In der Sommerzeit bin ich als Dolmetscherin stand by, weil die Kolleginnen mit ihren Schulkindern verreist sind. (Ich urlaube gerne außerhalb der Reisesaison.) Was mich dieser Tage beschäftigt, stünde in jeder besseren Zeitung ganz klassisch auf der Seite "Vermischtes": Eine Nachbarschaftsstreitigkeit mit Messer, ein Schulkantinenneubau, Unterschiede in den Unternehmenskulturen diverser Länder sowie verunreinigte Strände.
Freunde von uns sind gerade aus Frankreich nach Deutschland zurückgekehrt. Sie hatten sich dort mit anderen zusammen für mehrere Wochen ein Ferienhaus gemietet. Nein, keine Ortsnamen, irgendwo am Atlantik.
Am zweiten Tag hat sich der Familienvater eine Scherbe eingetreten. Die Fahrt zum Arzt: an die 30 Kilometer. Der Arzt im Ort war ausgefallen und die Praxen in der Nähe nur jeweils zwei Mal die Woche einen oder zwei Nachmittage lang besetzt. Ja, die Gesundheitsversorgung mag nicht überall auf dem Land gegeben sein, aber wir sprechen von einer durchaus auch bei Urlaubern beliebten Gegend am Meer. Sie fuhren also dort regelmäßig hin zur Wundversorgung.
Gefährliches Watt |
Dieses Jahr waren dort viele Strände an der Küste geschlossen. Grund: Schwerwiegende Umweltprobleme. Die Einwohner sprechen von der tödlichen Grünalge, die bei ihrer Zersetzung Schwefelwasserstoff freisetzt. Sie wächst und gedeiht im Meer, die Hitze erhöht ihr Aufkommen ebenso wie Abwässer der industriellen Tierzucht und einer Kläranalage, die nicht ganz vorschriftsmäßig läuft. Größere Mengen von Darmbakterien waren im Wattenmeer nachgewiesen worden.
Seit Jahren kommen immer wieder Hiobsbotschaften aus der Gegend: Ein Mensch starb im Watt, ein Pferd und zwei Hunde. Der Tourismus ist angeschlagen, Ferienimmobilien stehen leer, die Kaufpreise der Häuser sinken, die Zivilgesellschaft wacht langsam auf. Mit der marée verte, der grünen Flut, zahlen die Küstenbewohner für das jahrzehntelange Laissez faire der Regierung einen hohen Preis.
Auf der Rückfahrt hatten sie noch versucht, woanders unterzukommen. Ich durfte begleitend zu dem Ganzen einige Telefonate führen. Aber alles, was die Familie interessiert hätte, ist ausgebucht. So ist sie jetzt in Berlin, die Kinder sind heute im Museum für Verkehr und Technik und morgen geht es an den Liepnitzsee, einem der saubersten Seen Brandenburgs. Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Brüderlein ...
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Illustration: Netzfund
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