Dienstag, 9. Dezember 2014

Die Zimmerantenne

Herzlich Willkommen! Sie lesen im Arbeitstagebuch einer Dolmetscherin. Meine Arbeitssprachen sind Französisch sowie Englisch (passiv). Ich schaue zurück auf arbeitsintensive Wochen. Neulich war ich nur Zaungast, bequemer war das aber nicht: zur Vorgeschichte

Der Saal ist groß, die Sitzreihen steigen steil an. Er liegt in einem Gebäude, das ein preisbeladener, international renommierter Architekt in der Mitte Berlins ge­baut hat. Um den Saal herum wird verwaltet, beobachtet, beraten.

Die Gäste auf den oberen Rängen haben etliche Headsets in den Händen, denn gleich beginnt eine internationale Veranstaltung. Sie ziehen die Kopfhörer aus der Plastikhülle und nesteln ihr Steckerchen in die Buchse des Empfangsgeräts, und als die Grußworte gesprochen werden, suchen sie die richtige Frequenz. Ein Rädchen erlaubt es ihnen, die Lautstärke zu verändern.

Länger als sonst nesteln sie an den Geräten herum. Sie stellen sie lauter, verziehen grimassierend das Gesicht, dann wieder leiser. Sie klemmen den Empfänger am Revers fest, schütteln den Kopf, halten es in de Höhe, drehen es zur Seite, dann in der eigenen Achse, legen es auf die Lehne eines Sitzes der Reihe vor ihnen oder stellen ihre Tasche neben, türmen den Mantel drauf und lassen das Endgerät ganz oben thronen. Immer mal wieder segelt ein Teil zu Boden, und ohne zu fluchen bergen es jene, die es in Verwendung haben.

Ich muss dabei an ein Bild aus meiner Kindheit denken. Der Cousin meiner Mutter war zu Besuch, wir hatten damals ein Fernsehgerät von Nachbarn geborgt, denn es war Fußball-Weltmeisterschaft. Und so stand der Onkel an einem Sommertag am geöffneten Fenster und hielt die Antenne mit dem himmelblauen Plastikfuß aus demselben heraus, damit das Fußballspiel einigermaßen rauschfrei betrachtet werden konnte. Vor dem blauen Himmel war der Fuß nicht mehr sichtbar; es sah so aus, als halte er Luft mit etwas Metall dran in die Höhe. Damit wurde die Bild­qua­li­tät ein wenig verbessert.

"Nichts (Böses) hören, nichts (Böses) sehen, nichts (Böses) sagen"
Da der Ton schlecht blieb, wurde er runtergedreht und parallel dazu die Hör­funk­über­tra­gung angestellt.
Dann setzte ein gewisser Herr Sparwasser einen Ball ins Tor. (Und ich verstand nicht, wer da gegen wen gespielt haben sollte ... "Deutschland gegen DDR"? Aber die DDR war doch auch Deutschland, da wohnte doch die Oma.)

Zurück nach Berlin-Mitte: Mindestens die letzten fünf Reihen des Neubaus aus der Zeit des Regierungsumzugs sind betroffen. Ich lasse mir auch Kopfhörer und In­fra­rot­empfänger geben, höre rein, gehe zurück und reklamiere den Empfänger, ge­nau­so mache ich es mit dem nächsten und dem übernächsten. Die junge Frau an der Ausgabe, vermutlich Praktikantin, sagt: "Sie sind die einzige, die Probleme hat."

Offenbar sieht sie die Gymnastik des hinten sitzenden Publikums nicht. Die Zu­schau­er vorne wirken ruhiger. Liegt es daran, dass sie das Problem nicht haben? Oder sitzen vorne vor allem jene, die beide Arbeitssprachen perfekt beherrschen, die also gar kein Headset brauchen? Beim nächsten Mal werde ich das bewusst prüfen.

Die Technik im Saal neigt übrigens seit einigen Jahren zum Knistern. Vermutlich hat das Reinigungspersonal vor langer Zeit einmal die Infrarotsender umgestellt und sie sind anschließend falsch oder gar nicht ausgerichtet worden.

Wieso sich solche Probleme derart lange halten? Auf dem diplomatischen Parkett beschwert sich niemand so richtig, und sollte mal jemand eine Anspielung wagen, dann sind die Erklärungen rasch bei der Hand: "Naja, mit den vielen Mo­bil­te­le­fo­nen im Raum ist das kein Wunder!"

Und es gibt noch einen Grund. Offenbar hat keiner der Mitarbeiter des Hauses, von denen auch einige hinten sitzen, lange nicht mehr in das reingehört, was aus der Kabine kommt. Im Gegenteil, es seien immer alle zufrieden gewesen, heißt es an­schließend. Ah bon ?

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Foto: C.E.

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