Donnerstag, 17. August 2017

Worte dazwischen

Wie Übersetzerinnen, Über­set­zer, Dolmetscherinnen und Dolmetscher arbeiten, können Sie hier mitlesen. Meine Arbeitssprachen sind (neben Deutsch) Französisch und Englisch (das Idiom Shakes­peares nur als Ausgangssprache).

Strandpromenade Brunshaupten (1931)
Neulich am Strand. Ich kom­me mit einer Psycho­the­ra­peu­tin und Masseurin aus Mar­seil­le ins Gespräch, die mich auf meine Deh­nungs­übun­gen an­spricht, denn der Tra­pez­mus­kel nervt mal wieder. Ich ha­be ge­ra­de eine Fort­bil­dung ge­dol­metscht.
Als die Nacht hereinbricht, diskutieren wir noch immer.

Sie verwundert vor allem, wie wir das machen mit dem Dolmetschen. Wie wir das, was gerade als Gedankenstrom entsteht, sofort übertragen können. Das geht nur, erkläre ich, weil wir antizipieren würden.

Wie ich denn mein Antizipieren vorbereite, will sie wissen. Wir Dolmetscher lesen uns ein (daher immer unsere vielleicht sogar nervigen Fragen nach Material), wir suchen das Netz ab nach Texten, Audio- und Filmdateien. Wir verbringen Zeit mit dem Thema und andren Quellen. Das kostet Zeit, dient aber alles der Sicherheit und dem Schweben. Ja, es hat etwas von Schweben, wenn ich jemanden simultan vertone. Durch das Vorwissen muss ich nicht 100 % meiner Energie aufs Erfassen und Umsetzen der Inhalte verwenden, ich kenne sie, ich kann mich vielmehr der Art widmen, wie die Dinge gesagt werden, den Rhythmus erfassen, die nächsten Schritte antizipieren. Im besten Fall bin ich fünf Sätze weiter, weiß, wo der Text hinwill, ähnlich wie der Redner.

Die Gefahr liegt dabei natürlich immer in der Selbstüberschätzung. Bei an­ge­fan­ge­nen Halbsätzen, die sich erst Halbsatz für Halbsatz erschließen, muss ich mich mal zurückhalten, mal darf ich vorpreschen und das Verb, das im Deutschen ja immer am Ende kommt, vorwegnehmen. In 95 % der Fälle geht das gut. In fünf Prozent folgt dann ein rhetorischer Schlenker: "Ja, das wäre jetzt logisch gewesen, es ist aber genau andersherum." Oder: "Hier hat sich die Dolmetscherin verhört, das Ge­gen­teil ist der Fall, pardon !"

Sie mache als Therapeutin das Gleiche, sagt sie, sowohl in der Gesprächs- als auch in der Körpertherapie. Und auch sie würde manchmal daneben liegen. Der Kör­per indes, meint sie, würde nicht lügen, mitunter spüre sie Vorgänge, die tief im nicht­sprach­li­chen Feld liegen würden. Wochen oder sogar Monate später erfahre sie meis­tens die Bestätigung ihrer Beobachtung. Ihre Irrtumsquote liege deutlich nie­dri­ger.

Ich fand diese Parallelisierung spannend. Und es hat mich wieder einmal im Wissen darin bestätigt, dass auch wir viel von der Körperhaltung ablesen. Freie Sicht auf die Rednerinnen und Redner ist wichtig!

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Foto: Archiv

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