Donnerstag, 30. September 2010

Bravo!

Vor zwei Tagen wurde die französische Autorin Marie NDiaye für ihren Roman „Drei starke Frauen“ (Trois femmes puissantes) mit dem Internationalen Literaturpreis im Haus der Kulturen der Welt ausgezeichnet. Bemerkenswert finde ich, dass hier auch die Übersetzerin Claudia Kalscheuer ausgezeichnet wurde. Aus der Jurybegründung für die Übersetzerin:
Claudia Kalscheuer ist es gelungen, den fein austarierten, halb alptraumhaften, halb surrealen Rhythmus des Textes im Deutschen abzubilden. Sie folgt sehr genau den Satzbewegungen des französischen Originals, wählt aber an den entscheidenden Stellen Möbiusschleifen, setzt Inversionen, reduziert die Zahl der Alliterationen, ohne ihr poetisches Moment auch nur im Entferntesten aufzugeben, und schreibt auf diese Weise ihrer Übertragung die deutsche Sprachmelodie ein, lädt sie mit exakt dem gleichen dichten, verstörenden Rhythmus auf, den das Original der ‚Drei starken Frauen’ auszeichnet. Und dies ist eine Meisterleistung.
Glückwünsche an Autorin, Übersetzerin, Jury und Auslober des Preises. Denn nicht immer wird in Deutschland, DEM Land mit Markt für literarische Übersetzungen überhaupt, die Arbeit der Übersetzer so schön gewürdigt.

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Mittwoch, 29. September 2010

Falsche Freunde II

Diesen Monat verbringe ich mit meinem Patensohn und bringe ihm ein wenig Französisch bei. Erst dabei fällt mir wieder auf, wie viele vermeintlich deutsche Worte auf Französisch gleich klingen: la tante, l'oncle, le papier, la tasse, le bus, la radio ...

Der Kleine kann lesen und macht intensiv Gebrauch davon!
In ein paar Jahren bringe ich ihm auch die falschen Freunde bei, die Worte, die nur ähnlich bis gleich sind, deren Bedeutungen in beiden Sprachen aber stark voneinander abweichen. Neulich gab es dazu hier eine ganze Liste ...

Mein erstes Beispiel stammt von dieser Liste, aber sehen wir genauer hin: Wer in Deutschland pleite geht, der legt einen Konkurs hin - auf Französisch gibt es le concours zwar auch, aber das Wort bedeutet Aufnahmeprüfung, Wettbewerb und hat ein sehr großes "Hinterland", denn das halbe französische Bildungssystem ruht auf diesen Prüfungen, die es in Deutschland in diesem Ausmaß nur in wenigen Fächern gibt. Die Unterschiede sind also wieder mal kulturell begründet.

Wenn zwei erst uneins sind, finden sie am Ende vielleicht einen Kompromiss - und keiner fühlt sich benachteiligt. Auf Französisch hingegen hat le compromis mehr noch als einen schalen Nachgeschmack, er wird dort eher im Sinne eines "faulen Kompromisses" verstanden. Und wenn mein Patensohn später mal in Frankreich ein Konzept präsentiert als - hm, was könnte er mal werden, von Buchhalter über Feuerwehrmann bis Ingenieur, Matheprof oder Architekt scheint alles möglich -, dann wird er sehr genau wissen, was er macht. "Konzepte" sind in Deutschland gut durchdachte Ansätze, die unterfüttert und teilweise schon ausgearbeitet sind."

Seine französischen Kollegen werden, wenn sie le concept hören, eher einige ins Unreine gedachte Ideen vermuten, etwas Halbgares und Vages, das noch im Ansatz steckt.

Engelfreie Zone

Die Salons dieser Republik sind engelfreie Zonen.

Soweit meine Erkenntnis vom gestrigen Arbeitstag, das war mein Selbstgespräch, als ich einmal wieder einen Ort der Diplomatie und des politischen Diskurses verließ.

Arbeitsfrühstück: Die Dolmetscherin erscheint gefrühstückt, sitzt an einem eigenen Platz mit Namensschild und allem drum und dran - so muss ich nicht, wie in manchen Runden üblich, auf einem Stuhl hinter den Stühlen Platz nehmen. Zum Drum-und-Dran zählt: Ein Glas frischgepresster Orangensaft, eine Kaffeetasse, ein Joghurt/Grieß-Flammerie/Vanillequark im Glase, Mini-Gebäckwaren nebst Belag und ein wunderschöner Obstteller. Die Dolmetscherin fängt an zu arbeiten, die anderen lassen sich's schmecken. Die Gäste dieses Morgens sprechen und essen im Wechsel. Die Dolmetscherin spricht immer.

In Frankreich sagen die Menschen, wenn bei Tisch Stille eintritt: Un ange passe, ein Engel geht vorbei. Hier geht kein Engel vorbei. Es gibt zwischendurch ein paar Zuhörensmomente, wo ich erst begreifen muss, worauf ein neuer Sprecher hinauswill, bevor ich ansetzen kann mit der Verdolmetschung. Da nippe ich vier Mal am Kaffee, um die Stimme anzufeuchten, dann spreche ich gleich weiter.

An den Orangensaft traue ich mich während der Arbeit nicht ran. Ich hatte vorletzte/letzte Woche einen grippalen Infekt, huste noch gelegentlich, der Saft könnte zu sauer sein für den Hals. Nach einigen Statements tritt das Arbeitsfrühstück in ein lockeres Gespräch ein. Und noch immer kein Engel in Sicht. Die Erdbeeren lachen mich an, ich spüre den süß-säuerlichen Geschmack der Physalis auf der Zunge, fühle die krissige, papierartige Konsistenz ihrer Blätter zwischen den Fingerkuppen. Offenbar arbeitet jetzt nicht nur mein Sprachzentrum, Geschmacksrezeptoren und die für die Verarbeitung haptischer Gefühle zuständige Hirnregionen sind jetzt auch wach.

Plötzlich läuft das Gespräch in seine Zielgerade ein. Dankesworte, das Frühstück wird gelobt (welches Frühstück?, quatscht ein von mir nicht näher benennbares Hirnareal frech rein), man verabredet weiteren Gedankenaustausch. Dann entsteht ein kurzer Moment des Sammelns, bevor alle fast zeitgleich aufstehen. Jetzt! Ich brauch' keinen Engel für Orangensaft. Ich nippe vorsichtig, ja, der tut gut! Alle Gechmacksnerven stehen auf Empfang: Ein ganzer Orangenhain entsteht vor meinem inneren Auge.

Nun schnell aufbrechen und der Versuchung widerstehen, die Physalis oder das Namensschild einzustecken, denn Orte wie diese hier sind ja fotografierfreie Zonen, also gibt's kein Bild zum Blogeintrag. Dann mit allen in einer Bewegung aufgestanden, verabschiedetdankeaufbald und durch die Tür. Raus aus der engelfreien Zone.

Montag, 27. September 2010

Neuer Ausdruck

Vor Schreck ist ihm das Kinn aus dem Gesicht gefallen ..." schrieb ich neulich in einer Übersetzung und fragte mich beim Korrekturlesen, ob es diese Redewendung wirklich gibt. Ich schlug sie rasch nach ... bei Google. Und fand: nichts.

Offenbar ist es mein eigener Ausdruck, denn mir will partout nicht einfallen, auf welchem französischen Sprachmuster ich das gebaut hätte. Ich verwende ihn seit Jahren. Da ich beim Korrekturlesen nicht zu Hause war, konnte ich meine Wörterbücher leider auch nicht konsultieren. Aber inzwischen sind ja auch viele Nachschlagewerke vom System erfasst worden.

So, ab heute gibt's diese Redewendung mit einem Verweis im weltweiten Netz ... und in ein paar Jahren kann ich sie dann auch in Übersetzungen verwenden, falls sie bis dahin einige Liebhaber gefunden haben sollte.

Sonntag, 26. September 2010

Schnell!

Begeisterung ist etwas Schönes, macht aber viel Arbeit, um ein altes Zitat zu variieren. Ich bin auf einem Designkongress, wir dolmetschen in und aus drei Sprachen. Lorenzo, ein italienischer Designer, ist an der Reihe, er spricht mit Händen und Füßen, weiß, dass er nur zehn Minuten Zeit hat für seine Präsentation. Die Hintergrundgedanken seiner Kollektion, die Herkunft des Materials, die Feinheiten der Ausführung - Lorenzos Informationen geraten nicht nur genau, sondern übergenau, und der Mann wird von Gedanke zu Gedanke schneller!

Ich habe das Gefühl, ein sportliches Ereignis zu dolmetschen, denn alles, was die Italienisch-Kabine auf Deutsch verlässt, wiederhole ich auf Französisch. Das Trommelfeuer der Adjektive will partout kein Ende nehmen. Das Publikum beginnt schon, sich nach uns umzudrehen. Eine Frau, mit der ich mich in der letzten Kaffeepause unterhalten habe, kurbelt erst augenzwinkernd an einer imaginierten Beschleunigungswelle um dann in Lorenzos Richtung besänftigende Gesten zu machen. Doch er sieht nichts, allenfalls seine neue Kollektion.

Das "contre la montre", wie die Geschwindkeitsetappe gegen die Stoppuhr bei der "Tour de France" genannt wird, nimmt gnädigerweise irgendwann ein Ende. Keine von uns Dolmetscherinnen ist in der Sprecherkabine hyperventilierend zusammengebrochen.

Lieber Freund, Sie erhalten dieses Jahr die Medaille für Schnellsprechen. Und nun Kaffeepause und Lüften der Box.

Samstag, 25. September 2010

Unterbewusstsein

Sonntag ist Fototag, zumindest auf diesem Blog. Heute keine fotografische Meisterleistung, sondern nur ein kleines Beispiel dafür, wie das Unterbewusste bei mir diese Woche zugeschlagen hat.

Nach 13 Jahren ging unsere Waschmaschine kaputt. Ohne viel Federlesens schaute ich mir einiges in den Läden der (erweiterten) Nachbarschaft an. Der Preisvergleich mit Webangeboten erbrachte, dass diese gar nicht so viel günstiger sind als das beste aus meiner Gegend, wenn ich noch die Kosten für Transport und Anschluss hinzurechne, der bei den Geräten aus dem Internet immer besonders teuer oder gar nicht inbegriffen ist. Außerdem kostet beim einen Anbieter die Zahlung per Kreditkarte nochmal extra, beim anderen eine Versicherung, deren Notwendigkeit mir nicht einleuchtet.

Daher verhandelte ich mit offenen Karten beim Haushaltsgerätehändler um die Ecke, er ließ noch etwas vom Preis nach, so dass die Differenz schrumpfte. Diese Restsumme war es mir wert, dass man mir gleich am Tag drauf zu meiner Wunschzeit die neue Maschine lieferte, anschloss und die alte mitnahm und fachgerecht entsorgte. Und sollte mal was sein am Gerät, so ist der Kundendienst greifbar. So dachte ich beim Kauf dieses Haushaltsgegenstands — und hatte nur die finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen im Blick. Aus dem Bauch heraus entschied ich mich für eine rote Waschmaschine.

Das Gerät wurde geliefert und installiert, hier ist es bei seinem ersten Durchlauf zu sehen, ich räume gerade die Küche auf, gleich werde ich noch das Blech an der Seite der Arbeitsplatte neben dem Herd wieder anschrauben. Für die derzeit aushäusigen nächsten Mitmenschen mache ich rasch ein Foto ... und merke erst, als ich das Bild im Rahmen des Fotohandys sehe, was ich angerichtet habe!

drei französische Kuechenfarben
Eine französische Küche — das passt doch für eine
Dolmetscherin der französischen Sprache, oder?


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Foto: C.E.

Linguee

Heute möchte ich auf eine spezielle Suchmaschine hinweisen, die für uns Spracharbeiter sehr nützlich ist. Linguee arbeitet seit über einem Jahr, zunächst aber nur deutsch-englisch. Sein Werbeslogan ist: "Das Web als Wörterbuch". So werden denn von Linguee aus dem riesigen "weltweiten" Meer Textbeispiele für den jeweiligen Suchbegriff gefischt. Dabei werden die Entsprechungen, die das System meistens auf mehrsprachigen Webseiten findet, einander direkt gegenübergestellt. Die Suchmaschine liefert so Ergebnisse zu einzelnen Begriffen, Wortkombinationen, Redewendungen oder Satzteilen - jeweils im Kontext.


Linguee "arbeitet" damit ähnlich wie wir Übersetzer und Dolmetscher. Weitere Sprachen sind in Ansätzen schon vorhanden, zum Beispiel Englisch-Französisch. Auf den weiteren Ausbau bin ich gespannt.

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Foto: Linguee

Donnerstag, 23. September 2010

O-Ton

Als ich das erste Mal nach Berlin zog - ich war noch keine Dolmetscherin, sondern Sprachstudentin mit Studienort Paris - verwunderten mich hier, was Abkürzungen angeht, drei Dinge: Amibrause C & C, O-Saft und O-Ton. Der erste "Schnack" dieser Aufzählung, der diese zuckrige und zugleich essigsaure Brause bezeichnet, war kreuzbergtypisch und geriet ebenso in Vergessenheit wie die wilden Siebziger, aus denen er vermutlich stammt. Dem zweiten, dem Orangensaft, wird manchmal von coolen Typen heute der A-Saft oder der T-Saft zugeordnet. Und der O-Ton beschäftigt mich noch heute.

"O" wie Original, das Kürzel kommt auch in Filmbezeichnungen vor, OF für die gleichnamige Fassung und OV für die Version jener Art. Wir Spracharbeiterinnen leiden regelmäßig beim Versuch, fernzusehen, und in Kinos außerhalb einiger Hauptstadtspielstätten sowieso: Der O- wird für unsereinen zu oft durch den Synchronton ersetzt.

Zum Beispiel im iranischen Film "Women without men" von Shirin Neshat. Wunderbare Bilder, ein spannendes Thema - aber diese pathetische Grundstimmung der deutschen Studiosprecherstimmen fand ich nur schwer zu ertragen.

Auf jeden Fall geht bei Filmen dieser Art die Synchronfassung oft an der Zielgruppe vorbei. Wer diesen Film sehen will, genießt die originale Stimmung und die Stimmen, die ja irgendwie integraler Bestandteil der Körpers sind, und liest gerne Untertitel.

Die Synchronfassungen entstehen übrigens gar nicht fürs Kino, sie werden nur über das Kino (mit-)finanziert. Hauptinteressent an synchronisierten Filmen bleiben das Fernsehen und der DVD-Markt, hier wird diese (oft von den staatlichen Förderungen der Kinowirtschaft finanziell unterstützte) Investition amortisiert.

Seit Jahren schwindet das Fremdsprachenangebot in den Kinos. Nicht, dass man den Deutschen so schlechte Sprachkenntnisse zuschriebe (unsere Sommer- und Herbstgäste sind stets überrascht, wie viele Menschen hier gute Grundkenntnisse sogar des Französischen haben), das Problem sitzt tiefer. Denn die Ausgaben für Synchron sind so hoch, dass etliche Filme gar nicht mehr mit deutschen Untertiteln regulär ins Kino kommen, das Budget ist mit der Synchron oft erschöpft. Und außerdem trifft die Filmförderrichtlinien eine Mitschuld an der Situation. Die Fördereinrichtungen der deutschen Filmwirtschaft verteilen Steuergelder zur Herstellung internationaler Koproduktionen, die nur dann als deutsch-irgendwas gelten (deutsch-französisch, deutsch-englisch ...), wenn es eine deutsche Fassung gibt. Kurz: Ohne Synchronfassung kein "deutscher" Film und keine Filmfördergeldausschüttung!

Bislang hab ich als Übersetzerin und Dolmetscherin echte Synchronarbeit gescheut wie der Teufel das Weihwasser, weil ich synchronisierte Filme hasse. (Gut, ich synchronisiere mitunter Filme 'live', wenn's keine Untertitelfassung gibt, aber das ist was anderes, das ist Festivalarbeit.) Ich merke aber, dass sich der Markt eindeutig verlagert hat, weg vom Untertitel, hin zur Synchron - und im Sinne der politischen Agenda wohl aller Parteien, die ja die Exportfähigkeit deutscher Produkte und damit die Weltläufigkeit seiner Einwohner fördern möchten, kann ich nur sagen: Hallo, Politiker, hier ist Handlungsbedarf!

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Foto ... wird nachgeliefert

Fachvokabular Filmfinanzierung

Als Berliner Dolmetscher und Übersetzer mit Zweitbüro in Paris sind wir gehalten, uns in unseren Fachbereichen ständig auf dem Laufenden zu halten. Was selbst für uns mitunter nicht einfach ist - denn Fachjargon lebt und verändert sich in der täglichen Anwendung. Hier ein kurzer Einblick in den Fachbereich 'Filmwirtschaft'.

Für das, was ich gerade gegenlese, gibt es kein Wörterbuch - und offenbar auch kein Handbuch, das die Unterschiede klärt: Es geht um Filmfinanzierung. Und ist so kompliziert, dass auch ich diese Begriffe und Kategorien regelmäßig wiederholen muss, die ohnehin schon nicht ganz deckungsgleich sind.
Was die Sache ungemein erschwert: auf der Begriffsebene gibt es etwas, das nach Entsprechung aussieht, aber keine ist, sondern ähnliche Begriffe, die in den jeweiligen Ländern anders verwendet werden. Das verwirrt.

Der Spielraum für den Produzenten und seine Firma, von denen sich die deutschen Produzenten noch ihr Gehalt abknapsen müssen, heißt auf Deutsch "Handlungskosten", was in Frankreich den frais généraux entspricht. Frais généraux klingt indes wie die wörtliche Übersetzung von "Allgemeinen Kosten", die aber in Deutschland andere Ausgaben subsumieren, sofern nicht separat ausgewiesen sogar die Ausgaben für Versicherungen.

Ähnlich irritierend sind Teile der Stabliste. Ein régisseur aus Frankreich macht den gleichen Job wie ein deutscher Aufnahmeleiter (der ein "Setaufnahmeleiter" ist, wenn er meistens am Drehort arbeitet). Ein deutscher Regisseur geht, wenn er in Frankreich weilt, möglicherweise zum Stammtisch der réalisateurs, wenn er seinesgleichen treffen will. Und er rümpft bei der (deutschen) Bezeichnung 'Realisator' zart das Näschen, weil er dahinter einen schöden Umsetzer von vorgefertigten TV-Konzepten vermutet ...

Ganz schön kompliziert? Das geht noch. Wenn ich dann einem französischen Produzenten schreibe, dass das Produzentengehalt seines deutschen Pendants nicht deutlich kenntlich unter Löhne und Gehälter aufgeführt wird, ernte ich Kopfschütteln und an meiner Kompetenz wird gezweifelt. Aber in Deutschland steckt es wie gesagt wirklich in den HUs. HUs? Handlungskosten, die auch Handlungsunkosten genannt werden. In Frankreich das Produzentenhonorar eine eindeutig ausgewiesene Zeile unter "Personal" ...

Sind Sie jetzt schön verwirrt? Das war beabsichtigt. Das geht Zuhörern der Branche auch so, wenn ein fachfremder Dolmetscher oder Übersetzer aus deutschen Handlungskosten ein budget opérationnel macht ... das 'betriebsbereite' oder 'operative' Budget klingt ja irgendwie verständlich, aber was war hier nochmal genau gemeint?

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Bild: wie immer anonymisiert, aus zwei
Beispielen gebaut auf Grundlage des
vereinfachten Schemas, nicht die End-
fassung für die Filmförderanstalt (FFA).

Dienstag, 21. September 2010

Biochemie im Landeanflug

Blick in den Dolmetscherkopf nach Einsatz gefällig?

Worte fliegen auf, Gedankenschnipsel bleiben hängen, ich schicke anderssprachige Botschaften auf Reise, alles fremde Worte, die ich mir einverleibe und wieder aussende. Ich bin Dolmetscherin und komme mir manchmal vor wie das Luftpersonal der Sprache.

In der Luft zu sein ist schön, das Umschalten, die Landung, sind dafür mitunter hart.

Nach intensiven Arbeitstagen fühle ich mich selbst in Gesellschaft oft einsam. Die Sache ist rasch erklärt, es geht um nicht geringeres als Biochemie: Der Körper hat durch die hohe Konzentration, aber auch durch wiederholte Erfolgserlebnisse mehr Adrenalin und Serotonin ausgeschüttet, als es ihm guttut.

Selbst, wenn ich danach früh ins Bett gehe, zuvor vielleicht in die Badewanne steige um den Sprechkasten im Oberstübchen zu besänftigen und zu früher Nachtruhe anzuregen - erholsamer Schlaf stellt sich danach meist nur langsam ein. Und am nächsten Morgen fehlen einfach die körpereigenen Glückshormone und Aufputschmittel.

Der Kopf ist mau, hat Hirnmuskelzerrungen.

Die Seele ist schlapp, eine Art psychischer Kater stellt sich ein. Wer ruft mich an? Für wen darf ich als nächstes in die Bütt? Her mit den Vokabellisten, ich will kampflernen, auf Termin!

Aber nein, jetzt ist erstmal wieder Bodenhaftung angesagt, aber noch immer hänge ich in der Luft. Ready for landing, three hundred ... two hundred ... one hundred ... retard, retard ...

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Foto: J. Strassburg

Montag, 20. September 2010

Erschwerte Medienrezeption

Bei manchen deutschen oder französischen Radio- oder TV-Beiträgen, bei denen das jeweils andere Land vorkommt, verstehe selbst ich erst beim zweiten Hinhören alles, was gesagt wird. Manchmal hindern mich schlechte Übersetzungen an der Rezeption, manchmal liegt es nur an der Aussprache, oder jemand will besonders gebildet rüberkommen. Das alles sind Stolperer für unsereinen, die das ungestörte Weiterhören manchmal verunmöglichen.

So wollte neulich mal der Autor eines TV-Berichts eher salopp rüberkommen: "für einen Apfel und ein Ei" sei etwas zu haben gewesen, so zumindest der Off-Sprecher. Der verhunzte umgangssprachliche Ausdruck ließ den Urheber des Beitrags, der ohnehin schon verschachtelt formulierte, doppelt steif wirken. 

Ärgerlich sind auch schludrige Übersetzungen. "Karl-Marx-ville" war unlängst auf dem sogenannten deutsch-französischen Kulturkanal zu hören, für den ich oft arbeite und den ich eigentlich lieben müsste, hätte ich nicht häufig den Eindruck, es handele sich um ein Hochkulturghetto.

Ach, und die Aussprache von Fremdsprachigem erst! Fronce ist ein Land, das ich nicht kenne, es klingt so wie froncer les sourcils, bedeutet: die Augenbrauen zusammenziehen. 
Das mach' ich denn auch, wenn ich wieder höre, dass JEDER CHIRAC dieses oder jenes geäußert habe, chaque [ʃak] Chirac statt Jacques [ˌʒak] Chirac. Die beste Namensverhunzung durch Sprecher, die kein Französisch können, sich aber doch in den Medien zu öffentlicher Vernehmbarkeit rauswagen, ist Herr Ohnesinn. Nix Ohnesorge, auch kein Theater, Monsieur Camille Saint-Saëns  [sɛ̃ˈsɑ̃s] heißt, als sans sens [sɑ̃ sɑ̃sausgesprochen, halt einfach so: Camille ohne Sinn.

Und für die Französischsprachigen gleich noch einen Rausschmeißer: Jacques Chirac s'en sort sans sanctions, neulich im Radio gehört, ein moderner Zungenbrecher! "Chirac kommt ohne Strafe davon", heißt der Satz auf Deutsch, Fischers Fritze fischt also im Trüben (ihm war 
wegen gefakter Angestelltenverträge der Prozess gemacht worden, die er zur illegalen Parteifinanzierung verwendet hatte, das war's doch, oder hab ich was verpasst?)

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(Habe ich schon gesagt, dass ich in meiner 
nächsten Karriere Sprecherin werden will?) 

Sonntag, 19. September 2010

Lyrik übersetzen

Dolmetscher und Übersetzer brauchen einen Schreibtisch, denn meist steckt hinter dem locker Vorgetragenen oder leicht Lesbaren zähe, kleinteilige Arbeit. Mein Schreibtisch steht in Berlin - hier gewähre ich mal wieder einen Blick darauf.

Darf ich zu Wochenanfang kurz mal böse sein? Lyrik ist unübersetzbar! Dennoch bekommen wir manchmal Aufträge dieser Art. Lyrik kann nur nachgedichtet werden, und dieses Nachdichten gleicht oft mehr einem Nachbauen. Ich wühle mich dann stunden- bis tagelang durch virtuelle und real existierende Wörterbücher (sehr beliebt ist in dem Zusammenhang auch das Synonymwörterbuch), lese laut, zähle Silben, markiere, kopiere, lösche, lese wieder laut ... und beschimpfe mich gelegentlich selbst ob meiner |Kühnheit| Blödheit, eine Lyrikübersetzung anzunehmen. Denn Lyrik ist unübersetzbar, sagte ich das bereits?

An dieser Stelle unterbreche ich den Eintrag und hebe zu einer privaten Lobhudelei an. Zum Glück ist mein Nachbar, den ich hier grüßen möchte, oft tags nicht da und ansonsten sehr verständnisvoll. Da er auch oft im Bereich Medien und mit Sprache zu tun hat, bietet unser paralleles Arbeiten, wenn er dann doch mal wieder unter der Woche oder auch am Wochenende sein Arbeitszimmer nutzt, eindeutig Großraumbüroatmosphäre, wenn Sie verstehen, was ich meine. Uns trennt eine nichttragende Altbauwand. Einschub zuende.


Auch wenn alles sehr langsam ging mit dem Gedicht von Louis-Philippe Dalembert, die Arbeit hat Spaß gemacht. Dabei ist der eigene Perfektionismus immer Teil der Problemlage. Es gibt einen Moment, da muss ich zu mir selbst ein Machtwort sagen wie gut genug für jetzt und meine Möglichkeiten und basta!

Viele Jahre hatte ich keine Lyrik mehr übersetzt. In den 1990-er Jahren gab's mal eine Phase, in der ich zusammen mit einem französischen Übersetzer, der seit Jahrzehnten in Berlin lebt, Texte von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Olivier Cadiot und Valère Novarina ins Deutsche bzw. Französische übertragen habe. Allerdings sah ich erst viel später das eine oder andere davon auch gedruckt - und war etwas überrascht, weil unter "Übersetzer" nur sein Name stand. Irgendwie folgerichtig, denn wenn's Honorar gegeben haben sollte, war es nur an ihn gegangen ... :-(
Jetzt stecke ich unversehens mitten in der zweiten Abschweifung, die ich rasch beenden möchte. Da Monsieur auch einige meiner Gedichte grandios und zum Freundschaftspreis übersetzt hatte, grub ich das Kriegsbeil gar nicht erst aus.
Und weil ich die Hintergründe dessen, was mir widerfuhr, nur zu gut kenne (nur die Seite, von der es mich traf, tat sehr weh).

Das Problem der Lyrikübersetzung ist das gleiche, wie das der Übersetzung anspruchsvoller Literatur, nur noch 'nen Zacken schärfer: Die Übersetzung bezahlt in der Regel der Übersetzer selbst, der Verlag steuert lediglich einen Zuschuss zu den Kosten für Papier und Essen bei, um's etwas überspitzt zu sagen.
Das war jetzt nicht mal böse gemeint, sondern beschreibt die Realität in einem Land, in dem so viel Literatur übersetzt wird wie sonst nirgendwo in der Welt. Und da sich auch im Bereich Literatur unser Kulturbetrieb immer mehr Richtung Event- und Jahrestagskultur entwickelt, verdanke ich die aktuelle Übersetzungserfahrung dem Berliner Literaturfestival ILB. Ohne diesen Auftrag wäre der Text vermutlich nicht bearbeitet worden.

Aber Lyrik bleibt unübersetzbar. Diese Arbeit kommt mir immer vor wie Bastelei. Oder Intarsien fertigen: Ich schneide zu, lege an, schau, ob's passt, verändere, klebe hinein, retuschiere mit dem Pinsel, schmirgle, schmirgle nochmal, puste den Staub weg, trage Schelllack auf. Am Ende soll das Werkstück in seiner kopierten Form den gleichen Eindruck vermitteln, wie das Original. 

P.S.: Warum ich da oben la soif (Durst) mit Hunger (la faim) übersetze? Lebenshunger heißt la soif de vivre ...


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Foto: Arbeit an  der Übertragung von
Transhumances, Louis-Philippe Dalembert,
Riveneuve éditions, Paris 2010.

Samstag, 18. September 2010

la mouette

Noch ein Bild von sommerlichen Reisen ...


Das französische Wort für Mouette können Deutsche ganz leicht aussprechen: Muh-ett. Merke: das französische "ou" klingt wie das deutsche "u".

Das französische "u" hört sich auf Deutsch so an: "ü".

Um's mit einem Grundschulkind auf Französisch zu sagen: En France, le U fait Ü tout seul ! Frei übersetzt: "Das U macht in Frankreich ganz von alleine Ü!" ... im Sinne von: braucht gar keine Ü-Pünktchen!

Aber auch die andre Richtung ist nicht immer einfach, daher oben die Aussprachehilfe. Was ich neulich erst wieder auf Deutschlandradio (?) hörte, war, wie eine Oper mit dem Titel "die Möve" so anmoderiert wurde: "Sie hören jetzt la Mü-ette von ..."

Denn la muette heißt übersetzt "die Stumme". Und ein solches Musikstück sollte eigentlich gar nicht vernehmbar sein.

Nein, ich will Ihnen heute kein X für ein U vormachen. Wirklich nicht!

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Foto: C. Elias

Freitag, 17. September 2010

Übersetzungswettbewerb

Die Europäische Kommission hat einen Übersetzungswettbewerb für den Nachwuchs ausgeschrieben: Juvenes Translatores findet am 23. November 2010 bereits zum vierten Mal statt. Anmeldung bis zum 20.10.2010 über diese Webseite.

Teilnehmen können Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen, die 1993 geboren sind und sich als Nachwuchsübersetzer versuchen möchten. Die Teilnehmer müssen einen kurzen Text aus einer der 23 EU-Amtssprachen in eine andere EU-Amtssprache ihrer Wahl übersetzen.

Die Beiträge werden von Übersetzerinnen und Übersetzern der Europäischen Kommission bewertet. Die Gewinnerinnen und Gewinner (eine/-r aus jedem EU-Land) werden 2011 zu einer Preisverleihung nach Brüssel eingeladen.

Neuigkeiten über den Wettbewerb sowie Fotos und Informationen über frühere Runden sind auch auf Facebook und Twitter zu finden.

Apfelschorle

Hal­lo, wel­­come, bien­­ve­­nue beim 1. Blog Deutsch­­lands aus dem In­­ne­ren ei­ner Dolmetscherkabine. Oft texte ich meine Einträge aber auch am Über­setz­er­schreib­­tisch (zuende), an dem ich auch lektoriere. Als Reisende in Sachen Kul­tur­ver­mitt­lung fallen mir Unterschiede besonders auf.

Nicht zu klären war bislang, warum die Menschen in Frankreich keine Apfel­(saft)­schorle kennen. Dieses höchst erfrischende Getränk ist so einfach wie günstig - aber niemand investiert dafür in millionenschwere Werbecampagnen.

Es ist das Privileg von Dolmetschern wie uns, die wir zwischen Paris, Berlin, Würz­burg und Lille tätig sind, um mal nur ein paar Orte zu nennen, derlei Umstände zu entdecken, zu benennen und vielleicht auch ein kleines wenig zur Abhilfe beizutragen!

Denn hier fehlt eigentlich nur der Name fürs |Kind| Getränk. Daher folgen ein paar Über­setzungsvorschläge.

pomme gazeuse - wörtlich rückübersetzt: "Sprudelapfel" - abgeleitet von boisson gazeuse (Sprudel-/Erfrischungsgetränk)

pomme minérale - wörtlich rückübersetzt: "Mineralapfel" - von eau minérale (Mineralwasser)

pomme avec bulles - wörtlich rückübersetzt: "Apfel mit Bläschen" - von boisson avec bulles (etwa: Sprudelgetränk)


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Foto: C.E.
Ja was denn nun? Entscheiden Sie mit!

Mittwoch, 15. September 2010

Tischvorlage

In der Welt der Politiker und der Diplomaten - und damit auch jener der Dolmetscher - gibt es  so komische Worte wie "Tischvorlage". Das Wort ist kein Oberbegriff für "Schreibtischunterlage", sondern bezeichnet ein aktuelles Papier. Wie aktuell, durfte ich mal wieder (leidvoll) erfahren.

Dieser Tage war ich in Berlin mit einer Delegation in Ministerien unterwegs, und dazu sollte ich Vorlagen bekommen. Aber zunächst verhandelten wir die Anzahl der Arbeitstage und den Preis, denn im Vorfeld war nicht klar, ob man mich nur einen oder gar drei Tage brauchen würde. Dass es zu einem Einsatz kommen könnte, weiß ich seit Mitte/Ende August.

Als nun die letzte Woche alles weiter in der Schwebe war, bat ich dennoch um die rechtzeitige Zusendung von Informationsmaterial. "Kommt aus Straßburg", hieß es erst in Berlin, « on vous enverra les textes depuis Strasbourg » dann in Paris.

Ich aber wartete.

Drei Tage später war weiter Stagnation angesagt, denn am Programm wurde noch gestrickt. Von der Möglichkeit, die deutschsprachigen Termine zusammenzufassen, sollte meine Einsatzdauer abhängen. Ich bat darum, mir in der Zwischenzeit wenigstens erstes Informationsmaterial zuzusenden, damit ich mich würde einlesen können. Denn bislang kannte ich bis auf die Überschrift, unter der dieser Einsatz firmieren sollte, nichts. Normalerweise lerne ich für solche Termine und Themen - EU-Haushalt! - eine Woche lang täglich mindestens zwei Stunden lang. Ich fühlte mich ausgebremst.

Um's kurz zu machen: Ich bekam das Hintergrundmaterial 18 Stunden vor dem Termin, am Nachmittag für den nächsten Morgen. Die Tischvorlagen waren gar nicht erst dabei. Es seien aktuelle Dokumente, die Beteiligten erhielten sie erst am Morgen selbst, wurde ich auf Nachfrage belehrt.

Nun stand bei uns für den Abend vor dem Dolmetscheinsatz schon seit längerem ein kulturelles Ereignis auf dem Programm, auf das ich ungern verzichten wollte. Ich druckte also alles aus, überflog die Texte eine Stunde lang, kreuzte alles an, was nicht einfach schien - und arbeitete eine weitere Stunde an einer Lexik.

Lexiken sind selbstgebastelte "Wörterbücher", Ergebnis der Vokabelrecherche für das betreffende semantische Feld. Mangels Zeit hatte ich kurz darauf ein Kondensat des Ganzen, das ausgedruckt ins Abendhandtäschchen wanderte, später unters Kopfkissen, am Morgen war es der Leitfaden auf der Zweitreise durch das Material, eine Stunde vor Aufbruch sowie im Taxi zum Ministerium. Last but not least tut ein solcher Zettel beste Dienste als "Spickettel" ...

Zum Glück für mich an diesem Tag: Das Arbeitspapier für das Gespräch, eben jene Tischvorlage, war nicht so weit entfernt vom Vorbereitungsmaterial.

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Foto: Der Notizblock von der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft passte zum Thema

Ausfiltern die Zweite

Prompt liefert mir ein Einsatz im Bundesministerium für Finanzen gleich ein Post Scriptum zum gestrigen Beitrag.

Es ging um EU-Haushaltsrecht und Verhandlungsstrategien der verschiedenen Länder. Dabei fiel die Frage
Est-ce que des éléments de a stratégie allemande ont pu exfiltrer par voie de presse ?
Und ich dolmetschte mit: "Konnten Teile der deutschen Verhandlungsstrategie an die Presse durchsickern?"

Beim Rumgooglen über den Begriff stoße ich noch auf
... exfiltrer la vidéo d'une autre bavure américaine en Afghanistan.
Hier sind wir also beim Rausschmuggeln, "... das Video eines anderen amerikanischen Übergriffs aus Afghanistan rausschmuggeln."

Wobei mir "Übergriff" für bavure eigentlich zu schwach ist.

Montag, 13. September 2010

Ausfiltern

Sprachen haben jeweils ihren Sprachraum, das wissen wir, wenn Nachrichten kommen wie Im deutschen Sprachraum hält sich das durchwachsene Wetter seit Wochen. Ein Raum hat zwangsläufig eine Grenze, dahinter geht ein neuer Sprachraum los. Soweit, so gut mit der Binse.

Nee, wird gleich noch besser - war der Spruch von Napoleon, der da so ungefähr lautet, dass ein Soldat, der zwei Sprachen könne, zwei Soldaten wert sei?
Mir geht's hier nicht das total politisch unkorrekte Einstufen dessen, was ein Mensch wert ist, das überlasse ich einem anderen (Blamage inklusive). Ich will auf etwas anderes hinaus: Wer Sprachen lernt, sprengt seine eigenen Grenzen.

Grenzen der Erfahrungen sind das, des Erlebens. Er oder sie wandelt sich das Fremde an, das am Ende weniger befremdlich ist. (Auf Französisch heißt "der Fremde", wie auch Menschen mit Schulfranzösisch Camus sei Dank wissen, l'étranger. Und étrange steht für fremd, befremdlich, aber auch komisch, seltsam).

Denn jede Sprache hat ihre eigene Art und Weise, Dinge zu sehen und zu beschreiben. Indem ich die Worte lerne, mache ich mir diese Sichtweise zu eigen und lerne auch Konzepte kennen, die mir bis dato unbekannt waren.

Jetzt hab ich mich aber - noch entspannt vom Wochenende - sehr raumgreifend auf den heutigen Topos zumäandert! (Eigentlich wollte ich nur mal nachschlagen, ob Topos männlich oder sächlich ist, jetzt weiß ich: es heißt der Topos. Aber ohne diesen Anlauf wäre mein Eintrag heut ein Fünfzeiler geworden ...)

Gerade übersetze ich eine Drehbuchskizze für einen Thriller mit kaltem Krieg, Spionen und dem ganzen Tralala. Da kommt mir doch folgender Satz unter:
Il faut exfiltrer cet espion vers son pays d'origine avant qu'il ne soit découvert !
Bedeutet in etwa: Wir müssen diesen Spion mit einer Legende behutsam wieder aus dem Land zurückholen, bevor er entdeckt wird. In der Übertragung habe ich den Verweis auf das Land völlig umdrehen müssen, denn die es wird jemand "exfiltriert", nachdem er infiltriert wurde: er hatte zunächst vertiefte Kenntnisse in Sachen Sprache und Umgangsformen des Ziellandes erworben, in dem er mit einer Legende ankam, und nun muss er nach Hause, bevor er Schaden nimmt. Denn wörtlich steht hier: Wir müssen diesen Spion in das Land seiner Herkunft exfiltrieren ... 

Sonntag, 12. September 2010

Flüstern

Haben Sie schon mal lange und laut geflüstert? Und welchen Trick kennen Dolmetscher, die am Flughafen nicht lange auf ihr Gepäck warten wollen? Heute geht's weiter mit Grundlagen des Dolmetscher- und Übersetzerberufs.

Flüstern ist auf Dauer anstrengend, das wissen alle Vertreter sprechender Berufe. Außerdem erreiche ich mit meinem Geflüstere in der Regel nur zwei oder drei Menschen, mehr nicht. Um uns die Arbeit zu erleichtern, gibt es für unsereinen regelrechte "Flüstertechnik", mit der wir mobile Einsätze managen. Jene, für die wir dolmetschen, tragen ihre Kopfhörer wie sonst auch, insofern sieht es einer Tagung oder Sitzung sehr ähnlich, nur, dass oft in die Kopfhörer das Empfangsteil integriert ist. Der Konferenzsaal bekommt also Beine ...

Handlicher Koffer auf einem Tisch inmitten von Tischen und Stühlen
Flüsterkoffer mit 20 Empfangsgeräten
Auf dem Bestellzettel unseres Dienstleisters steht vor sol­chen Anlässen übrigens "PFA", Personen­füh­rungs­an­lage. Wir mieten diese teure Technik in der Regel an, zu der auch noch das Mikrofon mit Sender und ein Hart­schal­en­kof­fer ge­hört. Dann steht einem mo­bi­len Programm nichts mehr im Wege, wie wir es oft in Berlin erleben: eine spannende Mischung aus Gesprächen von Kollgen, Weiterbildung, Stadt- oder Werksbesichtigung lässt sich mit bis zu 50 Teilnehmern spielend be­werk­stel­li­gen. (Dann brauchen wir aber etwas mehr Material als hier abgebildet.)

Die mobile Dolmetschanlage beruht auf Funktechnik, auf einer bestimmten Fre­quenz wird die Verdolmetschung übertragen. Die Reichweite dieser Technik liegt oft bei um die 100 Meter, so dass wir unsere Schäfchen auch schon mal bei Grup­pen, die sich ein wenig in der Berliner Flora und Fauna verlaufen haben, per Funke wieder zusammengerufen haben.

Mit dem Dolmetsch- oder Flüsterkoffer, wie wir Dolmetscher das Ganze nennen, bin ich auch wiederholt gereist, was manchmal etwas stressig wurde. Auf jeden Fall werde ich dabei regelmäßig vom Zoll oder der Flugsicherheit rausgewunken und darf die Anlage vorführen, weil sie in der Regel nicht bekannt ist. Die Sache hat einen unbestreitbaren Vorteil: Am Zielflughafen steht mein Gepäck immer als erstes auf dem Rollband, denn der Rollkoffer mit dem komischen "Aktenkoffer" drin (stoßfest mit Kleidung isoliert) wurde zuletzt verladen.

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Foto: Flüsterkoffer in Südfrankreich,
Sommer 2010

Chabrol ist tot

Claude Chabrol vient de mourir. Je pense à sa famille, à ses amis.
Son humour singulier et sa personnalité à la fois généreuse et espiègle sont inoubliables.

Claude Chabrol, für den ich oft gedolmetscht habe, ist tot. Meine Gedanken gelten seiner Familie, seinen nächsten Freunden. Chabrols besonderer Humor und seine gutmütige, schelmische Art sind unvergesslich.

Samstag, 11. September 2010

Englische Verben

Heute: Viel Spaß mit englischen Verben ...

Anklicken und ausprobieren!



Sorry für die formale Wiederholung - das zweite Filmchen binnen Wochenfrist.
Dafür wissen Sie jetzt, was viral marketing und interaktive Werbung bedeutet.

Donnerstag, 9. September 2010

Augenblick

Mitten in der Nacht, ich hatte gerade einen grippalen Infekt, bin aus dem Schlafrhythmus geraten und sitze am Schreibtisch. Statt mich herumzuwälzen, erledige ich lieber administrative Dinge. Da erscheint folgende Nachricht auf einer Webseite:

Das Wort "Augenblick" ist eines meiner Lieblingsworte. Es fasst viel zusammen, wofür andere Sprachen mehrere Worte oder einen Nebensatz brauchen. Auch erlaubt mir der Begriff, Sprache wörtlich zu nehmen - der Augenblick als die Zeit zwischen zwei Lidschlägen ... ein Innehalten, in dem mir die Sprache sagt: "Moment mal!" Der Augenblick klingt für mich sehr modern und zugleich so, als sei er schon immer da gewesen. Ein Wort, das aus der Zeit gefallen ist.
.
Dann ist der Augenblick vorüber. Weiter geht's mit der Webseitenfunktion! Oder nicht doch schnell weiterschlafen?

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Foto: privat

Mittwoch, 8. September 2010

Dolmetscher im Film (III)

Sehr gerne lebe ich in Berlin. Denn für mich als Dolmetscherin bieten sich hier viele Gelegenheiten, meine Allgemeinbildung zu erweitern. Außerdem sind im Vergleich zu Paris, London oder München die Mieten erschwinglich. So kann ich mit meinen Büchern leben und muss nicht, wie viele meiner Freunde in Paris, diese auslagern - oder für sie selbst noch unter der Zimmerdecke der Toilette Regalbretter anbringen, weil ihre |Wohnungen| Kajüten so winzig sind.

Das sind Filmbilder, wie ich sie übrigens letzte Woche übersetzte - als Sprechertexte für einen Dokumentarfilm, der bald ins Fernsehen kommt - und für den eine Dolmetscherkollegin interviewt wurde.

Aber auch in Berlin ist irgendwann beim größten Flurregal Schluss. Damit mein Bücherstapel neben dem bequemen Lesesessel nicht mehr umkippen kann, habe ich mir jetzt ein "vertikales Regal für Hochstapler" bestellt. Vor allem auch deshalb, weil es neben dem denkmalgeschützten Jugendstilkachelofen stehen kann, der schräg in der Zimmerecke steht (und nicht mehr 'arbeitet').

Bezahlt wird das Regal mit der nächsten Drehbuchübersetzung, es ist ein kurzer Text, wieder ein Dokumentarfilm. Und ich muss schon ziemlich grinsen, als da schon wieder eine Dolmetscherin drin vorkommt. Ich habe die Stelle verändert, nur das Thema nicht:




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Bilder: Layout per Final Draft sowie
Details des Frachters (Fotos: C. Elias)

Overlay für gedrehtes Material

Heute wieder der Blick auf meinen Schreibtisch, sorry, das wird technisch. Ich genese von einem kleinen grippalen Infekt und kann mich zu nichts anderem aufschwingen. Für den einen/die andere, die über eine Suchmaschine reinkommt, wird es dennoch von Interesse sein.

Lieber Kollege aus der Fernsehwelt,

Ihr sucht also jemanden, der vom Tschechischen ins Russische dolmetscht, und zwar für den Regisseur eines Dokumentarfilms auf gedrehtes Material draufspricht (overlay).

Gut, abgetippt wurde es bereits. Dann ermittelt doch als erstes die Anzahl der Anschläge inklusive Leerzeichen, das geht über "Word", dann "Extras" anklicken, "Worte zählen", in der dann erscheinenden Liste steht auch diese Zahl.

Eine Normseite zu sprechen "dauert" etwa zwei Minuten, daher der Name, sie hat 30 Zeilen zu 60 Anschlägen, mithin 1800 Anschläge. So könnt Ihr schon mal rausfinden, wie lange Euer Text wohl gesprochen ungefähr dauern wird. Dann müsst ihr bei der Aufnahme noch hin- und herspulen, die Kollegin/der Kollege "setzt" das eine oder andere Mal zwei- oder mehrmals "an", das hängt von Eurem Material ab (Schwierigkeitsgrad, Verständlichkeit, Pausen) und von der Erfahrung des/der Kollegen/Kollegin. So als Durchschnitts-Hausnummer würde ich diese Zeit, in der der Text netto gesprochen werden kann, mal drei rechnen - oder länger, wenn viel Tonschnitte erfolgen, sie/er bei der Abnahme dabei sein muss, also der/die Schnittmeister/Schnittmeisterin auch sprachlich abgehängt ist.

Bei nicht so viel Material sollte der Auftrag bei Euch vor Ort mit einem halben Arbeitstag hinkommen. Merke: Dolmetscher berechnen bei kürzeren Einsätzen auch die An- und Abfahrtszeiten. Handelt es sich indes um ein kompliziertes Thema, in das sich der Regisseur/die Regisseurin erst lang einarbeiten musste, wird es dem dolmetschenden Personal nicht anders gehen. Die Mehrarbeit findet dann zu Hause statt und macht die Differenz zum ganzen Honorartag aus.

Dass Dolmetscher hohe Honorare nehmen, liegt übrigens nicht an der vermeintlich dolmetschertypischen Boshaftigkeit, sein kostbares Wissen nicht einfach so teilen zu wollen, sondern an der langen Ausbildungszeit. Das geht ja Ärzten, Anwälten und anderen fachbedingten Langzeitstudenten nicht anders ...
Insofern bitte nicht sauer sein, sollte der/die Kollege/Kollegin auch bei relativ einfachen sprachlichen Anforderungen (also ohne lange Einarbeitungszeit) auf einem ganzen Honorartag bestehen.

Montag, 6. September 2010

Mehr Luft!

Hoppla, ich muss mir mal im Affekt ein wenig Luft verschaffen, das ist wirklich unglaublich! Selbst mir erscheint unvorstellbar, was mir da gerade passiert ist.

Eben rief in meinem Büro jemand von einer kleineren Übersetzeragentur "aus der Provinz" an, wie es in Frankreich heißen würde. Für diese Firma habe ich vor Ewigkeiten mal die eine oder andere Übersetzung gefertigt.

Dame an der Strippe: "Ja, also, wir hätten hier eine Übersetzung aus dem Französischen, eine Projektskizze, irgendwas mit Medien, machen Sie das auch?"
Ich: "Ja, sogar oft. Je nach Schwierigkeitsgrad kostet das zwischen 80 Cent und 1,70 Euro die Übersetzernormzeile." (Ich weiß, dass diese Provinzagentur eher nur einen Euro zahlt, aber es gibt ja doch durchaus unterschiedliche Schwierigkeitsgrade ...)
"Ähm, da haben Sie ja jetzt eine schöne Spanne. Dürfen wir Ihnen mal eine Textprobe mailen?"

Sie darf. Der Text ist ziemlich komplex, ich veranschlage 1,30 Euro je Zeile. Ein zweiter Anruf lässt nicht lange auf sich warten: "Also, das ist jetzt wirklich zu viel, soviel zahlen wir in der Regel nicht. Sie müssen verstehen, dass wir das von einer Agentur aus Dresden haben, die wollen auch ihre 40 Cent machen."
"Naja, wieviel würden Sie denn zahlen?" .....
"50 Cent. Sie haben doch viel Erfahrung, das müsste Ihnen doch schnell von der Hand gehen."

Da bleibt mir erstmal die Luft weg.

"Das tut mir Leid, das liegt Welten unter allem, was wir bislang bekommen haben. Selbst die Agentur XYZ zahlt mehr." (XYZ ist als Billigheimer verschrien.)
"Ja aber Sie müssen sehen, dass wir vertraglich gebunden sind."
" Sorry, aber das sind Ihre Verträge, nicht meine. Zu Niedrigpreisen haben wir auch mal gearbeitet. Aber ich sehe nicht ein, warum ich wildfremde Agenturen durch meine Arbeit ernähren soll. Von dem, was am Ende übrig bleibt, kann ich meine Bude und mich selbst nicht erhalten."
"Ja, ich bin für die Bedingungen nicht verantwortlich, wir haben das selbst von der anderen Agentur so reingekriegt und ..."

Ich wurde dann sehr deutlich und habe gesagt, dass ich mir doch nicht von Firmen, die unter Preis arbeiten, den Markt kaputtmachen lasse und dann auch noch für sie arbeite. Sie hat eingehängt. Bon débarras ! (Fort mit Schaden!)

Ich bin genervt, dass ich jetzt nicht in Ruhe an meiner Arbeit weiterwerke, sondern enerviert bin. Dass ich stattdessen die Anruferin beobachte (erst reagiert sie freundlich, dann flehentlich, am Ende beleidigt.)

Mich ärgert, dass ich so viel Zeit mit der Sache verplempert habe. Und die Dreistigkeit, mit der mir eine Textprobe zugeschickt wird, obwohl ja ganz am Anfang klar gewesen ist, dass selbst meine Einstiegspreise weit über dem Wunschpreis der Agentur liegen.

Und es kommt richtig Wut auf, weil mir jetzt wieder sehr präsent ist, wie ich zu Beginn der Krise mitbekommen habe, dass mancherorts derlei fremdernährtes Personal offenbar derart unterbeschäftigt war, dass einige nicht davor zurückschreckten, systematisch den Markt abzugrasen. (Das ist ein strukturelles Problem, eine größere Bude zu erhalten kostet nun mal.) Dabei hat dann ("der Markt ist frei!") jemand auch Referenzlisten abtelefoniert. Wir haben Kunden, die haben erst nach Vertragsunterschrift gemerkt, dass  sie er ein ganz anderes Dolmetscherteam angeheuert haben. Die Vortäuschung falscher Identitäten lief telefonisch, insofern konnten wir uns nicht einmal wehren.

Ärgern hilft nicht, ich habe mir jetzt meine eigene Antwortmaske für derlei unsittliche Telefonate erstellt. Und Dampf abgelassen mit diesem Blogeintrag.

Und "uns geht's ja noch gold", wie die alte Mutter Kempowski jetzt gesagt hätte. In weitaus schwierigeren Verhältnissen lebt die Masse der Filmschaffenden, deren Werke wir bearbeiten. Hier gibt es Kurzfilme aus diesem Frühjahr zum Thema.

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Foto: Filmstill aus dem Spot "Autorin" der Reihe "Wir sind mehr wert",
Buch: Christoph Brandl, Regie: Marina Caba Rall, Produzent: Wille Bartz für connexx.av

Lehrgeld

Der Berufsalltag von uns Sprachmittlern kann manchmal so ernüchternd sein wie ein Regentag nach einem Sommerwochenende, auch, was die Vorbereitung auf den Beruf angeht. Hier wieder der Blick auf meinen Schreibtisch.

Mein Balkon, gesehen vom Sekretär,
an dem ich meine Vokabeln pauke
Neulich erhielt ich eine Mail mit der Anfrage, wie hoch denn eigentlich der "Ausbildungsverdienst" bei Übersetzern und Dolmetschern vom 1. bis zum 3. Ausbildungsjahr sei und welche Noten ich denn fordern würde.
Ich schrieb zurück, dass es kein Lehrgeld gebe, dass die Ausbildung an privaten Dolmetscherschulen sogar etwas koste und dass Lebensunterhalt und diverse Auslandsaufenthalte auf jeden Fall selbst zu zahlen seien.

Da erhielt ich die Gegenfrage, ob denn Abitur Pflicht sei oder ob der Besuch einer Berufsschule reiche. Man könne übrigens ganz gut Englisch und habe zwei Jahre in Spanien als Teenager zugebracht ... Ähnlich, aber mit der Kombination irisches Englisch und Portugal, gestaltete sich die Lebenslage bei einem anderen sehr jungen Menschen, der lieber gestern als morgen für uns ein Drehbuch übersetzt hätte.
 
Hat da irgendwo ein Dolmetscher zu viel vom "Schulbank drücken" gesprochen? Oder werden wir mit "Fremdsprachenkorrespondenten" verwechselt? Logisch, auch wir schreiben Briefe, manchmal sogar in uns einst fremd gewesenen Idiomen.

Lieber Nachwuchs, der Beruf Dolmetscher/Übersetzer setzt keine Lehre voraus, sondern viele Jahre Studium — am besten direkt im Ausland. Und anstatt anschließend sofort ein regelmäßiges Einkommen zu erzielen, müssen später jene sogar ihr "Lehrgeld" zahlen, die nicht zusätzlich noch betriebswirtschaftliche und juristische Grundlagen gepaukt haben. So schaut's aus mit dem Lehrgeld!

Und lieber nicht mehr ganz so blutjunger Leser, der Sie hier nach Einstiegen in den Beruf nach dem Studium gefragt haben: Ich arbeite an einer Antwort, habe leider noch zu wenig Rückmeldung vom mir bekannten Nachwuchs. Ich hoffe, den kleinen Beitrag heute in acht Tagen hier veröffentlichen zu können.

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Foto: C.E.

Sonntag, 5. September 2010

Akustik!

Wo ist der Ausknopf? Nach langen Arbeitstagen als Dolmetscherin hört mein Kopf manchmal einfach nicht auf: Worte strömen durch ihn hindurch, die sich zu mehr oder weniger sinnvollen Sätzen formieren, und leicht zeitversetzt beginnt das entsprechende Hirnareal mit dem automatischen Auswurf des dazu passenden anderssprachigen Idioms. Zuhause komme ich im privaten "Spa" schnell wieder runter - mit Meersalz und Aromen im Badewasser, bei Kerzenschein und Musik von Mittelalter bis Barock (anderes höre ich zu anderen Zeiten). Oder aber ich ziehe die Vorhänge vor und fleze mich mit einem guten Buch in den Ruhesessel. Auf diese Weise "drehe" ich langsam die vor sich hin brabbelnden Wortgeneratoren im Oberstübchen leise, bis sie von alleine ausgehen. Einen Ausknopf suche ich indes weiter.

So, wie das eigene Stimmengewirr im Kopf stört, erleben die meisten von mir befragten Dolmetscher auch fremdes Stimmengewirr als problematisch. Die Ursache dafür ist rasch erklärt. Wir müssen ja immer, wenn wir 'dran' sind oder uns im Wartemodus befinden, mit halbem Ohr zuhören, um gleich übernehmen zu können. Die Begabung, das dem zugrunde liegt, und der daraus erwachsene Professionalismus bestehen im vollen Erfassen von auch nur halb wahrgenommenen Situationen. Der Kopf hat eine Art Rückspulfunktion, ich kann im gewissen Rahmen 'zurückholen', was grade als Echo im Raum verebbt, um eine Info zu vervollständigen.

Zu einem richtigen Problem kann sich dieses "Talent" auf Dienstreisen auswachsen. Beispiel: laute Restaurants. Der Typ vom Nebentisch labert seine Holde mit so unerträglichem Stuss zu, dass ich es kaum ertrage. Ein Kind stellt an einem anderen Tisch laute(r) Fragen, die unbeantwortet bleiben. Und im Eck rätseln zwei Weitgereiste - deutlich hörbar für mich, weil in einer meiner Arbeitssprachen - was ein Gericht wohl bedeuten möge, das auf der Speisekarte steht.

Beherrschung ist hier alles, Weghören gar nicht so einfach, auch der Leisestellknopf ist leider unbekannt. Ich liebe Restaurants mit vielen leeren Tischen und Vorhängen, in denen es nicht hallig ist und die keinen Terrakotta- oder Betonboden haben (klickedieklackedieklickedieklack...)
Habe ich keine Wahl und findet zum Beispiel die Mittagspause einer Konferenz an einem solchen Ort statt, breche ich nach dem Essen rasch auf, weil hier Nervosität und Gereiztheit minütlich steigen.

Privat habe ich meine No go areas, neben verrauchten Orten sind das also auch laute. Für meine allernächsten Mitmenschen macht mich das gelegentlich zur unentspannten Zeitgenossin. Ich deute das Desaster nur an: es kann dauern, bis wir über die Reihe meiner Lieblingsorte hinaus neue Stätten ausmachen, die ich für akzeptabel halte.

Aber eigentlich weiß ich gar nicht, was ihr habt, wenn Luft und Akustik stimmen, kann ich doch sehr, sehr entspannt sein. Wer fragt hier nach Leisestell- oder Ausknopf? Aber ich bin doch keine Maschine!

Historiale

Heute vor einer Woche war ich auf der Historiale, Europas größtem Geschichtsfestival. Von meiner Reise innerhalb Berlins in die Zwanziger Jahre - sie waren das diesjährige Thema - hier mein Sonntagsbild plus Link zu mehr. Ich genoss bei strömendem Regen eine wunderbare Städtetour zum Thema (Danke Arne Krasting!), holte mir die nassen Füße wenig später auf dem Weg über den Geschichtsmarkt im Nicolaiviertel, den ich am Ende mit etlichen Büchern im Gepäck verließ.

Zwischendurch habe ich gezögert, mir die ersten Pulswärmer des Frühherbsts zu kaufen. Und dass eigentlich noch Sommer ist, war allein daran zu bemerken, wie schnell das eben noch regennasse Pflaster wieder trocken war.


Jetzt lese ich abends in den neuen Büchern zur Berliner Stadtgeschichte und erweitere meine "profunde Halbbildung". Wer weiß, wann ich dieses Wissen als Dolmetscherin dann plötzlich brauchen werde ...


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Foto: Bivak (le bivouac) mit Coke vor der Nikolaikirche
Mehr Fotos hier.

Samstag, 4. September 2010

Ich hab' da mal 'ne Frage

So wie im Film geht's offenbar vielen Dienstleistern. Englisch mit deutschen Untertiteln. Passt zu meiner Untertitelwoche ...



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Danke, Frank, für den (indirekten) Hinweis.

Donnerstag, 2. September 2010

Merkwitz

Da wir in Berlin Ende August schon wieder mit drei Schichten Kleidung rausgehen mussten - Unterziehpulli, feiner Wollpulli, windfeste Jacke - ist es kein Wunder, wenn sich die ersten Kollegen wegen Krankheit abmelden, auch wenn die Saison gerade erst angefangen hat.

So schreibt mir ein Übersetzerkollege, seine Muttersprache ist Englisch:
Liebe C., leider habe ich einen Angina mit mir zurück gebracht und liege im Bett. Wir könnten uns nächste Woche vielleicht sehen... Bis bald, J.
Als Dolmetscherin und Übersetzerin schicke ich ihm folgende Antwort:
Lieber J., gute Besserung! Gerne treffen wir uns nächste Woche, wenn Du die Angina wieder los bist. Liebe Grüße, C.
P.S.: Hier noch ein Merkwitz für das Geschlecht des Wortes für diese blöde Halssache. Sagt der eine: "Markus liegt mit Angina im Bett!" Darauf der andere: "Der wechselt seine Freundinnen aber schnell, letzte Woche hieß sie noch Bettina."

Mittwoch, 1. September 2010

C'est la rentrée !

Hallo! Zufällig oder ab­sicht­lich sind Sie auf den Sei­ten ei­nes vir­tu­el­len Ar­beits­ta­ge­buchs aus der Dol­met­scher­ka­bine gelandet. Französisch ist meine Zweit­spra­che.

Deutsche Schulklasse
In Frankreich ist der Wie­der­an­fang des sozialen und kul­tu­rel­len Lebens nach der Som­mer­pau­se wie ein neuer Jah­res­an­fang, nur, dass der Syl­vester­tag nicht genau aus­zu­ma­chen ist. Stattdessen gibt es ein ei­ge­nes Wort für diese Pha­se: la rentrée (wört­lich: die Rück­kehr). Und jetzt ist dort plötzlich alles la rentrée, ob es passt oder nicht.

Heute geht in Paris die Schule wieder los, c'est la rentrée scolaire. Studierende haben noch etwas Zeit, la rentrée universitaire ist je Einrichtung und Studienjahr Mitte September bis Ende Oktober.

Die rentrée littéraire bringt über 700 Neuerscheinungen mit sich, den Satz habe ich gestern in den Morgennachrichten gehört, das ist also der "literarische Herbst" oder "Bücherherbst". Und pünktlich zur rentrée politique droht am 7.9. mal wieder ein Generalstreik — gegen la vie chère, die immer teurer werdenden Le­bens­hal­tungs­kos­ten.

Im Anschluss an diese Zäsur werden die ersten Monate des Jahres rück­blickend als etwas Neues begriffen. "Letztes Jahr in Cannes", sagt da gerne mal einer im Ok­to­ber und meint im Grunde letzten Mai ... in der alten Saison, vor der Som­mer­pau­se eben. Viele Menschen in Frankreich pflegen das Jahr in Schuljahre oder wie im Theater üblich in die jeweilige Spielzeit zu unterteilen daher ist la saison mehr als nur "die Jahreszeit", was dieses Wort in seiner Grund­be­deu­tung heißt.

Auf diese Sprachmarotte treffe ich nicht nur in den sicher von mir über­pro­por­tio­nal wahrgenommenen Bevölkerungsanteilen, die beruflich mit Kino, Theater oder Bildungseinrichtungen zu tun haben, dieses Zeitempfinden ist sehr französisch und überall anzutreffen. Indikator dafür sind die vielen Kalender, die derzeit dort sta­pel­weise in den Schreibwarenläden aufliegen und eben nicht nur Kalender fürs Schuljahr 2010/11 sind, sondern auch für ausgewachsene, nicht lehrende Nor­mal­men­schen von September bis August gehen.

So bleiben 'wir Franzosen' irgendwie ein Leben lang Schüler. Oder wäre la rentrée gar die fünfte Jahreszeit Frankreichs analog zur deutschen Ausnahmezeit, dem Karneval?

Vive la rentrée !

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Foto: privat