Heute komme ich aus dem entsetzten Hechelschnaufen kaum heraus. Ich fühle mich angefasst und künftig in meiner Selbstbestimmung bedroht. Ich erkläre mich.
Kulturhaus A. in der Stadt B., bundesfinanziert, französische Kuratorin, ihr Englisch ist nicht so gut wie ihre Französischkenntnisse, sie lernt fleißig Deutsch. Eine Pressekonferenz steht an. Madame möchte sich in ihrer Muttersprache äußern. Es geht um einen einstündigen Einsatz. Ich biete eine kleine Variation von Honoraren an, wobei ich immer davon ausgehe, dass die Anzahl der Stunden zur Vorbereitung gleichbleibend ist. Ich rechne das transparent auf den Stundensatz runter, der im Durchschnitt bei 80 Euro liegt. Da ich etliche ehrenamtliche Einsätze im Bereich der Flüchtlingsarbeit habe und ungern ausufernd lange debattiere, bitte ich die potentiellen Kunden immer um die Ansage dessen, was bei ihnen die Schmerzgrenze nach oben ist.
Meistens klappt das ganz gut. Mit der Absage, die dann kam, hätte ich allerdings nicht gerechnet. Die Direktion ziehe es vor, dass Madame Englisch spricht. Die in Kulturkreisen lange gültige Regel "jede(r) in seiner/ihrer Sprache" wird langsam aber sicher abgeschafft. Gefällt mir gar nicht.
Dann noch eine "Trans-Ü"-Anfrage. Trans-Ü nenne ich Transkription mit gleichzeitiger Übersetzung, was ich mit einem Diktierprogramm erledige. So konnte ich in den letzten Jahren die fallenden Honorarsätze ausgleichen und meinen Stundensatz (nach Amortisierung der Software) beibehalten.
Zu dem, was ich jetzt lesen muss, fällt mir nichts mehr ein. Gar nichts mehr.
Ungelernte Menschen bekommen in Deutschland den Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde, dann kommen für den Arbeitgeber noch Sozialausgaben und Kosten für den Arbeitsplatz hinzu. Studierte Menschen sind für weniger zu haben. Wenn wir so rechnen, wie es einem bei der Existenzgründung beigebracht wird, 50 % der Umsätze entsprechen diesen eben erwähnten Nebenkosten, dann haben in Deutschland jetzt studierte Menschen bei 5,00 Euro die Stunde keine Problem damit, Arbeit zu finden.
Crew United hat die Anzeige inzwischen deaktiviert |
Auch in anderen Bereichen beobachte ich im Übersetzungs- und Dolmetschmarkt ähnliche Entwicklungen wie grundsätzlich in der Gesellschaft: Der mittlere Bereich bricht weg. Noch habe ich für die Berühmtheiten und Politiker gut zu tun, hier verdiene ich mein Geld, und den Kontakt zur Wirklichkeit halte ich durch meine ehrenamtlichen Einsätze. Aber ich spüre, dass ich mich langsam fragen muss, was ich in den kommenden zwanzig Berufsjahren machen möchte.
______________________________
Illustration: Netzfund
2 Kommentare:
Hi Caro,
unsre Zugehfrau bekommt 15 Euro die Stunde, und sie muss sich den Putzlappen, den Eimer und die Seife nicht selbst finanzieren, dazu bekommt sie aufs Haus Kaffee und das eine oder andere Käsebrot in der Pause. Die Heizung bleibt angestellt, wenn sie kommt, damit sie nicht friert (auch wenn sie die immer gleich runterdreht, naja, sie bewegt sich ja auch) ... und wir haben sie versichert und den ganzen Tralala.
Das wäre doch mal eine nette Antwort für diese Halsabschneider.
Ist das Programm für einen öffentlich-rechtlichen Sender? Das wäre doch mal eine Info für Deinen Vertrauensmann im Rundfunkrat, oder?
Grüße, viele, und bis heute Abend,
Bini
Mensch, wieso habe ich diesen Blog erst jetzt entdeckt??
Herrliche Berichte!
Wenn ich Dir ein Kompliment machen darf: toller Stil!! Man möchte gar nicht mehr aufhören zu stöbern und zu lesen.
Ich freue mich aufs Weiterschmökern.
Kommentar veröffentlichen