Montag, 14. Februar 2011

Berlinaleschweigen

Radikale Situationen erfordern radikale Maßnahmen, und beginnende Heiserkeit gehört dazu, zumindest in meiner Branche. Gestern habe ich maximal 200 Worte gesagt. Den Arte-Brunch Arte-Brunch sein lassen. Meine pro-bono-Bedolmetschung für ein unfinanziertes Nachwuchsprojekt auf dem Filmmarkt absagen müssen. Nur im Restaurant gesunde Köstlichkeiten bestellt, wobei ich mich da gegen Gebärdensprache entschieden habe. Das darf ich als Dampfplauderin von Berufswegen schon als Schweigen verbuchen, oder?

Was die Stimme angreift:

Viren- und Bakteriencocktail. Die Berlinale bietet als Winterfestival neben internationalen Filmen ein unvergleichlich breites Spektrum weitgereister Viren und Bakterien an. Jedes Jahr gilt: Grippeimpfung und in den Wintermonaten viel Sport, Sauna und die eine oder andere Vitamin-/Mineralienkur. Nach Produkten, Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Filmschaffenden, Arzt oder Apotheker.

Treppenstufensitzen. Vor elf Jahren war ich das erste Mal bei der Berlinale als Kinoleiterin dabei, seit neun Jahren dolmetsche ich nur noch. Ich denke, ich bin ich wohl die einzige Berlinale-Dolmetscherin, die durch diese Schule gegangen ist und die davon derart geprägt worden ist, dass sie den Serviceauftrag ihres Gewerks so allumfassend interpretiert. Ist das Kino ausgebucht, stehe ich hinten und setze mich zwischendurch mal auf die Stufen. Manchmal zieht's da aber eben doch.

Mehr Schreien als Flüstern. Es ist davon auszugehen, dass sich der durchschnittliche Tonpegler offizieller Veranstaltungen längst einen Hörschaden eingefangen hat. Die Filmbranche kommt aber in erster Linie zum Arbeiten zusammen. Also ruhigere Ecken suchen und laut sprechen.

Vielsprechen. Dazu sag ich jetzt nichts. Außer, dass ich netto an so einem Berlinaletag vermutlich nur wenige Stunden weniger schweige als ich sprechen muss. Das strengt an. Geht auf die Stimmbänder. Ein klassisches  Problem von Dolmetschern, nicht nur in Berlin.


Temperaturwechsel. Der Potsdamer Platz entstand vor über zehn Jahren auf einer Beinahe-Brache des 2. Weltkriegs und des Kalten Kriegs. Beim Abbiegen aus Seitenstraßen, wenn wir an Hochhäusern in schnurgerade gezeichnete Straßen abbiegen, sind Fallwinde an der Tagesordnung. Am Potsdamer Platz ist es stets gefühlte drei Grad Celsius kälter als in Restberlin.

Klimaanlagen. Siehe oben. Die Sache wird durch überheizte Innenräume, Lüftungsanlagen in Dolmetscherkabinen und stets aufs Neue durch die Veranstaltungsorte gepumpte Klimaanlagenluft spürbar verschärft.


P.S.: Offenbar brauchte nicht nur ich eine (zumindest partielle) Auszeit. Eine in Berlinalezeiten selten anzutreffende Situation trat ein. Nach 22.22 Uhr war auf der gesamten Etage unseres Hauses, die eine Medienetage ist, Licht an: bei Andreas (Medienanwalt und Absolvent der Europäischen Produktionsmasterclass in Ludwigsburg), bei Maren (Redakteurin beim Kulturfernsehen) und bei der Autorin dieser Zeilen (und in diesen Zeiten vor allem Filmdolmetscherin) brannte Licht.
1000 Dank, Maren, für das liebe Mitbringsel vom Talent Campus :-)

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Fotos: C. Elias

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