Donnerstag, 18. Dezember 2014

Mechanik

Herz­lich Will­kom­men auf den Blog­sei­ten einer Sprach­ar­beiterin. Hier den­ke ich über den All­tag der Welt der Kon­fe­renz­dol­metscher und Über­setzer nach. Hier erfahren Sie, was Muskeln mit deutscher TV-Unterhaltung, Ketten und Fähr­män­nern zu tun hat. Zwischen den Weihnachten und Sylvester ist meine Über­set­zer­werk­statt übrigens geöffnet.

In zehn Jahren haben die Maschinen alle Übersetzer und Dolmetscher abgeschafft! Wetten, dass... ?

Kamm (Reet) zum Anschlagen per Griff
Ach nee, "Wetten, dass" gibt's ja nicht mehr. Gut, zweiter Versuch: Wenn das all­ge­mei­ne Bildungsniveau und die Ein­kom­men rapide sinken, damit auch das Wa­ren­an­ge­bot, alles wird einfach, stam­meln am En­de die Menschen nur noch Sätze, die eine Ma­schi­ne in zehn Jahren pro­blem­los über­trägt. Macht auch kein' Spaß, so eine Dystopie, in diesen schö­nen, festlichen Tagen!

Noch ein Anlauf: Sprache ist so vielfältig und hängt immer vom Hintergrundwissen, von Moden in gesellschaftlichen Kreisen, Literatur und Medien- oder Werbezitaten ab, dass sich oft die Geschlechter untereinander oder die Mitglieder ein- und der­sel­ben Familie kaum noch zweifelsfrei verständigen können.

Garnspulen
Wissen Sie, wovon ich spreche? Ergänzen Sie: Geiz ist ... Ihre Großeltern und ihre Urenkel werden den Satz nicht in der glei­chen Weise beenden, wie Sie das gerade gemacht haben. Und 95 % der Urenkel jener, die diese Zeilen lesen, werden von der abgesetzten ZDF-Sendung auch nichts mehr wissen.

Was hat das mit Dolmetschen und Über­setzen zu tun? Weil das alles jeweils in Texten mitschwingt und irgendwie trans­feriert werden muss. Also in allen Texten jedenfalls, die mehr aussagen als
Ankomme Montag 18 Uhr Hauptbahnhof.

Wenn Sie älter als 25 sind, können Sie das gerade noch zuordnen. Der "Te­le­gramm­stil" als Begriff sagt aber schon Kids des Jahres 2014 nichts mehr.

Heutige Maschinen sind bereits von zeitgenössischen Texten überfordert. Hier ein zufällig ausgewähltes Bespiel:
Proust Geschichte über ein junges Mädchen, das nach einem Sturz in der Lie­be, wacht zehn Jahre später, wenn Mutter und Kind und ist in den Pro­zess der Scheidung. Sie können XXXX durch Kabelfernsehen oder in den Deutsch / Schweizer (Switzerland) Kinos mit ursprünglichem Audio online gucken, in Französisch, in mit Untertiteln versehenem und in betitelt in Deutschen zu den verschiedenen Zeiten.
Es handelt ich um einen Spielfilm aus dem 21. Jahrhundert, der mit Marcel P. gar nichts zu tun hat. Und wen ich mit Marcel meine, verstehen Sie nur, wenn Sie sich ein wenig in Literatur auskennen. Ansonsten steht's ja auch oben. Un marcel ist auf Französisch, wie es in Familien gesprochen wird, übrigens eine spezielle Un­ter­hemd-Form. Die Amis nennen es muscle shirt, also ärmelfrei, damit die Mus­keln schön zu sehen sind. Die Kreise, in denen das erfunden wurde, waren garantiert nicht auf der Su­che nach verlorenen Zeiten.

Kette und Schuss
Texte sind Gewebe. Kul­tur­pro­duk­te, künstlerische Ela­bo­ra­te usw. gehören den Re­zi­pien­ten, die sie sich an­eig­nen, soviel zur Theorie.

Praktisch bedeutet das, dass jene, die den Fährmann ma­chen (oder die Fährfrau), die also über-setzen, viel kul­tu­rel­les Gepäck mit sich her­um­schlep­pen dürfen (und es wird immer mehr).

Und die Entwicklung einer perfekten Dolmetschmaschine würde vermutlich 5.000 Mannjahre kosten, inklusive Programmierung der unterschiedlichen Fachsprachen, Soziolekte und Berufsjargons. Und in der Testphase, bei der sich herausstellt, dass der Output nur mit großer Verzögerung bei den Hörern ankommt, wären die Pro­zes­so­ren nach zwei Stunden verschmort.

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Fotos: C.E.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Sehr schön erklärt und zusammengefasst :) Das Thema kommt interessanterweise doch immer wieder mal auf, wenn man mit Menschen außerhalb unserer Berufswelt über unsere Tätigkeit spricht. Muss mir die hier so hübsch gewobene Antwort mal merken, um sie dann an passender Stelle anbringen zu können.