Freitag, 1. April 2011

Schlussklappe!

Liebe Leserin, lieber Leser,

nach über vier Jahren endet der Dolmet­scher-Weblog hier. Ich möchte mich für Ihre und Eure Treue bedanken, für die vielen Fragen und Anregungen, die dazu beitrugen, dass mir nie der Stoff ausging.

Der Grund meines reiflich überlegten Entschlusses ist der: Ich höre mit dem Dolmetschen und Übersetzen auf. Dafür gibt es viele Gründe.

Erster Einsatz im neuen Arbeitsfeld
Erbhöfe und unein­nehmbare Festun­gen... kurz: große Institutionen, bei denen auch die begabtesten Dolmetscher nicht einmal eine Chance bekommen, ihr Talent zu erweisen, und wo die alte Garde zum Teil bis weit über die Renten­grenze hinaus arbeitet.

Filz und unlauterer Wett­be­werb ... sind in Berlin große Tabuthemen, aber trotzdem sehr präsent. Gerne werden zum Beispiel Koppelungs­ge­schäfte gemacht. Hübsch der "Fall" eines namhaften Journalisten, die sich als Autor von Pres­se­ma­te­rial oder "Dolmetscher" verdingt und gleich­zei­tig ganz selbst­ver­ständ­lich auch noch selbst die Pro­ta­go­nis­ten interviewt und dem Auftraggeber damit einen Medienbeitrag in der pole position bei füh­renden Medien garantiert.

Nachwuchs mit Preis­dumping ... wird gerade in den letzten Jahren immer mehr zu einer bedrohlichen Konkurrenz. Es ist klar, wir sind keine Industrienation mehr, die ihre Menschen durch industrielle Fertigung ernährt. Daher studieren immer mehr Menschen Kultur- und Medienfächer. Viele Eltern der Berufsanfänger von gehören zur Erbengeneration und alimentieren ihre youngsters viele Jahre über das Studienende hinaus.

Arbeitsmaterial ...
... vom Auftraggeber bezahlt
Ein Finanzamt ..., das sich nicht vorstellen kann, dass jemand, der viel Sprache "ausspuckt", auch viel lesen und reisen muss und dass so jemand kaum Mehr­wert­steu­er berechnet (mit Kunden im Ausland), dafür einiges an Um­satz­steu­ern zahlt. Und dass in diesem Beruf nicht das ganze Jahr hindurch gleich­blei­bende Umsätze möglich sind.
Kurz: Den Rest der Zeit arbeite ich wissenschaftlich, unterrichte und helfe bei der Entstehung von ambitionierten Filmen mit, statt mich der Erhöhung des Brut­to­so­zial­pro­dukts zu widmen. Ich bin leider nicht die Unter­nehmerin, die viel Geld in die Staatskasse spült. Aber diese Nebenbe­schäftigung ist eng mit der Haupt­be­schäf­ti­gung verzahnt; ich finde so Kunden, ich bereite damit meine be­ruf­li­che Tä­tig­keit im Alter vor.
Nein, in Sachen Finanz­amt liegt die Schuld allein auf meiner Seite. Aber es macht die Sache nicht leichter, dass ich alle zwei Jahre einem neuen Verantwortlichen erklären muss, worin sich ein kleines Dolmet­scherbüro und eine noch kleinere Filmproduk­tionsfirma von einer Currywurstbude unterscheiden.

Pleitekunden ... Dieses Thema hängt eng mit dem Vorste­henden zusammen. Pleiten, aber auch ohne Nen­nung von Gründen nie gezahlte Rechnungen, führten dazu, dass ich mich in den letzten Jahren wie eine Getriebene von einem Projekt ins nächste stürzte, was auf Kosten der gängigen Modelle von Zukunfts- und Finanz­planung sowie der (vernachlässigten) Verwaltung ging.

Nichtbeachtung des Aufwands intellek­tueller Arbeiten ... scheint inzwischen salonfähig zu sein, überall. Daran haben Sprüche wie "Geiz ist geil" sicher auch ihren Anteil ... Meine Preise liegen normalerweise im oberen Drittel des Preis­seg­ments, denn ich liebe es, mich gründlich vorzubereiten. Das scheint derzeit, wo Qualität nicht mehr zu den zentralen Argumenten zählt, entweder altmodisch oder avant­gar­distisch zu wirken. Als Geschäfts­modell ist es auf jeden Fall gefährlich. Vor allem dann, wenn Dolmet­schern immer öfter die glei­chen Ta­ges­ga­gen an­ge­bo­ten wird wie Me­dien­­tech­ni­kern, die sich auf ihre Arbeitstage kaum vorbe­rei­ten müssen. So führt das im Extrem­fall dazu, dass das, was man mir anbietet, auf den Tag runter­ge­rech­net bei einem Drittel dieser Techniker liegt.

Abeitsort: Berlin
Was ich ab morgen mache? In den letzten 1,5 Jahren habe ich abends, in Wo­chen­se­mi­na­ren und in den Ferien eine Ausbildung zur Mas­ken­bild­ne­rin gemacht. Meinen ersten Job für eine Fern­seh­sen­dung habe ich gerade erfolgreich absolviert. Das schöne daran ist, dass ich in diesem Beruf morgens am Set ankomme und abends als Privat­mensch nach­hause gehen kann — ohne stunden- und ta­ge­lan­ge Vor- und Nachbereitung. Die Honorare beider Berufe sind ver­gleich­bar, vor allem dann, wenn ich mit Stars arbeite. Über die Fremdsprachen verfüge ich ja, Humor und Fingerspitzengefühl habe ich auch: Damit kann ich mich in kür­zes­ter Zeit zur Fachkraft für die Berühmtheiten entwickeln, denn auch hier ist das meiste Psy­cho­logie. Für die moralische Beglei­tung sensibler Künstler war ich be­reits als Dolmet­scherin zuständig ...

Au revoir ! 
Caroline

______________________________
Fotos: H. Lapin, C. Elias

5 Kommentare:

Patrizia hat gesagt…

Das finde ich sehr, sehr schade. Ich habe den Blog immer sehr gern gelesen und Inspiration gefunden. Die Dolmetscherwelt verliert viel! Alles Gute für den weiteren Weg.

Eine Kollegin aus der italienischen Kabine

Patrizia hat gesagt…

Ok, ich merke gerade, dass heute der 1. April ist. War das hoffentlich nur ein Scherz am frühen Morgen!!!!

Anonym hat gesagt…

Das ist doch ein Aprilscherz, oder? Zumindest hoffe ich das!

Anonym hat gesagt…

Chere Caro, als ich den Beitrag gerade zum zweiten Mal gelesen hatte und dachte, ich fass´ es nicht, wie schade, fiel mein Blick auf das Datum - Erleichterung, ein Aprilscherz! Dennoch, es ist viel Wahres dran... Eine treue Leserin Ihres Blogs und Kollegin vom Fach

caro_berlin hat gesagt…

Danke für Ihre/Eure Zeilen. Ich weiß, man treibt nicht mit Entsetzen Spott, und der 1. April stimmt auch, nur der letzte Absatz ist erschwindelt.

Es hat aber gut getan, mal die ganzen Widrigkeiten zusammenzutragen ... Montag geht's hier mit redaktionellen Texten weiter.