Montag, 5. März 2012

dekonspirieren ...

Willkommen et bienvenue beim Arbeitstagebuch einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch und Film, denn Film ist eine Sprache für sich. Hier denke ich öffentlich nicht nur über unseren Arbeitsalltag nach, sondern auch über dessen Grundlagen, die Sprache.

"Dekonspirieren" scheint das Wort des Tages zu sein. In der DDR wurden viele Bür­ger "im Vertrauen" von anderen Mitmenschen angesprochen mit der Bitte, doch mal die Augen offenzuhalten und zum Beispiel "jemanden vor sich selbst schützen zu helfen", das Ganze natürlich stets im Dienst des Aufbaus des Landes. Ich ver­ein­fache, aber das war oft die vorgebrachte Grundidee.

Diese Treffen waren "konspirativ" und fanden u.a. in "konspirativen" Wohnungen statt.

Wer sich darauf einließ, vielleicht nur aus jugendlichem Leichtsinn, war auf dem besten Wege, IM (inoffizieller Mitarbeiter) der Staatssicherheit zu werden. Oft wurde dann schon eine Vorlaufakte angelegt, auch ohne Unterschrift des Be­tref­fen­den.

"Bilderlotto" hieß das Spiel
Als Westkind von in Sachsen und Thüringen geborenen Eltern habe ich viele Fe­ri­en­wo­chen in der DDR verbracht, seit ich vier war. Mein Vater sah seine Va­ter­stadt mit den Au­gen des Kindes und Ju­gend­li­chen, der er mal gewesen war.
Ich konnte direkt hinschauen und wollte wissen, wie meine etwas älteren Cousins und Cousinen dort leben.

Ein Bekannter von mir hatte damals den Gesprächsanfragen aus Langweile nach­ge­ge­ben ... und nach drei, vier Treffen gesagt, dass er keine Lust mehr darauf habe. Er hat im Freundeskreis offen erzählt, was passiert war, er hat also offen de­kon­spi­riert. Das war in der 1. Hälfte der 80-er Jahre. In der Schule hatte man noch ein wenig versucht, Druck auf ihn auszuüben, und das war's dann. Er hatte mit Sank­tionen gerechnet. Da er nicht studieren wollte, war er aber auch nicht erpressbar. (Das Studium hat er später im Westen nachgeholt.)

Ich selbst kannte damals etliche Leute, von denen ich annehmen durfte, dass sich "VEB Horch und Guck", wie wir die Stasi verballhornten, dafür interessieren würde. Außerdem schmuggelte ich Bücher und Briefe (aber so gut versteckt, dass es zu­min­dest beim Grenzübertritt nie aufgeflogen ist). Ich habe dann schon im Vorfeld dekonspiriert und offenbar ausreichend oft scheinbar naiv dahingesagt: "Ich bin ja mal gespannt, ob und wie die mich ansprechen. Ich erzähl's Euch dann!"

Die Sanktion, die mich traf, war einfach: Ab Sommer 1986 dufte ich mehr als zwei Jahre lang nicht mehr nach Sachsen reisen, nur Tagesreisen nach Ostberlin wurden gestattet. Ich war erst Anfang (?) 1989 wieder in Sachsen. Heute stelle ich alle zwei Jahre einen Antrag auf Akteneinsicht bei "der Behörde", bislang ist die Akte aber noch nicht wieder aus den Reißwolfschnitzeln zusammengesetzt worden.

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Foto: Otto-Heinrich Elias

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