Mittwoch, 7. März 2012

Dreitagetag

Welcome, bienvenue, Sie sind auf der Logbuchseite einer Dolmetscherin für die französische Sprache gelandet! Hier berichte ich von der Arbeit in der Kabine, vom Schreibtisch oder aus einem der zahlreichen Berliner Luxushotels. Oft machen die Rahmenbedingungen unserer Aufträge aber mehr Mühen als die reine Arbeit: Heute schreibe ich über das Verhandeln. Denn dieses Verhandeln zehrt manchmal mehr an den Nerven als das Dolmetschen selbst.

Dolmetschmarathon
Über einen Dreitagetag berichte ich heute, nein, hier kommt keine Variante des Dreikönigstags. Es ist schon etwas her, da durften wir ein Angebot für einen eintägigen Dolmetscheinsatz schreiben. Zu verarzten war zwei Monate vor dem Filmstart ein französischer Filmregisseur, der sich den Fragen der deutschen Journalisten stellte.

Der Regisseur reiste für einen Seminartermin an einer Filmhochschule in die Region, da sollte die Pressearbeit gleich en passant geschehen.

Über den Auftrag, Press Junkets zu dolmetschen, freute ich mich natürlich sehr, denn diese Einsätze waren selten geworden, seit ein öffentlich-rechtlicher Journalist das Übersetzen als Nebenerwerbsquelle entdeckt hatte. Die Ergebnisse seiner Arbeit führen indes dazu, dass derzeit immer mehr Verleiher wieder professionelle Arbeit nachfragen. Das ist schön!

Dann war der Tag gekommen ... im Vorfeld war ich bereits vorgewarnt worden, dass es möglicherweise einen zweiten Termin für weitere Interviews geben würde. So war's dann auch. Am ersten Termin erschien nur eine Handvoll Journalisten, und netto habe ich eine halbe Stunde gedolmetscht. Mir ging leider dadurch, dass ich einen halben Tag gebucht war, ein anderer Auftrag durch die Lappen.

Immer wieder die gleichen Fragen, oder fast ...
Der zweite Einsatz folgte anderthalb Wochen später, kurz vor dem Starttermin des Films. Leider spaltete sich dieser Tag dann auch in zwei kurze Tage auf. Dummerweise gab es für den zweiten, nein, inzwischen dritten Termin eine Kollision mit einem anderen Einsatz, ebenfalls nur für wenige Stunden.
Was tun?

Ob sich die Einsätze würden verbinden lassen? Das Büro warnte den Filmverleiher kurz vor, bat um die "Dispo" des Filmdolmetschereinsatzes mit den Zeiten ... die aber kam nicht, weil sich die Journalisten oft erst im letzten Moment anmelden. War also nichts mit dem Verbinden zweier halber Tage zu einem ganzen, exakt so, wie schon zwei Wochen zuvor!

Erst auf Nachfrage kamen die Mitarbeiter in der Agentur auf den Gedanken, dass ein in drei Teile aufgesplitterter Einsatz teurer sein könnte als ein Eintagesjob, als der er ursprünglich vereinbart war. Wir hakten vorsichtig nach und erhielten ein: "Natürlich berücksichtigen wir, dass die Dolmetscherin für uns drei Tage unterwegs sein wird." Das war vor dem Einsatz.

Hinterher war erstmal Funkstille. Das Büro wollte die Rechnung schreiben, aber unsere Bitten auf Rücksprache verhallten ungehört. Dann griff mal jemand zum Telefonhörer: "Hm, ja, eigentlich sind doch nur zwei Mal drei Stunden gedolmetscht worden, und dazu die dreißig Minuten vom ersten Tag. Macht insgesamt 6,5 Stunden. Wir sind so kulant und zahlen den vereinbarten Tagessatz, auch wenn wir die acht Stunden Dolmetschen nicht wahrgenommen haben."

Stets so antworten, als sei die Frage noch nie gestellt worden!
Wie bitte? Am Ende werden 100 Euro extra angeboten.
Ich rechne nach: Ohne die Terminkollisionen hätte ich knapp den doppelten Umsatz gemacht.

Eine Berechnung nach “wirklich gesprochener Zeit” ist bei uns Dolmetschern ebenso wie beim Film total unüblich, Pressearbeit (vielleicht) ausgenommen ...

Das wäre ungefähr so, wie die Höhe des zu entrichtenden Kinoeintritts nach der Minutenanzahl von Dialogen zu berechnen, dabei wissen alle, dass es (mindestens!) den gleichen Aufwand bedeutet, einen leiseren Film zu drehen. (Da muss ich an Liverpool denken, dort soll doch tatsächlich jemand versucht haben, beim Film "The Artist" wegen der fehlenden Dialoge an der Kasse sein Geld zurückzubekommen, aber lange, bevor der Film durch die Oscars gewürdigt wurde.)

Ach so, der Auftraggeber ist ein renommierter deutscher Art house-Filmverleih. Und ich kann ihn sogar verstehen. Der Verleih bringt einen nicht so großen Film raus wie den eben erwähnten oder "Ziemlich beste Freunde" (Intouchables), gerade diese zwei stellen derzeit im Kino eine bedeutende Konkurrenz für den Film, um den es hier geht, dar, und der Verleih ist an die Preise gewöhnt, die über einige Jahre der bewusste Nicht-Dolmetscher aufgerufen hatte ...

Hier prallen erstmal Welten aufeinander. Von dieser Art ist derzeit die "Dolmetschleistung", die wir parallel zur eigentlichen Arbeit leisten müssen.
Ich darf nicht gleich einschnappen (war ich kurz ansatzweise, danke an die Mitarbeiterin für das Krisenmanagement!), muss aber mittelfristig Hintergrundwissen vermitteln, ohne als "Abkassierer" zu wirken. Denn professionelles Dolmetschen wirkt leicht und die Übertragungen erfolgen prompt, ist aber nicht billig. Unsereiner hat viele Jahre studiert und hält auch an auftragsfreien Tagen das Hirn geschmeidig, was jetzt eine sehr freundliche Umschreibung für etwas ganz Einfaches ist: harte, regelmäßige Arbeit.


P.S.: Zur Situation des französischen Films empfehle ich folgenden Euronews-Artikel: "Französische Filme im Auftrieb", denn "um mehr als satte 21 Prozent ist die Zahl der Kino-Eintritte im vergangenen Jahr in Frankreich gestiegen, das ist der höchste Stand seit 1984."
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Fotos: C.E.

1 Kommentar:

André hat gesagt…

Zum Abregen nehm ich immer: Hayley Westenra: Paradiso

Wirkt immer!