetschen, die Zahl der Anbieter nimmt zu. Die von vielen Menschen bislang nur "gefühlte" Krise lässt alle innerlich zusammenrücken, auch das Vergabeverhalten verändert sich: Die Ergebnisse manchen Auftrags lesen sich leider auch so, als hätte jemand jemanden gekannt, der wiederum jemanden kennt. (Auch das ist ein Schweinezyklus, nach Misserfolgen kommen die meisten Kunden wieder.)

Größeres Angebot

Mehr Anbieter hier, weniger Aufträge dort, gepaart mit einem insgesamt schwindenden Bewusstsein für Qualität, führen immer öfter dazu, dass wir unsere Preise rechtfertigen müssen. Beispiele gefällig?

Anfang April sieht es so aus: Neue, zarte Blättchen!
Ein Drehbuch, das im 19. Jahrhundert spielt, 170.000 Anschläge (mit Leerzeichen), anspruchsvoll. Wir kommen auf 3800 Euro für fünf Wochen, aufgeteilt auf zwei: eine Kollegin übersetzt, die andere korrigiert. So liegen wir bei einem Stundensatz von 30,96 Euro, der nur dadurch zu rechtfertigen ist, dass uns der Job über einen längeren Zeitraum beschäftigen würde.

Viele Wochen später kommt die Absage. Wir erfahren über andere Quellen, dass drei Kolleginnen Probeübersetzungen anfertigen durften, anschließend hat es wohl einen Unterbietungswettkampf gegeben. Wettbewerb pur.

Zweiter Markt

Dann kommt ein Mustervertrag rein, auch nicht dringend, Auftraggeber: Der nicht auf Rosen gebettete Filmverband der Dokumentarfilmschaffenden, dem ich angehöre. Ich gewähre 63,57 % Preisnachlass, weil das Hauptkorrektorat vom Auftraggeber selbst gemacht wird und die Übersetzung in den komischen Flickenteppich von Jobs gut reinpasst, den wir derzeit beobachten. Außerdem sind mir viele Filmfachtermini aus dem Effeff bekannt, ich gebe also einen Vorteil weiter, halte "nur" die Dividende meiner fachlichen Qualifikation gering. In insgesamt fünf Tagen schaffe ich mir das Werk vom Tisch.

Was wäre die Alternative gewesen? Ein anderer Filmmensch hätte damit gekämpft. Dieser Auftrag ist ein gutes Beispiel dafür, dass manche Fachaufträge gar nicht in die Sphäre der "Nur-Übersetzer" durchdringen und es sich hier um gar keine echte Wettbewerbssituation handelt. Es entsteht ein zweiter Markt.

Nächster Anruf: Freunde aus Straßburg, die einen Film mit Eigenmitteln hergestellt haben. Ihr Film wurde von einem renommierten Festival eingeladen, leider nicht fürs Programm, sondern "nur" für die "Videothek", sie müssen deshalb einen untertitelten Film mitbringen. Ob ich nicht, die ich vorher schon beratend tätig war, als Koproduzentin in das fast fertige Projekt mit einsteigen möchte? Mein Anteil wäre die Untertitelung des Films in zwei Sprachen, die eine könnte ich selbst machen, für die andere habe ich die Kollegen, muss aber Geld dafür veranschlagen. Wenn der Film eines Tages Geld einspielt, bin ich mit Prozenten daran beteiligt. Wir haben überlegt ... und abgesagt.

Beruf als "künstlerische" Selbstverwirklichung?

Dass in der sich verändernden Produktionslandschaft immer mehr Filmemacher dazu gezwungen sind, nahezu für lau (oder unter Einsatz privaten Vermögens) zu arbeiten, wenn sie sich kreativ verwirklichen möchten, auch gestandene, preisbepackte solche, ist das eine, denn das öffentlich-rechtliche System zieht sich mit immer neuen Auflagen und Formatnormen Schritt für Schritt weiter aus seiner Verantwortung zurück. Gut finde ich das nicht. Dass aber jetzt auch wir Dienstleister häufiger Verzicht üben sollen, wenn wir doch einfach nur unseren Job machen wollen, gibt mir zu denken.

Nein, ich bin nicht aus künstlerischer Selbstverwirklichung Übersetzerin und Dolmetscherin geworden, diese Kollegen soll's aber auch geben. Ich biete meine Sprachdienstleistungen an, um meine eigenen Projekte querzufinanzieren. Für die bleibt mir jetzt aber weniger Zeit.

Rauf und runter

"Wie soll's 'nem alten Mann schon gehen? Wie dem Wetter, es geht rauf und runter!", sagt Siggi, der Senior in der Kiezkantine, in der ich oft zu Mittag esse. Dort bin ich mit Jean bei strahlend blauem Himmel verabredet. Wir haben uns bei einem Branchentreff kennengelernt. Auch dieser Franzose ist Spracharbeiter, Lehrer bei einem Ministerium. Er hat ein spannendes Kurzfilmdrehbuch geschrieben, das er bald auf Deutsch braucht. Ich schenke ihm vier Tage. Lieber arbeite ich kostenlos als dauerhaft unterfinanziert. Dafür knüpfe ich weiter am Netzwerk.

Ich finanziere diese "Selbstverwirklichung" mit dem Dolmetschen für Politik und Wirtschaft quer. Außerdem muss ich derzeit verdammt aufpassen, mir meine Filmspezialisierung zu erhalten. Demnächst erhalte ich eine Marketingberatung, die mir ein langjähriger Kunde zu Weihnachten geschenkt hat. Heute Abend schlachten wir den Jahresendfresskorb eines anderen Auftraggebers, der Mühen hatte, mich zu erreichen (Bericht steht hier). Und wann geht die Zickzackkurve der Außentemperaturen wieder hoch? Und die der Honorare?

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Fotos: C.E.

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