Donnerstag, 19. Dezember 2013

Gegenwind

Willkommen auf den Seiten des ersten Weblogs Deutschlands aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Hier berichte ich über unseren Alltag. Neben Dol­met­sch­ein­sätz­en bin ich als Übersetzerin tätig. Vor der Arbeit aber kommen die Ver­trags­ver­hand­lun­gen, die manchmal etwas komplizierter sind.

Nachtrag zu gestern. Ein Eilig-Eilig-Auftrag über die Feiertage ging bei einem gu­ten Kunden, der zu den Großen im audiovisuellen Sektor zählt, für ei­nen Preis un­terhalb des Marktwertes über den Tisch, denn offenbar hat jemand "vergessen", die branchenüblichen Zuschläge für Wochenend- und Feiertagsarbeit anzusetzen, die natürlich in den kommenden Wochen anfallen.

Dabei deutete ich einen ähn­li­chen Fall an, bei dem ich sogar weiß, dass der Auftrag für ei­nen Zeilenpreis wegging, der bei der Hälfte unseres Kosten­vor­an­schlags lag (dazu morgen mehr).

"Wie kann das sein?", fragte mich eine frühere Stu­dien­kol­le­gin, die heute als Beamtin in einer Behörde arbeitet.

Ganz einfach. "Gute Arbeit" ist ein fester Begriff im Bereich Arbeitsmarkpolitik, wir haben ihn vor einigen Wochen intensiv kennengelernt, geprägt hatten ihn einst Ge­werk­schaften. (Selbst in einer Äußerung der Altneukanzlerin tauchte er dieser Ta­ge auf.) Er bezeichnet im ar­beits­markt­politischen Feld inzwischen das Zu­sam­­men­tref­fen guter und gesunder Arbeitsbedingungen, fairer Bezahlung, wert­schätz­en­den Umgangs usw. "Gute Arbeit" ist im Sprachensektor leider schwer ein­zu­for­dern.

Woher kommt die Konkurrenz? Erstens aus dem Journalismus. Die dort ge­zahl­ten Honorare sind in den letzten 1,5 Jahrzehnten kaum erhöht, oft sogar reduziert wor­­den, dazu kommt der "natürliche" Kaufkraftverlust einer wachstumsbasierten Wirtschaft mit leichter Inflation, kurz: Dass der eine oder andere sprachbegabte Journalist hier seine Neben"butikke" aufmacht, ist verständlich, wenn auch sehr unschön, zumal es oft im Widerspruch zur eigenen Berufsethik geschieht. (Wenn z.B. erst PR-Arbeit über etwas gemacht wird, über das anschließend Berichte ent­stehen. Hier gilt: Nul ne peut être à la fois juge et partie, niemand kann zugleich Richter und Partei zugleich sein.)

Zweitens von Berufsanfängern. Wir leben in Zeiten serieller Langzeitpraktika, mit denen in der Ära "globalisierten Wirtschaftens" ebenso viel Schindluder getrieben wird wie mit Niedriglöhnen, "die Regierung" (Hartz IV oder Elternhaus) zahlt ja die Dif­fe­renz. Das Pikante hieran ist, dass sich Neulinge so ihre Berufsperspektiven ka­putt­ma­chen.

Drittens: Wiedereinsteiger und gelangweilte, versorgte Ehegesponse. Ich möch­te hier niemanden bashen und kann jeden verstehen, dem der Berufseinstieg Mühe bereitet, auch den Nachwuchs. Aber auch hier: Warum soll der Partner/die Part­ner­in oder die Behörde eigentlich indirekt Unternehmen subventionieren, die ihren Auf­­wand im Grunde normal kalkuliert hatten? Hier gibt es derzeit viele Mit­nah­me­ef­fek­te à la "Alle reden von Krise, wir testen mal, ob das nicht billiger geht".

Viertens: Windige "Agenturen" und ihre "Übelsetzer". Konzept: Teuer verkaufen, billig einkaufen, am besten in Asien oder über Seiten, auf denen sich die Sprach­fach­leu­te im gegenseitigen Unterbietungswettkampf um die Aufträge streiten sol­len. Etliche dieser "Agenturen" verdienen den Namen nicht, haben vom Fach kei­nen blas­sen Schim­mer. Neulich bekam eine Kollegin, die Texte zur In­nen­ein­rich­tung von La­den­ge­schäf­ten übersetzt, sie war im studierten Erstberuf Architektin, eine Ab­sage von einem langjährigen Stammkunden, für den sie für 0,20 € je Wort über­setzt hatte (Franzosen rechnen anders als wir). Wenig später trudelte der Text bei ihr wieder ein, über eine der Genannten, zum unvergleichen Satz von 0,05 € pro Wort.

Und was ist mit der Qualität? 
1. Der "Dolmetsch"-Amateur überträgt zwei von fünf Ad­jek­ti­ven, lässt jeden dritten oder vierten Satz aus, verdreht hier den Inhalt, verkürzt dort in ent­­stel­­len­der Weise. Bei dem ersten Hinhören mag der Out­put recht souverän wirken. Bei genauem Hin­hö­ren klingen in­des in der Über­tra­gung alle Sprecher gleich.

2. und 3. Hier ist von holprig bis hervorragend alles möglich. Gegenlesenlassen durch einen Profi ist aber immer nötig, vor allem, wenn die Übersetzung in eine Sprache ging, die im Hause des Auftraggebers niemand auf Muttersprachniveau beherrscht. Bei Profis (z.B. uns) ist das Korrekturlesen schon im Preis drin.

4. Hm, haben Sie schon mal eine Bedienungsanleitung für ein mittelteueres Elek­tro­nik­teil eines mittelgroßen Importeurs aus Asien gelesen? Manchmal hat sogar Google Translate eine höhere Trefferquote.  

Und woher wissen Kunden, woran sie sind? Bei anonymen Internetagenturen oder Freelancern außerhalb jeglicher Netzwerke gibt es nur die angedeuteten Er­ken­nungs­merkmale. Und es gibt selbst große Agen­tu­ren mit aufsehenerregenden Namen, die eher die Simulation einer solchen sind, sie heißen frei variiert: King Interpreting, World linguistics, Globalquickwords, 24/7 Lan­gua­ge Bros. Der groß­spre­cher­i­sche Name kann ein Hinweis sein. Oder sie entdecken als "Referenzen" das Gotha der deutschen Medienwelt, wobei es sich bei näherem Hinsehen nicht um Kunden, sondern das Ergebnis aggressiver PR-Arbeit handelt.

Kurz: Auf die meisten hier vorgestellten Varianten dürfen sich spielfreudige Men­schen gerne einlassen, immer auf die Gefahr hin, dass Reparaturarbeiten am Ende teurer kommen als eine normale Erstübersetzung.

Und jetzt? Wenn Sie die Wahl haben zwischen einem groß wirkenden Restaurant, auf dessen Speisekarte Spezialitäten aus 24 Ländern in einer Liste mit 288 Ge­rich­ten aufgeführt sind und einer kleinen Gaststätte mit einer, maximal zwei Lan­des­kü­chen und drei Vorspeisen, drei Hauptgerichten und drei Desserts, für welches Lokal würden Sie sich entscheiden?

Am sichersten fahren Sie mit Sprachmittlern, die mit wenigen Sprachen werben, aber Teil eines Netzwerks sind, die also auch Fachleute mit der gesuchten Ar­beits­spra­che und/oder Spe­zia­li­sie­run­g kennen und empfehlen können.

Zum Glück wissen das schon viele unserer treuen Kunden.

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Fotos: C.E. (Archiv)

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