Sonntag, 27. August 2017

Kundenvielfalt

Hallo, hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Ich über­set­ze und dol­met­sche. Ar­beits­spra­chen: Fran­zö­sisch (aktiv und passiv) und Englisch (nur Aus­gangs­spra­che). Mein Beruf ist einer der spannendsten der Welt, denn ich habe mit allen Ge­sell­schafts­schich­ten zu tun. Sonntagsbild!
 
Es ist unser vornehmster Auftrag, allen Menschen, die unsere Hilfe brauchen, sprach­lich beizustehen. Mit anderen Worten: Dolmetscher haben eine große Kun­den­viel­falt. Wir dol­met­schen für sehr unterschiedliche Kreise.

Kunde ohne blauem oder weißem Kragen
Dabei haben auch wir Grundsätze: Nie für Extremisten, alle müssen mit den Füßen auf dem Boden des Grund­ge­set­zes und der Menschenrechte stehen. Wobei ich mir bei einigen obersten Fi­nanz­"tech­ni­kern", die dafür sor­gen, dass ganz be­stimm­te Grup­pen ihre Steuern nicht mehr zahlen, son­dern ihre "Pflich­ten" auf exo­ti­sche In­seln ver­lagern, nicht sicher bin, ob diese wirklich auf dem Boden der Ver­fas­sung ste­hen. (Ich bin froh, dass diese "Tech­niker" nie unsere Dienst­leis­tun­gen nachge­fragt haben. Ich weiß nicht, ob ich für diese arbeiten würde.)
Bei anderen Dolmetschinteressenten weiß ich definitiv, dass sie von den Diensten be­­ob­­ach­tet wer­den.

Das ficht mich aber nicht an. Denn dabei handelt es sich um Vertreter der Zi­vil­ge­sell­schaft und gewählte Volks­ver­treter, z.B. das Bündnis "Aufstehen gegen Ras­sis­mus" (AgR), das Vertreter einer Re­gie­rungs­par­tei unterstützen, darunter Manuela Schwesig (SPD) sowie Vertreter der parlamentarischen Opposition wie Cem Öz­de­mir (Grüne).

Ich dekons­pi­riere hier, spreche die Lage offen an. So habe ich es als kritische West­ju­gend­li­che in der DDR ge­lernt. Hier habe ich keine Geheimnisse. Wir Dol­met­scher sind für die Verständigung ausgebildet und arbeiten, sofern alles rech­tens ist und der Demokratie dient.

Noch eine Gruppe, die mich nie angefragt hat, sind offizielle Stellen, die unlängst dadurch aufgefallen sind, dass sie gewisse Ermittlungsinformationen, die er­wie­sene, militante Staatsfeinde angehen, 120 Jahre unter Verschluss halten möchten (nicht nur der SPIEGEL berichtete).

Die Kundenvielfalt ist positiv. Einmal habe ich mit Streetworkern aus dem Pariser Vorort zwei Nächte lang in Neukölln obdachlose Jugendliche aufgesucht, ein an­de­res Mal mit belgischen Sozialarbeitern ein Haus der Treber­hilfe besichtigt. Wir Dol­­met­­scher leihen unsere Stimmen auch Menschen auf Konfe­renzen, die von Ge­flüch­te­ten selbst organisiert werden. Oder aber wir kommen im Rahmen von Aus­stiegs­pro­gram­men junger Drogenabhängiger zum Einsatz.

Nicht immer werden wir hier für unsere Arbeit bezahlt. Mancher Veranstalter kann auch ohne große Finanzierung für seinen Kongress, sein Seminar oder Panel au­ßer­halb der Hauptsaison mit ehrenamtlichen Spracharbeitern rechnen, wenn der Ta­gungs­zweck dem politischen und sozialen Diskurs der Zivilgesellschaft dient. Manch­mal be­kom­men wir nur Reisekosten und Spesen ge­zahlt.

Diese Einsätze folgen einer vierfachen Logik. Erstens hat die Allgemeinheit die Hochschulen finanziert, an denen wir studiert haben. Wir geben also zurück. Dann kann es nicht schaden, in der langen Sommerpause mal ein wenig die Neu­ro­nen durchschütteln zu gehen. Der Nachwuchs erwirbt sich Routine; wir Erfahreneren bauen eine weitere Sprache auf. Und schließlich dient auch jeder noch so kleine Einsatz der Fortbildung.

So konnte passieren, dass ich einst nach besagtem Job mit obdachlosen Ju­gend­li­chen zu Beginn einer Woche gegen Ende der nämlichen Woche im Kanzleramt zum gleichen Thema für Abgeordnete, Staatssekretäre und Minister ge­dol­metscht ha­be. In der Kaf­fee­pau­se bestätigte sich meine Befürchtung: Ich war die Einzige mit (auch noch so winziger) "Terrainkenntnis".

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Foto: C.E.

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