Willkommen auf den Seiten des ersten Weblogs Deutschlands aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Hier berichte ich über unseren Alltag. Neben Dolmetscheinsätzen bin ich als Übersetzerin tätig. Vor der Arbeit aber kommen die Vertragsverhandlungen, die manchmal etwas komplizierter sind.
Nachtrag zu gestern. Ein Eilig-Eilig-Auftrag über die Feiertage ging bei einem guten Kunden, der zu den Großen im audiovisuellen Sektor zählt, für einen Preis unterhalb des Marktwertes über den Tisch, denn offenbar hat jemand "vergessen", die branchenüblichen Zuschläge für Wochenend- und Feiertagsarbeit anzusetzen, die natürlich in den kommenden Wochen anfallen.
Dabei deutete ich einen ähnlichen Fall an, bei dem ich sogar weiß, dass der Auftrag für einen Zeilenpreis wegging, der bei der Hälfte unseres Kostenvoranschlags lag (dazu morgen mehr).
"Wie kann das sein?", fragte mich eine frühere Studienkollegin, die heute als Beamtin in einer Behörde arbeitet.
Ganz einfach. "Gute Arbeit" ist ein fester Begriff im Bereich Arbeitsmarkpolitik, wir haben ihn vor einigen Wochen intensiv kennengelernt, geprägt hatten ihn einst Gewerkschaften. (Selbst in einer Äußerung der Altneukanzlerin tauchte er dieser Tage auf.) Er bezeichnet im arbeitsmarktpolitischen Feld inzwischen das Zusammentreffen guter und gesunder Arbeitsbedingungen, fairer Bezahlung, wertschätzenden Umgangs usw. "Gute Arbeit" ist im Sprachensektor leider schwer einzufordern.
Woher kommt die Konkurrenz? Erstens aus dem Journalismus. Die dort gezahlten Honorare sind in den letzten 1,5 Jahrzehnten kaum erhöht, oft sogar reduziert worden, dazu kommt der "natürliche" Kaufkraftverlust einer wachstumsbasierten Wirtschaft mit leichter Inflation, kurz: Dass der eine oder andere sprachbegabte Journalist hier seine Neben"butikke" aufmacht, ist verständlich, wenn auch sehr unschön, zumal es oft im Widerspruch zur eigenen Berufsethik geschieht. (Wenn z.B. erst PR-Arbeit über etwas gemacht wird, über das anschließend Berichte entstehen. Hier gilt: Nul ne peut être à la fois juge et partie, niemand kann zugleich Richter und Partei zugleich sein.)
Zweitens von Berufsanfängern. Wir leben in Zeiten serieller Langzeitpraktika, mit denen in der Ära "globalisierten Wirtschaftens" ebenso viel Schindluder getrieben wird wie mit Niedriglöhnen, "die Regierung" (Hartz IV oder Elternhaus) zahlt ja die Differenz. Das Pikante hieran ist, dass sich Neulinge so ihre Berufsperspektiven kaputtmachen.
Drittens: Wiedereinsteiger und gelangweilte, versorgte Ehegesponse. Ich möchte hier niemanden bashen und kann jeden verstehen, dem der Berufseinstieg Mühe bereitet, auch den Nachwuchs. Aber auch hier: Warum soll der Partner/die Partnerin oder die Behörde eigentlich indirekt Unternehmen subventionieren, die ihren Aufwand im Grunde normal kalkuliert hatten? Hier gibt es derzeit viele Mitnahmeeffekte à la "Alle reden von Krise, wir testen mal, ob das nicht billiger geht".
Viertens: Windige "Agenturen" und ihre "Übelsetzer". Konzept: Teuer verkaufen, billig einkaufen, am besten in Asien oder über Seiten, auf denen sich die Sprachfachleute im gegenseitigen Unterbietungswettkampf um die Aufträge streiten sollen. Etliche dieser "Agenturen" verdienen den Namen nicht, haben vom Fach keinen blassen Schimmer. Neulich bekam eine Kollegin, die Texte zur Inneneinrichtung von Ladengeschäften übersetzt, sie war im studierten Erstberuf Architektin, eine Absage von einem langjährigen Stammkunden, für den sie für 0,20 € je Wort übersetzt hatte (Franzosen rechnen anders als wir). Wenig später trudelte der Text bei ihr wieder ein, über eine der Genannten, zum unvergleichen Satz von 0,05 € pro Wort.
Und was ist mit der Qualität?
1. Der "Dolmetsch"-Amateur überträgt zwei von fünf Adjektiven, lässt jeden dritten oder vierten Satz aus, verdreht hier den Inhalt, verkürzt dort in entstellender Weise. Bei dem ersten Hinhören mag der Output recht souverän wirken. Bei genauem Hinhören klingen indes in der Übertragung alle Sprecher gleich.
2. und 3. Hier ist von holprig bis hervorragend alles möglich. Gegenlesenlassen durch einen Profi ist aber immer nötig, vor allem, wenn die Übersetzung in eine Sprache ging, die im Hause des Auftraggebers niemand auf Muttersprachniveau beherrscht. Bei Profis (z.B. uns) ist das Korrekturlesen schon im Preis drin.
4. Hm, haben Sie schon mal eine Bedienungsanleitung für ein mittelteueres Elektronikteil eines mittelgroßen Importeurs aus Asien gelesen? Manchmal hat sogar Google Translate eine höhere Trefferquote.
Und woher wissen Kunden, woran sie sind? Bei anonymen Internetagenturen oder Freelancern außerhalb jeglicher Netzwerke gibt es nur die angedeuteten Erkennungsmerkmale. Und es gibt selbst große Agenturen mit aufsehenerregenden Namen, die eher die Simulation einer solchen sind, sie heißen frei variiert: King Interpreting, World linguistics, Globalquickwords, 24/7 Language Bros. Der großsprecherische Name kann ein Hinweis sein. Oder sie entdecken als "Referenzen" das Gotha der deutschen Medienwelt, wobei es sich bei näherem Hinsehen nicht um Kunden, sondern das Ergebnis aggressiver PR-Arbeit handelt.
Kurz: Auf die meisten hier vorgestellten Varianten dürfen sich spielfreudige Menschen gerne einlassen, immer auf die Gefahr hin, dass Reparaturarbeiten am Ende teurer kommen als eine normale Erstübersetzung.
Und jetzt? Wenn Sie die Wahl haben zwischen einem groß wirkenden Restaurant, auf dessen Speisekarte Spezialitäten aus 24 Ländern in einer Liste mit 288 Gerichten aufgeführt sind und einer kleinen Gaststätte mit einer, maximal zwei Landesküchen und drei Vorspeisen, drei Hauptgerichten und drei Desserts, für welches Lokal würden Sie sich entscheiden?
Am sichersten fahren Sie mit Sprachmittlern, die mit wenigen Sprachen werben, aber Teil eines Netzwerks sind, die also auch Fachleute mit der gesuchten Arbeitssprache und/oder Spezialisierung kennen und empfehlen können.
Zum Glück wissen das schon viele unserer treuen Kunden.
______________________________
Fotos: C.E. (Archiv)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen