Samstag, 31. Oktober 2015

Sicherheitsrisiko Teller

Hello, bonjour, guten Tag! Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin. Zu Lebensmittelthemen wurde ich indirekt schon tätig: Ich arbeite immer wieder zu Fragen des Landbaus, der Bodenqualität und des Urban Gardening. Samstags folgt mein Link der Woche. 

Fungizide, Pestizide, biologisch, chemisch und hormonell wirksam
In Ställen und Ge­wächs­häu­sern sowie auf den Äckern der industriellen Nahrungsmittelindustrie wird immer schneller zur Spritze gegriffen, sei es, um Krankheiten zu ver­mei­den, Wachstum an­zu­re­gen oder um Unkräuter und Schädlinge zu ver­nich­ten.

Dabei kommen immer mehr Substanzen zum Einsatz mit mehr Wirkstoffen, als noch vor einigen Jahrzehnten. Über die Industrie, die das herstellt, hat unlängst "Plusminus" berichtet. Erschreckend, dass in den letzten Jahren die eingesetzt Men­gen nocheinmal erhöht worden sind. Allein 100.000 Tonnen Pestizide sollen es laut Landwirtschaftsministerium jedes Jahr in Deutschland auf deutsche Felder, Obst- und Gemüsepflanzungen und Weinberge aus. Laut Plusminus seien die Net­to­inlandsum­sätze allein im Bereich „Pflanzenschutzmittel“ binnen weniger Jahre um 30 % gestiegen, von 1,25 Mrd. € (2010) auf 1,6 Mrd. € (2014) (Quelle: In­dus­trie­ver­band Agrar).

Dabei weiß man gar nicht bis ins letzte Detail, wie diese Substanzen, von denen viel in den Lebensmitteln bleibt, wirken. Die Giftstoffe haben jeweils alle ihre Obergrenzen. Aber wer sich auch nur ein wenig an den Chemieunterricht aus Schulzeiten erinnert, weiß noch, dass viele Substanzen sich im Zusammenspiel nicht aufaddieren, sondern einander in der Wir­kung potenzieren oder andere Wir­kun­gen blockieren können. In Frankreich ist Parkinson als Be­rufs­krank­heit bei Landwirten inzwischen anerkannt. Wir erleben den größten Freilandversuch aller Zeiten, die Labormäuse dieser Cocktails sind wir Menschen.

Wenn ich für die Arbeit unterwegs bin oder die Küche Pause hat, esse ich auch in­dus­tri­ell hergestellte Nahrungsmittel. In den Tagen oder Wochen der Vor- und Nach­be­rei­tung kann ich besser steuern, was ich zu mir nehme. Mein heutiges Mit­tag­es­sen, regional und chemiefrei: Kartoffeln, Wildkräutersalat und Spiegelei aus der Region, dazu vom Gärtnereibetrieb eingelegtes Sauerkraut, mit säch­si­schen Äpfeln aus eigener Produktion veredelt (Danke, Heiner, fürs Schleppen!), mit Lein­öl aus dem Spreewald und zum Abschmecken Gemüsebrühe, Senfsaat und Kümmel aus dem Biosegment, da allein weiß ich nicht genau, wo’s herkommt. Han­dels­üb­li­chem Senf ist Zucker beigemischt (oder, schlimmer, künstliche Sü­ßungs­mit­tel), derlei vermeide ich.

Bei meiner Ernährung reduziere ich damit nicht nur Industrieprodukte, sondern auch Schadstoffe (in Wasser und Böden wird sicher noch einiges übrig bleiben). Außerdem ist das ganze kulinarisch einfach ein Unterschied. Wäre mir der Um­welt­kram egal, ich würde allein aus Genussgründen diese Art von regionaler, einfacher, aromatischer Küche wählen.

Meine Art zu würzen ist anders. Ich habe allein vier unterschiedliche Pfeffer in Ge­brauch und kaufe diverse Saaten wie Senf und Rucola, die entweder auf der hei­mi­schen Fensterbank zu Sprossen heranwachsen dürfen, oder aber ich werfe davon etwas als Gewürz zusammen mit grobem Salz in meinen Mörser, fertig ist die ei­ge­ne Mischung. Die feinen Aromen, die beim Zerkleinern freigesetzt werden, äthe­ri­sche Öle, landen im Salz oder vorab in der Nase. Wer sich sowas als Fertigmischung kauft, erhält nur abgestandenen Abklatsch.

Vokabelnotiz
Mein Wildkäutersalat besteht übrigens überwiegend aus dem, was die industrielle Landwirschaft als "Unkräuter" bezeichnet. Ein Unwort par excellence. "Beikräuter" höre ich als Begriff im Biolandbau.

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Film: das Erste.de / Plusminus: Fast
kein Obst und Gemüse ohne Chemie

Freitag, 30. Oktober 2015

Museum der Wörter 12

Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin. Ab und zu erinnere ich an Begriffe, die wir den jüngeren Generationen erklären müssen. Heute: Drei Worte aus einem Bereich samt Anmerkungen. Ich habe aufgeräumt und fand ...
            
              T
intenlöscher, Siegellack, Paketschnur
   
Tintenlöscher sind diese wippenartigen Dinge auf dem Schreibtisch im Kontor, mit dem einstmals unsere Playmobilfiguren Wippe spielen mussten. (Hier tref­fen sich über die Dinge verschiedene Generationen.) Diese häufig aus edlem Holz ge­fer­tig­ten Teile sind von unten mit Löschpapier überzogen. Das Kaufhaus für edle Haus­halts­wa­ren à l'ancienne preist sie an als Gerätschaften für Linkshänder an.

Zum Siegellack gehört der Siegelring. Derlei haben heute nur noch nicht zu ret­ten­de Schnö­sel und heißverliebte Teenager standardmäßig in ihren Schreibutensilien.

Und Paketschnur fand ich neulich in einem Glas, auf dem "Paketschnur" stand, sel­bi­ges stand seit 18 Jahren in meiner Kammer. Mein Vater hat als Student Geld hin­zu­ver­dient, indem er für ein großes Berliner Kaufhaus Versandpakete geschnürt hat. In all den Jahrzehnten hat er dabei nicht ver­lernt, die ak­ku­ra­tes­ten Knoten der Welt zu setzen.

Ich sehe noch heute vor meinem geistigen Auge, wie meine Großmutter in der DDR diese sorgsam aufbindet, die Schnur zu einem Knäuel windet und den Zipfel so un­ter­schlägt, dass die Chose nicht wieder von alleine aufgehen, aber mit einem ruck­ar­ti­gen Zug am Ende gelöst werden kann. Und solche Teile habe ich Kriegs­en­kel also brav "in Größenordnung", wie es auch in der "Ehemalichen" (und nicht im Westen) hieß, in einem Schraub­deckel­glas bei mir bewahrt und vergessen. Was mach ich nun damit?

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Idee: H.F.

Donnerstag, 29. Oktober 2015

Akustiker

Hallo aus Berlin! Sie sind bei einem Weblog aus der Welt der Sprachen gelandet. Hier schreibe ich über Dolmetschen und Übersetzen für Medien, Politik, Wirt­schaft, Kunst, Gesellschaft und Soziales. Ich arbeite in Berlin, Paris, München und dort, wo ich gebraucht werde. Meine Arbeitssprachen sind Französisch (2. Spra­che) und Englisch (3. Sprache, passiv, d.h. ich dolmetsche auf Konferenzen aus dem Englischen, aber nicht zurück).

Kundenmittagessen im Res­tau­rant. Ich dolmetsche mit Ver­gnü­gen, wir sind schon sehr früh hier aufgelaufen, kurz vor 12 Uhr. Das Speiselokal ist von ausgesuchter Qualität. Wir sitzen im Hinterzimmer.

Herren von hinten, sie stehen auf einer Terrasse, rechts steht Wein (?) in voller Herbstfarbe.
Terrassenfotos im Herbstlicht
Vorne füllt sich der Laden. Das bekommen wir leider zu deut­lich mit: Im­mer wieder wird die Tür geöffnet, dann dringt ein tosendes Ge­mur­mel in den Hin­ter­raum.

Wir müssen jedes Mal das Ge­spräch unterbrechen, weil ich nichts mehr höre, da ich gleich­zei­tig sprechen muss. Wir schalten auf "Kon­sek" um, auf konsekutives Dol­met­schen.

Das bedeutet, dass ich Pausen bekomme und nicht mehr gleichzeitig dolmetsche. Die Beteiligten sind ungeduldig, sie fallen einander ins Wort. Ab etwa ein Uhr wird häu­fi­ger Kaffee bestellt; das Gurgeln des Milchschäumers kommt zum Grund­rau­schen des großen Gastraums hinzu.

Nach 1,5 Stunden (mit Pausen beim Servieren und als ich selbst eine Kleinigkeit essen durfte) bin ich fix und fertig.

Warum gibt es heute kaum noch effizient arbeitende Akustiker? Das Restaurant mit Stoffservietten und Messerbänkchen könnte sich sowas doch leisten! Dann kommt noch der Fotograf. Ich nehme mir schnell ein Taxi. Was habe ich gleich noch ge­ges­sen? Keine Erinnerung.

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Foto: Archiv

Sonntag, 25. Oktober 2015

Petition

Hallo und bienvenue auf meinen Blogseiten. Hier führe ich ein öf­fent­li­ches Ar­beits­ta­ge­buch zum Thema Sprachmittlung. Heute statt eines Sonntagsfotos: Mein Link der Woche. Die Zukunft, wie immer, eilt sehr.

Sprachmittler sind keine Zielscheibe!
Liebe Leserin, lieber Leser, bitte beteiligen Sie sich an einer Petition zur Causa der in Kriegs- und Krisengebieten tätigen Übersetzer und Dol­met­scher. Diese werden oft von den westlichen Kräften angeheuert, und entgegen der Zusicherung bei Auf­nah­me der Arbeit immer öfter schutzlos im Land zu­rück­ge­las­sen.

Sie werden häufig von der Gegenseite als Spione und Verräter qualifiziert, sie und ihre Familien werden verfolgt, festgenommen, nicht selten gefoltert und er­mor­det.

Der Petitionsbrief geht an den UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, an Mogens Lyk­ke­toft, Präsident der UN-Versammlung, sowie an den UN-Sicherheitsrat.

Die Petition wird von den Berufsverbänden der Sprachmittler unterstützt.

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Illustration: UN, protect translators and
interpreters worldwide

Samstag, 24. Oktober 2015

Ayas Flucht vor dem Tod

Bonjour, Sie lesen in meinem Blog über das Leben als Dolmetscherin und Über­set­zer­in für die  Bereiche Politik, Kultur, Wirtschaft und Soziales. Im ersten Beruf war ich Journalistin.  Letzten Sommer habe ich in der psychologischen Kri­sen­in­ter­ven­tion gedolmetscht, jetzt ist die Kongresssaison. Mein Link der Woche folgt morgen; das Sonntagsfoto entfällt.

Den heutigen Beitrag verdanke ich meiner Radio- und Texterkollegin Britta Freith. Danke, Britta, für dein Engagement. So, jezt übergebe ich ...

Im Hamburger Stadtteil Ohlstedt geben Ehrenamtliche Deutschunterricht. Dabei hat eine von Ihnen Aya kennen gelernt. Aya ist 16 Jahre alt und mit der Familie ihres Onkels nach Deutschland geflohen. Jetzt lebt sie im Zelt auf dem Ohlstedter Platz. Sie hat einen Text über den Krieg in Syrien geschrieben. Ein deutsches Mäd­chen hat ihn aus dem Englischen übersetzt. 

Flucht vor dem Tod ins Ungewisse 

In Syrien ist das Leben fast unmöglich geworden. Die Menschen dort haben die Hoff­nung in fast alles verloren, außer in den Tod, der sie in jeder Lebenssituation begleitet. Sie sehen den Tod dort jeden Tag, sodass sie sich an ihn gewöhnt haben. Weil sich niemand auf der ganzen Welt um sie zu kümmern scheint, umarmen sie ihn manchmal ganz still. Sie leben jeden Tag, jede Stunde ohne über morgen nach­zu­den­ken, weil sie morgen vielleicht nie erleben werden.

Das Geräusch der Bomben ist für sie normal geworden, sodass sie es als komisch empfinden, wenn sie es nicht mehr hören. Wenn jemand es nicht mehr hört, be­deu­tet es, er ist tot. Das ist die Bedeutung von Krieg. Es gibt noch einen weiteren Kampf, den die Syrer kämpfen müssen. Den Kampf ums Essen. Der Anstieg der Prei­se hat das Leben noch schwerer gemacht. Die Menschen können es sich grade eben leisten ein Brot zu kaufen. Alles in Syrien ist teuer; alles — außer ein Men­schen­le­ben. Viele Menschen denken darüber nach auszuwandern. Sie verkaufen al­les, was sie besitzen, sogar ihre Häuser. Alles, um dem Tod zu entkommen und weil das Leben in ihrem Land nicht mehr länger möglich ist. Da sie keine Hoffnung mehr besitzen, opfern sie sich dem Meer. Wenn jemand die Hoffnung verliert, denkt er nicht länger über sein Leben nach. Viele machen sich auf den Weg auf eine schreck­li­che Reise mit nur einem Gedanke: Wenn ich es schaffe, “okay“, wenn nicht, „kein Problem“. Sie fühlen sich bereits in jeder Art und Weise tot.

Weil niemand nachvollziehen kann, was diese Menschen durchgemacht haben, hat auch niemand das Recht sie dafür zu verurteilen, dass sie diese tödliche Reise auf sich genommen haben! Es ist schwer nicht mehr in der Lage zu sein, seine eigenen Kinder beschützen zu können. Es ist schwer, behindert zu sein. Und es ist schwer, das Gefühl zu ertragen, dass du nur eine Nummer bist. Eine Nummer, die entweder denen angehört, die am Leben zu sein scheinen, oder denen die bereits tot sind.
In Syrien ist der Tod zu einem permanenten Besucher geworden. Aus diesem Grund wollen so viele Syrer ihr Land verlassen. 
Aya, 16 Jahre

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Mein Dank geht an: Aya, die unbekannte
deutsche Schülerin und Britta Freith

Donnerstag, 22. Oktober 2015

Sorge

Bon­jour, hel­lo und sa­lut ... auf den Sei­ten die­ses Blogs. Hier schreibt ei­ne Dol­met­scher­in und Über­setzerin über ihren Alltag in Berlin, Paris, Köln und dort, wo sie gebraucht wird. Unsere Themen sind sehr vielfältig. Manchmal muss ich dichten.

Vorbereitung auf eine Familienkonferenz oder etwas in der Art. Rednerin A. sendet mir mit hübschem Vorlauf ihre 10-seitige PowerPointPräsentation zu. Das ist freundlich. Damit kann ich viel anfangen.

Dolmetschpult
Auf Sendung
Mehr, als mit dem, was ein Redner mir neulich zu­kom­men ließ: Statt der an­ge­kün­dig­ten Bullet point pre­sen­ta­tion flatterten knapp 12 Stunden vor dem Panel 58 Seiten Wissenschaftstext ins Postfach, davon vier Seiten Literaturhinweise in Punkt-6-Schrift, der Rest war im­mer­hin 10 Punkt mit 100 Anschlägen je Zeile und 60 Zeilen je Seite.

(Manuskriptseiten für die Sprecherkabine, die sich in zwei Minuten lesen lassen, haben einen Umfang von 60 Anschlägen je Zeile und 30 Zeilen je Seite, beides mit Leerzeichen; Punkt 12 ist Norm.)

Die 58 Seiten wären eine Woche vorher übrigens prima gewesen. Merke: Je kürzer die Vorbereitungszeit, desto knapper sollten die Dokumente sein. Und bitte auf Wortspielereien jeglicher Art verzichten, liebe Rednerinnen und Redner!

Dann schaue ich genauer auf das, was ich zugeschickt bekam. Die Dame, die auf der Familienkonferenz sprechen wird, hat ihre Rede sehr transparent aufgezogen: Sie hat das Wort SORGE zum zentralen Begriff ihrer Ausführungen gemacht, dazu nahm sie die Buchstaben jeweils als Anfangsbuchstaben neuer Wörter: Schule, Ober­auf­sicht, Rückblick, Gesetz, Europa.

Und dann hat sie diesen Begriff zum roten Faden werden lassen, "für jemanden sorgen", "sich Sorgen um etwas machen", "Sorge tragen", "Vorsorge", "Fürsorge", "Nachsorge"etc., alle Ausführungen liegt jeweils ein Begriff zugrunde.

Großartig! Bis auf das Wort "Europa" ist das total unübersetzbar. Und mir war vor­her nicht klar, wie schillernd das Wort Sorge ist. Ich habe jetzt schlicht ... Sorgen. Wie kann ich das rüberbringen? Ich muss den Witz erklären und möglichst viele Pendants erfinden. Erschwerniszulage für Dichterkunst?

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Foto: C.E.

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Blindtext

Was Sie hier durch­­blät­­tern, lie­­be Le­­ser­­in, lie­­ber Le­­ser, ist mein di­­gi­­ta­­les Ar­beits­­ta­­ge­­buch. Ich be­schäf­ti­ge mich täg­lich mit Spra­chen und Inhalten, und zwar als Dolmetscherin und Übersetzerin mit Englisch und Französisch als Ausgangssprache und, beim Dolmetschen, Französisch als zweiter Zielsprache.

Nie die Chance, in der taz zu erscheinen
Blindtexte sind keine Texte für Blinde, sie stehen auch nicht in Blindbüchern. Blindtexte sind Platzhalter, die grund­sätz­lich nie in der Zeitung auftauchen. Wenn ich nie sage, meine ich NIE.

Nie und nimmer.

Und weil es nichts gibt, was es nicht gibt, fand ich heute morgen dann doch einen. Ausgerechnet in der "tageszeitung" steht ein schicker Blindtext, sogar auf Deutsch. Da war wohl die Redaktion noch auf der Suche nach einem Text.

Was mich daran erinnert, dass ich auch auf der Suche nach einem Text bin.

Das Drehbuch, zu dem ich zu Wochenanfang einen Kostenvoranschlag geschrieben habe, wird nun doch aus dem Französischen ins Englische übertragen. Ich hätte mal wieder Lust auf ein Drehbuch mit Zielsprache Deutsch.

Irgendwo Bedarf?

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Foto: C.E. (Das Bild lässt sich, in ein
zweites Fenster geladen, vergrößern.)

Dienstag, 20. Oktober 2015

Onkel-Ali-Laden

Bonjour! Sie haben ein digitales Logbuch aus der Welt der Sprachen angesteuert. Hier schreibe ich über meinen Berufsalltag als Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache ... und über Sprache und Interkulturelles.

Abends viertel vor elf befinde ich mich auf der Zielgeraden Richtung Wohnung. Ich habe einen an­stren­gen­den Dolmetscheinsatz hinter mir. Der Kopf fühlt sich wattig an ("wattös" sagte einst Mitbewohnerin Pempi aus München). Ich lausche in mich hin­ein, welcher Aspekt meiner vitalen Existenz gerade dominiert. Ist es Müdigkeit? Neu­gierde gepaart mit sprachlichen Reflexen? (Dann höre ich in der Regel eine span­­nen­­de Sendung in der Zielsprache auf dem MP3-Player an.) Oder ist es ein leich­ter Bewegungsanalphabetismus, der mich nach anstrengenden Tagen manch­­mal überfällt?

Späti 7/24 im Gegenlicht mit nasser Straße und Lichtstreifen
Müdigkeitsveränderte Wahrnehmung
Ganz klar: Es ist Hunger! Ich stolpere in den "Späti" hinein. In Berlin gibt es ähnlich wie in Paris viele auch in der Nacht ge­öf­fne­te Läden. Die meisten werden von Zu­wan­der­ern geführt, wie auch der bei uns an der Ecke. Ich bin für die Existenz des La­dens sehr dankbar, auch wenn der Begriff Tante-Emma-Laden nicht ganz zutrifft. (Die Spätkaufläden haben zudem Probleme mit dem Gesetzgeber. Mich nervt der Gedanke an eine mögliche Einschränkung ihrer Öffnungszeiten.)

Zuhause warten Fenchel, Lauch, Kurkuma, etwas Petersilie und Quinoa auf mich. Sahne fehlt. Ich suche die Ware und gehe an den Tresen.

Der junge Verkäufer: "Die ist sogar fettreduziert!" Ich schaue auf den Deckel, will keine irgendwie in­dus­tri­ell modifizierten Sachen haben, bin Anhängerin der Slow Food-Bewegung. "Mindestens 30 % Fett" steht auf dem Pöttchen. Ich lese laut vor. Der Verkäufer: "Ja, "mindestens 30 %," sonst ist es mehr, 'mindestens' bedeutet 'reduziert'."

Ich denke kurz: Veralbern kann ick mir alleene, dann sage ich mir, dass nicht alle das Glück hatten, Deutsch bereits als Baby zu lernen. Behutsam trage ich vor, wie ich das verstehe, eingeleitet mit einem "Könnte es sein ..." — mindestens ist die Min­dest­men­ge, es mag sogar mehr sein — und ergänze augenzwinkernd: "Wehe Sie fan­gen demnächst an, kalorienreduzierten Sch* zu verkaufen!" Der junge Mann vom On­kel-Ali-Laden darauf ebenso augenzwinkernd mit Blick auf meine Silhouette: "Madame, sowas haben Sie doch gar nicht nötig!"

Das wollte ich hören. Und er hat sein Gesicht als aus Südeuropa stammender Ma­cho bewahren können.

Der Rest ist schnell zusammengefasst, weil nicht so wichtig: Kochen und Essen bis Mit­ter­nacht, ab drei Uhr Nachtruhe, acht Stunden Schlaf nach einem vollen Ein­satz. Dolmetschrelevant ist dies: Ab Ende des Einsatzes brauche ich (brauchen ver­mut­lich sehr viele) etwa vier Stunden, bis der hohe Adrenalinpegel Schlaf über­haupt zulässt. Und nach Dolmetschtagen darf es gerne eine Stunde mehr Schlaf sein. Übrigens: Der Schlaf ist weiterhin mein Freund, auch wenn ich nach et­li­chen Tagen der Flüchtlingshilfe erstmal nicht gut einschlafen konnte.

P.S.: Das Rezept findet sich hier: Chefkoch.de.

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Foto: C.E.

Montag, 19. Oktober 2015

Ziele

Hallo! Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin aus Paris, Berlin und von unterwegs. Ich arbeite mit Französisch und Deutsch sowie aus dem Englischen. An dieser Stelle berichte ich, wie die Arbeit meinen Alltag verändert, stets unter Wah­rung der Schweigepflicht, was berufliche Inhalte angeht.

Bernsteincollier, mit transparentem Saughaken an eine Fensterscheibe gehängt
Auf dem Saughaken steht "Made in W-Germany"
Beim Einsprechen im Kino zähle ich die Film­länge in Wasserflaschen. Nach in­ten­si­ven Einsätzen berechne ich den Grad der Müdigkeit in Colliers, die ich als Hob­by gestalte. Dazu kaufe ich zum Bei­spiel Ketten auf dem Flohmarkt, die ich neu aufziehe. Ganz schlichte Ketten, wie diese Bernsteinkette, gefallen mir oft am besten.
Die Müdigkeit des Wochenendes betrug dieses Mal drei Perlencolliers. Ich bereite mich gleichzeitig auf die Winterzeit mit ihren Geschenkanlässen vor. Der Rest der Tage bestand aus viel Schlaf und gutem Es­sen. Andere Ziele setze ich mir an sol­chen Tagen nicht. Ich vermeide sogar das Kino, ich könnte dort einschlafen.

Auf dem Schreibtisch: Ziele nachhaltiger Entwicklung, SDG (Sustainable De­ve­lop­ment Goals), die ausgehend von den Erfahrungen mit den Millennium-Ent­wick­lungs­zie­len (MDG oder (Millennium Development Goals) entworfen worden sind. Die SDG treten am nächsten 1. Januar in Kraft und sollen für 15 Jahren die Leit­schnur der Entwicklung nicht nur in den ärmeren Ländern sein, auf sie waren die Millenniumsziele ausgerichtet, sondern in allen Staaten. Ich bin gespannt auf die Veranstaltung von AfricAvenir: "Nachhaltige Entwicklung in einer Welt der Un­gleich­heiten?", bei der kritische Blicke auf die 2030-Agenda für nachhaltige Ent­wick­lung geworfen werden.

Ab morgen auf dem Schreibtisch: Buchhaltung, Rechner überarbeiten lassen, Dreh­buch­über­set­zung kalkulieren. Ach ja, und Fenster putzen, siehe Foto.

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Foto: C.E. (In ein anderes Fenster ge-
laden, lässt sich das Bild vergrößern)

Samstag, 17. Oktober 2015

Weltliteratur to go

Samstags folgt auf dem Dolmetscherblog der "Lieb-Link". Meistens jedenfalls ... in den letzten Mo­na­ten habe ich jede Woche Dutzende potentielle "Links der Woche" vermerkt, einer bedrückender als den andere. Daher wurde es in dieser Kategorie neu­er­dings so still. Jetzt habe ich wieder mal einen.

Total schick! Klassiker der Weltliteratur im Schuhschachteltheater gibt es hier, über­setzt in die Sprache potentiell junger Rezipienten. Der Macher der klei­nen Playmobilfilme ist Dramaturg. Er definiert den Beruf so: Am Theater arbeiten zu wollen, aber zu schlecht für den Schauspielerberuf zu sein, am The­a­ter arbeiten zu wollen, aber zu feige für die Regie zu sein, am Theater arbeiten zu wollen, und mit dem Hammer in der Hand ... nee, da mögen sich alle lieber rasch in Sicherheit bringen.

Wenn das mal keine Verführung zum Lesen ist. Hier der FAZ-Artikel, der mich auf Sommer aufmerksam gemacht hat.

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Film: Sommers Weltliteratur to go

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Typisch deutsch

Hallo! Hier le­sen Sie, was eine Dol­met­scher­in und Über­set­zer­in für die fran­zö­si­sche Sprache so umtreibt. Tätig werde ich in Paris, Berlin, Hamburg, Nizza und überall dort, wo Sie mich brauchen. Im Blog stelle ich mir regelmäßig Fragen zu den Stereotypen meiner Sprachheimatländer.

Lange schon wollte ich wissen, was typisch deutsch ist. Jetzt weiß ich es: Die Ordnung auf diesem Monteurswagen, die Regale, die Material- und Werkzeugliste, und dass hier täglich geprüft wird, ob alles vor­schrifts­mä­ßig ist.

Mit Rufen wie: "Das ist wirklich dermaßen deutsch!" stürzt sich die werte Kundschaft, Gäste aus Frankreich, Italien, England und Spanien, auf das Auto und reißt die Mo­bil­te­le­fo­ne hoch (... und die Dolmetscherin ihren Fotoapparat).

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Foto: C.E. (In ein anderes Fenster ge-
laden, lässt sich das Bild vergrößern)

Mittwoch, 14. Oktober 2015

Auf dem Schreibtisch XXIV

Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mit­ten in ein Ar­beits­ta­ge­buch hinein­ge­ra­ten, in dem sich al­les um Spra­che, Dol­met­schen, Über­setzen und Kult­uren dreht. Als frei­be­ruf­li­che Sprach­mitt­lerin ar­bei­te ich in Pa­ris, Berlin, Marseille und dort, wo man mich braucht. Heute wieder: Blick auf den Schreibtisch.

Schreibtisch, Vokabelkarten, Kalender, Eifelturm, &-Zeichen
Schreibtisch im Arbeitszimmer
Der Wochenanfang war prima, der Kopf dolmetscht auch auf dem Weg nachhause weiter. Die Stim­me bleibt stumm, die das Gefasel der Mitreisenden in der U-Bahn in der anderen Sprache nur für den Kopf wie­dergibt.
Abends noch eine Stunde Walken, damit der Adre­na­lin­pe­gel sinkt, sonst schlafe ich erst vier Stunden nach Ein­satz­en­de ein.

Selbst wenn nach 20.00 Uhr eigentlich ein denk­bar schlechter Zeitpunkt dafür ist: Es geht nach so viel Konzentrationsübung nichts über kräftiges Auspowern.

Heute geht es gleich wieder an die Bücher und Texte. Zunächst entstehen Kos­ten­vor­an­schlä­ge für den November, ein Angebot sogar für Juni 2016. Dann liegen da noch auf dem Schreibtisch ...
    Tonaufnahmegerät, Wasserglas, Kekse
    Schreibtisch unterwegs
  • Demographie, da­zu ein span­nen­des Interview mit Gerd Bosbach im (neben France Culture) Leib- und Ma­gen­sen­der Deutsch­land­ra­dio Kultur vom 12.10.2015) 
  • Flüchtlingspolitik 
  • Internethandel vs. klassischer Handel 
  • Burkina Faso
  • Bergbau 
... und zwar für Konferenzen, ein TV-Interview und als Verschriftung eines In­ter­views für ein Printmedium. Zwischendurch "mussdarf" ich in die Bibliothek, denn etliches findet sich nicht im Netz an.

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Fotos: C.E.

Dienstag, 13. Oktober 2015

POV VIII: Mobil

Bonjour und gu­ten Tag! Hier bloggt eine Dol­met­scher­in und Über­setzerin. Heute folgt wieder meine Reihe POV, Point of view. Das ist der nur knapp kom­men­tierte sub­jek­ti­ve Blick auf die Spracharbeit — und was damit zu­sam­men­hängt.

Halbliterflasche zum Vergleich
Liebe Hersteller mobiler Dol­metsch­an­la­gen! Wenn Sie möchten, biete ich Ihnen ein vierzehntägiges Praktikum an meiner Seite an. Sie erleben den Alltag von Kon­fe­renz­dol­met­schern hautnah. Das Prak­ti­kum wird täglich mit zwei Groß­por­tio­nen Spaghetti vergütet, wie sie sonst Rad­renn­fah­rer zu sich nehmen. Denn die Tätigkeit an unserer Seite ist vor allem eins: kräftezehrend.

Früher waren die Flüsterkoffer kleiner. Ja, ich weiß, es geht sogar noch größer. Bitte rückt ab von den Baby- und Kin­der­sarg­di­men­sio­nen. Uns reicht der Muskelkater im Gehirn, wir wollen nicht auch noch wel­chen in den Oberarmen bekommen.

Dauernd muss hier jemand durch
Und hier folgt auch gleich noch der un­wahr­schein­lichs­te (aber trotzdem real existierende) Arbeitsplatz, den das Ka­len­der­jahr bislang gebracht hat. Über die Bot­schaft Frankreichs kam eine Han­dels­de­le­ga­ti­on zu uns, die wir betreuen. Der erste Termin bringt uns nach Mitte. Die De­le­ga­ti­on ist international, Fran­zö­sisch die Arbeitssprache. Außer bei einem raschen Stehtermin im Ein­gangs­be­reich einer Startup, da ist es Englisch. Wir geben unsere Män­tel ab, bekommen ein Getränk angeboten — und die Dol­met­scher­in schreibt mit fürs Protokoll und für Nachfragen im di­rek­ten Debriefing auf der Weiterfahrt zum nächsten Termin. (Zum Glück muss ich nicht dolmetschen.)

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Fotos: C.E.

Montag, 12. Oktober 2015

Babel, wir kommen!

Hallo! Hier le­sen Sie, was eine Dol­met­scher­in und Über­set­zer­in für die fran­zö­si­sche Sprache so umtreibt. (Außerdem übersetze und dolmetsche ich mit Englisch als Ausgangssprache.) Tätig werde ich in Paris, Berlin, Hamburg, Nizza und überall dort, wo Sie mich brauchen.

Die Herbstsaison dauert von Mitte September bis Ende November, wir stecken also mitten drin. (Anfragen sind noch möglich, wir sind nicht restlos ausgebucht.) Zwischendurch darf ich einige Tage lang ausspannen, wieder zu mir kommen, und gleichzeitig Besuch genießen. Dann geht's weiter.

Der halbe Sonntag und Montag gehören deshalb der Vorbereitung. Dazu gibt es vor­ab eine PowerPointPräsentation, knapp 30 Folien, mit Legenden zum Teil in Buch­sta­ben­grö­ße 6. Das ist keine Kritik, sondern nur eine Beschreibung. Das Publikum muss das Original ja nicht lesen, das nehme ich ihm im Vorfeld ab. Ich bin froh, die Themen kennenzulernen, noch ehe es losgeht.

Für eine zweitägige Intensivveranstaltung sind die 30 Folien das einzige Vor­be­rei­tungs­ma­te­rial. Nur kurz sollen sich die Reisenden der Handelsdelegation im Se­mi­nar­raum aufhalten. Hauptgegenstand der Reise sind Gespräche, Begegnungen und Beobachtungen auf dem Terrain.

Vor dem Termin
Der Redner kommt aus dem Westen Deutschlands, er wird seinen Vortrag auf Eng­lisch halten, wir dolmetschen ins Französische, denn wir ar­bei­ten für eine italienische Dé­pen­dance eines fran­zö­si­schen Unternehmens.

Für einige Italiener, die nur wenig Fran­zö­sisch sprechen, wird das Gesagte dann noch ins Italienische übertragen.

Zum Glück hat uns der Redner nun zugesagt, sich doch auf Deutsch zu äußern. Babel, wir sind unterwegs!


Vokabelnotiz für den nächsten Einsatz
(sehr gelacht, für frz. Ohren klingt das wie Eisenfresserei)
the ironmongery — la quincaillerie
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Foto: ein anderer Besprechungsort (Archiv)

Sonntag, 11. Oktober 2015

Fassaden

Schö­nen gu­ten Tag oder gu­ten Abend! Hier bloggt ei­ne Über­set­zer­in und Dol­met­scher­in aus Paris, Berlin, Schwe­rin und Cannes ... und immer von dort, wo mei­ne Kun­den mich brau­chen. Der Sonntag gehört den besonderen Bildern der Woche.

Die modernen Fassaden dominieren drei Variationen: Die Schaufensterscheibe, die Wabe und die Schießscharte, manchmal auch als Kombination. Und je mehr Glas in der Fassade vorhanden ist, desto mehr ist sie für gutes Wetter gemacht. Schlechtwetterfassaden haben keinen guten Ruf.


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Fotos: C.E.

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Wirtschaftskrieg

Hallo! Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin aus Paris, Berlin und von unterwegs. Ich arbeite mit Französisch und Deutsch sowie aus dem Englischen. Meine Rückkehr von den letzten Konferenzen  hat einige Tage gedauert. Der Hirnnebel reißt auf, und ich sehe:

Hat der 3. Weltkrieg begonnen?, fragt die französische Wochenzeitschrift Le Nou­vel Observateur.

Nouvel Obs | La troisième Guerre Mondiale a-t-elle commencé ?
Für FR-Kundige: Hier der Vorläuferbeitrag
Ein wenig wundert mich diese Frage. Was mir meine Kunden über Kon­kur­renz­ge­ba­ren, Zersetzung und Spionage im Com­pu­ter­zeit­al­ter erzählen, klingt alles längst nach Krieg.
 
In Frankreich gibt es seit 1997 eine Schu­le für Wirtschaftskrieg, die école de guerre économique, sogar der SPIEGEL hatte sie nach zehn Jahren Bestand schon ent­deckt: Link.

Die Bildungsstätte für das einschlägige Aufbaustudium wird übrigens vom fran­zö­si­schen Verteidigungsministerium und der Rüstungsberatungsfirma Défense Conseil International kofinanziert.

Auch wenn ich mir ansehe, wie der Globus ausgeplündert und im Hinblick auf kurzfristige Renditen zerstört wird, sehe ich diese These bestätigt. Und dann sind da noch diese grausamen Stellvertreterkriege ...

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Illustration: Nouvel Obs

Samstag, 3. Oktober 2015

25

Bon­jour, hallo! Hier bloggt eine Dol­met­scher­in und Über­set­zerin (Fran­zö­sisch sowie Eng­lisch, dies al­ler­dings nur als Ausgangssprache). Ich arbeite in Paris, Berlin, Köln, Hamburg ...
Heute: Link der Woche.


Ein Vierteljahrhundert deutsche Einheit, und noch immer ist diese Einheit eine gro­ße Bau­stel­le. In Deutschland wurde in Sachen Bevölkerungspolitik wiederholt der psychische Teil vergessen, den Menschen nun einmal auch ausmachen. Das war bei der Zuwanderung durch die damals "Gastarbeiter" genannten Menschen so, das war bei der deutschen Einheit so, die bei zu vielen im tiefsten Sachsen oder im tiefsten Schwarzwald noch nicht verarbeitet wurde.

Wüstenprinzessin im LaGeSo
Und das droht auch bei vielen Flücht­lin­gen so zu werden, von denen viele als Zuwanderer bleiben werden, einfach weil ihre Kinder in der Ausbildung sind oder weil sie hier die Le­bens­part­ner finden werden.

Jetzt mehren sich die Berichte zu se­xu­el­ler Gewalt und Übergriffen in Flücht­lings­la­gern, hier der Link zu einem Taz-Artikel. Und ich fühle mich einmal mehr wie die Kassandra, wie die Pro­phe­tin (naja, mit dem Namen), die aber im Lande nichts gilt.

Denn erste Mails und Briefe zum Thema verschicken wir, die wir als psychosoziale Begleitung mit Flüchtlingen arbeiten, seit Ende Juli. Irgendwie stellt sich der Eindruck ein, dass es niemand hören will. Die Behörden scheinen überfordert mit der Verwaltung des Alltags. Nein, sie scheinen nicht, sie sind überfordert. Woran liegt das?

Die Kontingentflüchtlinge und die Menschen aus dem Kossovo haben in den 1990-er Jahren keine derartigen Tumulte produziert, weder reell noch medial. Ziehen wir den In­ter­net­fak­tor ab, heute sind Medien deshalb schneller, lauter, muss ich fest­stel­len, dass nur zwei mögliche Erklärungen übrigbleiben: Der schlanke Staat ist derart auf seinen Kern reduziert, dass er stellenweise nicht funktionsfähig ist. (Ich möchte mir kein Erdbeben oder eine echte Katastrophe in Deutschland vor­stel­len.) Zweiter Punkt: Man hatte sich eingerichtet, abgeschottet. Dublin II ist nichts an­deres als das Übertragen der Probleme auf die Anrainerstaaten, deren Wirt­schafts­pro­ble­me aber auch bekannt waren. Bei der Verwendung des Narrativs vom Ex­port­welt­meis­ter, der gut durch die Krise kommt, ist ein hohes Maß Rea­li­täts­ver­dräng­ung be­tei­ligt. Und Em­pa­thie­man­gel.

Womit ich beim nächsten Thema wäre, beim Umgang mit den Mehr­fach­trau­ma­ti­sier­ten. Derzeit gibt's noch nicht mal "satt-sauber-gesicherter-Schlafplatz-für-alle", in ersten Auffangslagern kommt ersten Zeugenaussagen zufolge auch schon "se­diert" hinzu. Bitte mal kurz mitdenken und -fühlen: Wie ist es, nach einem grau­sa­men Krieg und einer schrecklichen Flucht in einer großen Halle zu Hunderten zu schlafen, von denen nachts viele schreien und weinen, die angestaute Ag­gres­sio­nen haben, die auch ihre Prägungen mitgebracht haben, und dann merken Sie, dass Sie ständig müde sind, dass sich ein Schleier über ihre Wahrnehmung legt. (Die Zeugenaussagen sind aufgenommen, die Sache ging an die Behörden. Genauso wie seit Monaten die Behörden über den psychologischen Behandlungsbedarf vieler Geflüchteter informiert sind und dass das Ehrenamt hier an seine Grenzen stößt.)

Zurück auf die Meta-Ebene: Wir verschenken gerade wesentliche Monate, die der Verarbeitung, dem Sprachenlernen und damit der  zur Integration gehören sollten. Die Verweildauer in den Massenunterkünften zu verdoppeln, wie durch den Ge­setz­ge­ber dieser Tage verfolgt, ist falsch und folgt nur dem Prinzip: Wir schaffen das nicht anders, also passen wir das Gesetz den Fakten an.

Dieser Tage bin ich oft sprachlos, auch, wenn ich an die Fehler aus den letzten 25 Jahren denke. Das ist kein Zustand für eine Dolmetscherin.

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Foto: Reinhard Ahrens