Schreibfehler in der grafischen Umsetzung |
(Leider habe ich diese Tonaufnahme im Netz (noch) nicht wiedergefunden.)
Es geht um einen Mann, dem eines Tages einfällt, die Dinge mit anderen Begriffen zu belegen als jene, auf die sich die Allgemeinheit verständigt hat. Das geht eine Zeit lang so, es beschäftigt den Mann, bis er am Ende völlig vereinsamt ist, denn mit niemandem kann er sich mehr austauschen. Er hat sich in seinen verschobenen Begrifflichkeiten eingemauert.
Mich hat das Kind diese Geschichte fasziniert, denn sie geht von anderen Sprachen aus, die für die Bezeichnung ein- und denselben Gegenstands völlig andere Klänge nutzen. Sie macht in wundervoller Weise die Willkürlichkeit der Laute und Regeln klar, auf die sich die verschiedenen Kulturen verständigt haben.
Jetzt gerade muss sich wieder an diese Geschichte denken, denn sie funktioniert auch in einem größeren Rahmen. Unser Vizekanzler reist nach Ägypten und nennt nach Gesprächen mit dem Präsidenten diesen einen „beeindruckenden“ Mann. Das ist ganz so, als wäre Al-Sisi nicht für Folter, Zensur und Polizeiwillkür bekannt. Denn eigentlich geht es diesem Vizekanzler nur darum, den Ägyptern Geld zu geben, damit diese ihre Grenzen besser überwachen.
Die europäischen Länder haben ihre Grenzen an der Ostseite geschlossen, den Syrien nächstgelegenen Ländern, und es geschieht, womit alle gerechnet haben: Kriegs-, Klima- und Wirtschaftskriegsflüchtlinge brechen in Nussschalen auf die große Mittelmeerüberquerung auf, es kommt erneut zu mindestens 300 Toten, und Europa überlegt sich, wie darauf mit einer „Rettungsmission“ zu antworten sei. Reminder: In diesem Bereich des Mittelmeeres starben vor ziemlich genau einem Jahr 700 Flüchtlinge. Als Dolmetscherin erinnere ich mich leider zu gut an Gesagtes. Damals hieß es: So etwas darf nie wieder geschehen.
Echte Rettungsmissionen sehen anders aus. Die Berliner Luftbrücke war mal eine solche. Und wann werden die Regierenden die De-facto-Abschaffung des Asylrechts, eine der Lektionen aus dem 2. Weltkrieg, auch de jure abschaffen? Welchen Namen werden sie der Sache geben? Rettung des Hausfriedens?
Ein Fernsehmensch demonstriert etwas mit der Ansage à la Das, was jetzt folgt, darf nicht sein, es ist verboten, denn es ist keine Satire, die anderen Beiträge der Kollegen waren satirisch und sind von der Kunstfreiheit gedeckt. Und die ganze Welt reagiert so, als hätte es diese Anmoderation nicht gegeben, die Medien überschlagen sich, das Thema wird tagelang auf höchster Regierungsebene verhandelt, die wirklich wesentlichen Punkte geraten aus dem Blickfeld.
Zum Beispiel scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass die Türkei in Syrien Kriegsteilnehmer ist, indirekt, sie hat strategische Interessen daran, dass Syrien keine Gaspipeline durch sein Land baut, denn damit würde Türkei etwas von seinem Alleinstellungsmerkmal verlieren, dass ihm regelmäßig Wegezoll einbringt; außerdem bekämpft die Türkei mit kriegerischen Mitteln ihre kurdische Minderheit im eigenen Land, während die Kurden auf der anderen Seite der Grenze an der Niederschlagung Daeshs beteiligt sind.
Genau diese Türken werden nun zu unseren „Freunden“ und Geschäftspartnern, wenn sie Lager für syrische Geflüchtete bauen. Währenddessen sollen sie an der ebenfalls scharf überwachten türkischen Grenze auf syrische Flüchtlinge geschossen haben.
Dem Tisch sagte er Teppich. / Dem Stuhl sagte er Wecker. (Bichsel)
Die Begriffe „Europäische Werte“ und Menschenrechte hatten auf unserem Kontinent, von dem Menschen wie Stückgut außerhalb der Grenzen verschoben werden, mal einen guten Klang. Wenn das so weitergeht, muss die europäische Union ihren voreilig erhaltenen Friedensnobelpreis zurückgeben.
Weiter geht es auf Französisch mit George Orwell und Victor Klemperer, für mich beides alte Bekannte; ich freue mich, dass Klemperer jetzt auch in Frankreich bekannter wird: www.cincivox.wordpress.com!
Vokabelnotiz
mettre les points sur les i (wörtlich: Die Is mit Punkten versehen) – die Dinge beim Namen nennen
______________________________
Illustration: yowillnevergetme
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen