Kuriose Woche: Zwischen Gesundung von der Grippe und eingeklemmtem Nerv kommt mir die Wirklichkeit verzerrt vor. Ich höre Berichte über Antibiotikaresistenzen und Krankenhauskeime, über übermäßigen Fleischkonsum und über Antibiotikamissbrauch in den Tierställen. (Schweine bekommen in der Massentierhaltung alle 5,5 Wochen dieses Medikament, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern — und weil es das Wachstum befördert.)
Zugleich erinnere ich mich an den großen Aufschrei weiter Kreise der Bevölkerung, als vor den letzten Wahlen der sogenannte "Veggie-Day" vorgeschlagen worden ist, der eine fleischfreie Tag in der Woche. Derlei sei Bevormundung und Beschneidung der persönlichen Freiheit, hieß es allenthalben. Nun forderte eine andere (allerdings regionale) Volkspartei, dass Migranten künftig in den eigenen vier Wänden nur noch Deutsch sprechen sollten: "Wer dauerhaft hier leben will, soll dazu angehalten werden, im öffentlichen Raum und in der Familie deutsch zu sprechen", steht im Entwurf eines Leitantrags für den CSU-Parteitag, der Ende nächster Woche stattfinden wird. Dieses wurde aus einer vorab verschickten Textfassung bekannt.
Wenn das keine Bevormundung ist! Vor allem ist der Vorschlag Ausdruck der völligen Unkenntnis darüber, wie Sprachenlernen funktioniert, nämlich immer auch im Vergleich mit der Muttersprache. Je differenzierter zugewanderte Eltern die Sprache ihres Herkunftslandes beherrschen, desto besser erlernen ihre Kinder die jeweilige Zweitsprache.
Ein neues Idiom braucht eine korrekte und möglichst elaborierte Grundlage, um die nötigen Vernetzungen im Gehirn zu schaffen. Kurz: Es ist keinem Kind aus der Migration gedient, wenn seine "Muttersprache", die Sprache, die es zu Hause am meisten hört, ein verstümmeltes, fehlerbehaftetes Deutsch ist. Hier eine Miniatur, die ich zu diesem Thema vor sieben Jahren geschrieben habe.
Fremddeutsch
Ein Abend am Maybachufer: Ich klöne mit einer Nachbarin auf der Straße, da kommt eine Familie vorbei. Der Filius ist um die drei, Daddy hält ihn auf dem Sattel des Kinderrades fest und ruft: "Gib Fuß, gib Fuß!"
Er meint wohl, dass das Kind in die Pedale treten solle.
Die Mutter läuft in den Hausflur und sagt dabei: "Isch muss noch Post gucken!", analog gebaut zu "Fernsehen gucken", nur das es nach der Post sehen heißt und im Deutschen auch Artikel gebräuchlich sind.
Die Nachbarin, selbst Mutter eines Kleinkindes, mutmaßt, es handele sich um eine türkische Familie, die jetzt mit ihrem Kind Deutsch sprechen würde, um die Integration zu erleichtern.
Dazu ein anderer Nachbar: "Zufällig kenne ich die Familie. Seine Muttersprache ist Arabisch, ihre Türkisch, daher ist die Umgangssprache der Familie Deutsch. Ihre drei Kinder beherrschen die drei Sprachen nur bruchstückhaft, wenn die Infos meiner Kolleginnen stimmen." Der Mann arbeitet als Sozialarbeiter im Kiez.
______________________________
Foto: C.E.
2 Kommentare:
Liebe Frau Elias,
Sie kennen mich nicht, ich kenne Sie aber bzw. ihre Arbeit als Dolmetscherin bei der französischen Filmwoche. Jetzt verstehe ich, warum Sie derzeit nicht dort auf der Bühne stehen! Von Herzen wünsche ich Ihnen gute Besserung und kommen Sie bald wieder! Sie sind nicht richtig ersetzbar, auch wenn ihre Vertretung nicht wirklich schlecht ist, so fehlen mir Ihre Genauigkeit und die Nuancen.
Mit freundlichen Grüßen,
I. Schneider
Liebe Frau Schneider,
vielen Dank für Ihre Genesungswünsche! Und die Filmwoche fehlt mir auch.
Mit freundlichen Grüßen,
Caroline Elias
Kommentar veröffentlichen